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Filmkritik
Man sagt, dass sich Kurzgeschichten für Verfilmungen oft besser eignen als Romane, wofür Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ (fd 11 963) ein schönes Beispiel ist: Man betrachtet die Vorlage als Stimmungsmuster, das es auszufüllen und mit einer eigenen dramaturgischen Infrastruktur auszustatten gilt. Dies besorgten für Tim Burton Andrew Kevin Walker, der Autor von „Sieben“ (fd 31 642), für den dramatischen und - ungenannt - Tom Stoppard für den komödiantischen Part, von dem allerdings nicht mehr allzu viel in den endgültigen Film übernommen wurde. Die herausragende Idee Walkers ist, die Figur des Ichabod Crane, jenem Fremdling in den finsteren Gefilden eines verwunschenen Ortes, der in Washington Irvings Geschichte „The Legend of Sleepy Hollow“ dem schaurigen Treiben eines kopflosen Reiters nachspürt, zusätzlich als New Yorker Polizisten zu charakterisieren - eine reizvolle Erklärung für die Mischung aus stilistischer Faktizität und jener Fantastik, die für die Sujets der großen amerikanischen Erzähler des 19. Jahrhunderts so typisch ist. Wie Ambrose Bierce oder E.A. Poe ist Irving ein Chronist des Unglaublichen, und genau jener unerschütterliche Glaube an die Rationalität ist es, den man in seinem Helden Ichabod Crane wieder findet. Es ist rührend, wie hilflos der mit modernster chemikalischer Spurensicherung ausgestattete Ermittler an den Errungenschaften der Wissenschaft festhält, bis ihm selbst der „kopflose Reiter“ begegnet, dem im Städtchen Sleepy Hollow eine bestialische Mordserie zugeschrieben wird. Solange der Geköpfte nicht in den Besitz seines eigenen Hauptes gelange, so muss Crane erfahren, werde er weiterhin die ehrbaren Bürger des Dorfs um die ihren bringen.
Burtons Held wird gleich bei seiner Ankunft mit den Grenzen des Rationalen konfrontiert, romantisch, aber viel erfreulicher, als man es erwartet: Auf den ersten Blick verliebt er sich in das mutige Mädchen Katrina, das ihn bei seiner Suche führen möchte. Burton inszeniert das Aufeinandertreffen als Sinnbild unschuldiger, aber nicht ganz asexueller Liebe, wenn sich beide zunächst küssen, aber Christina Ricci - Hollywoods unangefochtene „Prinzessin der Nacht“ - Johnny Depp dabei noch mit verbundenen Augen begegnet. Bis zur Lösung des Rätsels ist es dann ein weiter Weg, auch wenn dabei Fantastik und Wahrscheinlichkeit gleichermaßen zu ihrem Recht kommen. Ja, es gibt ihn wirklich, diesen kopflosen Reiter, doch es ist eine durchaus menschliche Intrige, die ihn auf seine finsteren Pfade schickt. Wenn Ichabod dabei schließlich vor allem Katrina in Verdacht hat, ist dies nicht nur eine Prüfung an seinen Verstand. Wie im Märchen erweist sich die Liebe erst dann als wahr, wenn man ganz auf sie vertraut.
Köpfe rollen in Burtons tiefschwarzem (Kinder-)Film wie seit den Tagen der französischen Revolution nicht mehr (oder wenigstens seit jenen der Hongkong-chinesischen Ghost Storys). Burton kann sich dabei auf die Akzeptanz einer in den USA allseits bekannten Vorlage berufen, fest verankert in den Lehrplänen der Grundschulen. Aber in diese Grundschulen darf man ja auch, will man der Presse glauben, getrost das elterliche Waffenarsenal mitbringen. Es sei also erlaubt, die in anderen Kontexten berechtigte Gewaltdiskussion einmal bei Seite zu lassen, denn Burtons Kunstwelt besitzt keine Verankerung in der Realität, auf die seine Schauermär am Ende wieder zurückwirken könnte. Konnte man in seinen früheren Arbeiten, etwa „Edward mit den Scherenhänden“ (fd 28 836) und „Batmans Rückkehr“ (fd 29 703), von einer ganzen Palette dunkler Farbtöne sprechen, mit denen er seine Rhapsodien in Moll auf die Leinbrach brachte, so ist es jetzt eher angebracht, von Nuancen zwischen Hellschwarz und Dunkelschwarz zu reden. Burton, der nie freiwillig von seinen Vorbildern spricht, hat bei der Ausstattung unverkennbar bei einem der ungewöhnlichsten Maler Amerikas abgeschaut, bei Albert Pinkham Ryder (1847-1917), den man den „Painter of Dreams“ genannt hat. Auch Ryder malte nahezu monochrom seine verästelten Bäume und schiefen Windmühlen, zwischen denen gehetzte Reiter in ewiger Nacht galoppierten. Es gibt noch ein zweites Vorbild, auf das sich Burton direkt bezieht und um das seine Variationen wie um um ein winziges musikalisches Motiv in den Händen eines großen Orchestrators kreisen: Es sind dies die sieben letzten Minuten von Walt Disneys 1949 entstandener Verfilmung „Ichaboad and Mr. Toad“, einem wenig bekannten Trickfilm-Klassiker. Innerhalb dieser Stimmungsvorgabe bewegt sich Burton mit schlafwandlerischer Sicherheit. Komplett in englischen Studios entstanden, ist dieser reine Ausstattungsfilm ein Relikt aus einer anderen Kino-Zeit - ein Zeugnis reinster Kino-Romantik, ein Ausstattungsprodukt, wie es im alten Hollywood höchstens dem Prestige-Gewinn eines Studiomoguls zur Ehre entstanden wäre.
Die Beschränkung auf eine einzige Stimmung und ein einziges ästhetisches Modell führt zu einer bei Burton einerseits ungewohnten Homogenität, andererseits aber auch zur Eindimensionalität sowie einer bedauerlichen Reduktion seines Ausdrucksspektrums. So ist „Sleepy Hollow“ zwar das geschlossenste, zugleich aber am wenigsten eigenständige und bewegende seiner Werke: ein reines Genre-Bild, nicht mehr und nicht weniger als die vollkommene Ausformulierung einer tradierten Vorgabe. Und doch: Niemand sonst lädt ein in eine so nuancierte Inszenieurng eines einzigen Traums, den er begeh- und erlebbar werden lässt, gleich einem finsteren Themenpark, wie ihn Disney nicht einmal in seiner entlegendsten Disneyland-Filiale errichten würde - dort, wo man sonst so gern den Errungenschaften der amerikanischen Kulturgeschichte huldigt. Diese Ehre erweist Burton jedenfalls Washington Irving, dem Begründer der amerikanischen Kurzgeschichte, erweitert um den unvergesslichen Schauer seiner eigenen Kindheit, als er die englischen Horrorfilme der Hammer-Produktion im Fernsehen sah. Jetzt ist es sinnigerweise Christopher Lee, der in der Rolle eines antimodernistisch eingestellten Richters Burtons filmisches Alter Ego Johnny Depp nach Sleepy Hollow schickt.