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Filmkritik
Kai (Kai Ro Liao), die aus Taiwan stammt, möchte „more local“ aussehen. Sie will am Strand nicht als Ausländerin auffallen. Ob es vielleicht an ihren Schuhen liegen könnte? Ihre Zufallsbekanntschaft an der Bar, ein argentinischer Übersetzer für Spanisch-Deutsch, rät zu etwas mit mehr Farbe und bestellt ihr einen Caipirinha. Dabei wollte Kai eigentlich etwas Landestypisches essen: „Glauben Sie, Sie verstehen die Menschen, die Sie übersetzen? Mein Eindruck ist, dass wir uns schon in unserer Muttersprache kaum verstehen.“ Für die Beantwortung der Frage bleibt allerdings keine Zeit. Der Fremde, mit dem sie wechselnd auf Englisch und Spanisch mit argentinischem Akzent kommuniziert, muss zu einem Abendessen und ist auch schon aus dem Film verschwunden.
Sonnencreme & Tränen
Diaspora-Existenzen treiben in „Sleep With Your Eyes Open“ wie Strandgut vorbei. Eine kleine Welle, und schon werden sie aus dem Erzählraum geschwappt. Dabei geht es der Filmemacherin Nele Wohlatz, die mit einem ausgeprägten Sinn für absurde, leichthändige Komik inszeniert, weniger um die Fliehkräfte als vielmehr um die feinen Fäden, die die in Raum (und Zeit) versprengten Figuren zusammenhalten. Auch Kai, die von ihrem Freund sitzengelassen wird und in die brasilianische Küstenstadt kommt, wo sie sich zunächst die Sonnencreme mit Tränen vermischt ins Gesicht schmiert, verschwindet irgendwann, um in einer anderen Figur, Xiao Xin (Xiao Xin Chen), eine Art schattenhaftes Weiterleben zu finden.
Das Erzählzentrum von „Sleep With Your Eyes Open“, wenn in dem eher an parallelen Bewegungen und Zerstreuung interessiertem Film ein solcher Begriff überhaupt Sinn hat, ist eine im Importgeschäft tätige chinesische Community. Kai, inzwischen mit bunten Schuhen ausgestattet, kommt mit ihr in Berührung, als sie auf der Suche nach einer Zange, mit der sie ihre Klimaanlage im Hotelzimmer reparieren will, über einen Billigmarkt schlendert. In einem der Läden lernt sie Fu Ang (Wang Shin-Hong) kennen, der sich in der Hoffnung auf ein gutes Geschäft auf den Verkauf von Regenschirmen spezialisiert hat. Als Kai ihn erneut aufsuchen will, hat der Laden bereits dichtgemacht. Die schon längst begonnene Regensaison weigert sich beharrlich, Realität zu werden.
In einem luxuriösen Wohnturm
Fu Angs einzige Spur ist ein Karton mit Postkarten von Recife, auf denen eine Frau Xiao Xin aus ihrem Leben erzählt. Sie nennt es „Buch“. Ihr Voiceover übernimmt den Film und führt in eine andere Erzählebene. Schauplatz ist ein verspiegelter Wohnturm mit Swimming-Pool und Zugang zum Meer, in dem neben reichen brasilianischen Bewohner:innen auch chinesische Unternehmer leben, die zu Geld gekommen sind und ihre Arbeiter in den großzügig geschnittenen Wohnungen einquartieren. Etwa Lin, Xiao Xins Tante. Im 18. Stockwerk hat sie eine Gruppe von Verkäufern, darunter auch Fu Ang, in eines der Zimmer gestopft. Ein in ein Luxuswohnprojekt eingeschleustes Wohnheim, in dem der Feierabend auch mal mit dem Falten von Stoffblumen verbracht wird.
Erfahrungen von Fremdheit, Unbehaustheit und Rassismus werden von Wohlatz eher miterzählt, als dass sie sie zum Argument oder gar „Thema“ verdichtet. Die antrainierten Übersprunggesten im Fahrstuhl, der mit den chinesischen Bewohnern nicht geteilt werden will, das unablässige Verwechseltwerden mit nicht annähernd ähnlich aussehenden Personen und die aus den Apartmentfenstern gebrüllten Beschwerden über lästige Essensgerüche sind für die Arbeiter fester Bestandteil ihres Alltags. Dabei ist das ökonomische System aus Verkäufern ohne Aufenthaltsgenehmigung und Gehalt, aus dem sich vielleicht eine kleine unternehmerische Karriere entwickeln könnte, von außen nur schwer zu durchschauen. „Was unterschiedet dich von Arbeitssklaven?“, will eine Poolbekanntschaft einmal von Xiao Xin wissen, während sie sich von ihrer Haushälterin mit gekühlten Getränken versorgen lässt.
Migrantische Vertragsarbeiter kommen und gehen; es sind meist junge Männer, die es ohne Sprachkenntnisse oder sonstiges Vorwissen an Orte verschlägt, wo Verdienstmöglichkeiten warten. Morgen könnten sie woanders sein, doch bis dahin bilden sich temporäre Gemeinschaften, so wie die Gruppe um Fu Ang und Xiao Xin, die, obgleich mit Tante Lin verwandt, ebenfalls in den Läden arbeitet. Als Fu Ang wissen will, über was sie schreibt, sagt sie: „Es geht um uns.“ Und ist bald nur noch als Stimme in der Geschichte anwesend, während Kai unvermutet wieder auftaucht.
Ein spielerischer Tanz
„Sleep With Your Eyes Open“ ist eine brasilianisch-taiwanesisch-argentinisch-deutsche Co-Produktion in wechselnden Sprachen und in gewisser Weise selbst ein Abbild der Umstände, die er beschreibt, wenn auch aus privilegierter Position. Nele Wohlatz, die als Regisseurin in Deutschland ausgebildet wurde und viele Jahre in Buenos Aires verbracht hat, sucht nach den verbindenden Elementen in einer von Missverständnissen, Sprachverwirrung und permanenten Ortswechseln bestimmten Welt. Der Film findet sie nicht nur in den Körpern der Figuren – ein spielerischer Tanz, der einen Streit besänftigt, Schlaflosigkeit und erschöpfte Trägheit – sowie in Xiao Xins Zeilen, sondern auch in den Sedimenten, die in den Übersetzungen scheinbar verlorengehen, um sich an anderer Stelle abzulagern.