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Filmkritik
„Wollen wir vögeln?“, fragt Joanna unvermittelt, nachdem ihr Mitschüler Matheus endlich die Tür geöffnet hat. Mit ihren langen roten Haaren wirkt die schöne 18-Jährige durchaus verführerisch, doch das sozusagen mit der Tür ins Haus gefallene, unvermittelte Angebot irritiert, und tatsächlich stimmt mit Joanna etwas nicht. „Ich habe ein Stroboskop im Hirn“, sagt sie später einmal, um ihren Zustand zu beschreiben. Im selben Moment flickern um sie herum kleine Lampen auf, fast so, als sollte ihre Krankheit bildlich verdeutlicht werden. Joanna leidet an ADHS. Beim Sprechen ist sie so aufgedreht, dass sie sich kaum verständlich machen kann. Zu umständlich sind ihre wortreichen Erklärungen, der Dialog entgleist stets um ein Haar. Ausgerechnet an diesem Wochenende will ihr der Apotheker keine Tabletten geben – die letzten zwei Rechnungen sind noch nicht bezahlt.
Joannas Mutter, so erfahren wir später, ist kürzlich gestorben. Darum hockt ihr Vater den ganzen Tag deprimiert vor dem Fernseher. Er ist arbeitslos und kann Joanna finanziell nicht unterstützen, nicht einmal für die Tabletten reicht das Geld. Einziger Lichtblick ist Audrey, ihre neue Mitschülerin, die sich im Deutschkurs zu ihr setzt, um bei der Konversation auf deutsch frech mit ihr zur flirten. Joanna fühlt sich eigentümlich hingezogen zu dem fröhlichen Mädchen mit den lebendigen Augen. Doch es gelingt ihr nicht, auf Audrey zuzugehen. Zu dick ist ihr Gefühlspanzer, mit dem sie sich schützt. Als sie sich dann auch noch dilettantisch als Drogendealerin versucht, um den akuten Geldmangel zu beheben, ist das Chaos perfekt.
Hilflos dem selbst angerichteten Chaos gegenüber
Der schwedische Regisseur Christoffer Sandler verbindet in seinem Spielfilmdebüt, basierend auf dem Jugendroman „Easygoing“, den die Autorin und Psychologin Jenny Jägerfeld 2016 veröffentlichte, eine Coming-of-Age-Geschichte mit der eines Coming-outs. Unprätentiös konstatiert er zunächst die sozialen Verhältnisse im Haushalt von Joanna, ohne in ein „Kitchen Sink“-Drama abzugleiten. Mit Kritik an Defiziten des Sozialstaats hält sich der Film zurück. Der ständige Geldmangel dient vielmehr als Katalysator für absurde Situationen, aus denen Joanna allein nicht mehr herausfindet: Dem selbst angerichteten Chaos steht sie hilflos gegenüber, mit oftmals komischen Folgen.
Kleine Fluchten erlauben bloß das Schwimmen im Hallenbad, in das sich Joanna unerlaubt einschleicht: Wenn sie ihre Bahnen zieht, scheint sie im Meer zu kraulen, losgelöst und frei. Auch der gemeinsame Besuch einer Partymeile, bei dem die ausschnitthaften Eindrücke durch schnelle Schnitte und gleitende Übergänge eingefangen sind, zeugt von ständiger Bewegung und unbeschwerter Lebensfreude. In einer Szene prüft sie vor dem Spiegel im roten Badeanzug ihre Figur – Joanna muss auch lernen, sich selbst zu akzeptieren, mit all ihren Fehlern.
Oft bestraft sie sich selbst
Dabei erliegt der Regisseur nicht der Versuchung, die junge Frau zu idealisieren. Viel zu oft bestraft sie sich selbst, etwa, wenn sie sich aus Audreys Wohnung ausschließt und durch unglückliche Umstände nicht mehr hineinkommt. Und: Sie kann auch gemein und rücksichtslos sein. Eine kontaktfreudige Mitschülerin lässt sie mehrmals achtlos stehen, Matheus verweigert sie eine emotionale Zuwendung, Audrey stößt sie mehrmals mit ihrer Verschlossenheit vor den Kopf. „So verdammt locker“ – die Ironie des Titels legt sich immer schwerer über den Film. Bis der Regisseur am Schluss eine ebenso elegante wir charmante Lösung dafür findet.