- RegieYasuhiro Yoshiura
- Dauer108 Minuten
- GenreDramaAnimationScience Fiction
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
- TMDb Rating8/10 (9) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Es verspricht ein wunderbarer Tag zu werden. Satomi Amano kommt wie immer ihrem Wecker ein wenig zuvor, weil sie doch weiß, dass ihre Mutter Mitsuko nach langer Arbeitsnacht noch in den Federn liegt und Ruhe braucht. Die Wissenschaftlerin ist kurz vor dem entscheidenden Durchbruch ihrer Karriere. Als einzige Frau in leitender Position beim Konzern Hoshima verantwortet sie das „KI“-Projekt „Shion“. Durch Zufall hat die Oberschülerin Satomi von diesem höchst geheimen Projekt erfahren, das vorsieht, einen menschengleichen jugendlichen Roboter in eine Schule zu schleusen und fünf Tage zu testen, ob dessen Mitschüler seine Künstlichkeit enttarnen. Bei Erfolg geht der Prototyp in Serie, bei Nichterfolg wird das Projekt eingestellt, was mit dem Gesichtsverlust Mitsukos einhergehen würde.
Satomi kämpft derweil mit eigenen Problemen. In der Schule gilt sie als Streberin und Einzelgängerin, was sie liebend gerne ändern würde. Mit ihrem alten Jugendfreund und Computer-Nerd Toma hat sie jenseits der Schule kaum noch Kontakt, und so gut sie mit Mathe und Musik zurechtkommt, so unbeholfen ist sie mit Menschen.
Doch dann ändert sich alles. „Satomi! Hör zu, ich kann dich glücklich machen!“: Mit diesen Worten stellt sich eine neue Schülerin in der Klasse vor. Peinlich eigentlich. Zumal sie das auch noch singt. Peinlich, aber auch irgendwie originell und erfrischend in einer Schule, in der Disziplin und Ordnung ganz weit oben rangieren. Mit der Ankunft des Mädchens scheint ein wenig der Damm zu brechen, der sich zwischen Satomi und ihren Mitschülern aufgehäuft hat. Doch wer ist dieses Mädchen mit dem Namen Shion Ashimori?
Der Roboter singt und manipuliert die Umgebung
„Sing a Bit of Harmony“ ist ein eigentümlicher Film. Gerade hat man sich auf den Spannungsbogen vorbereitet, dass ein Roboter fünf Tage inkognito bleiben muss, da wissen es längst auch schon alle Jugendlichen, die die Handlung nach vorne bringen. Der Rest der Schule spielt ohnehin kaum eine Rolle. Und dann wird hier und da auch noch gesungen. Unvermittelt wie im Musical und doch von den Drehbuchautoren geschickt in die Handlung eingebaut: Das Singen wird zum Sinnbild für etwas zutiefst Menschliches; dass Shion damit anfängt, signalisiert eine Entwicklung, die ihren Status als Maschinenwesen in Frage stellt.
„Sing a Bit of Harmony“ (das englische „bit“ steht doppeldeutig für „ein wenig“ sowie für die kleinste Computer-Informationseinheit) spielt in einer Musterstadt namens Kejbu, in der der Hoshima-Konzern quasi als guter „Big Brother“ fungiert. Maschinenroboter stehen auf den Reisfeldern. Wohnungen, Häuser, Schulen, Straßenzüge, alles ist vollständig geregelt durch Apps, Schaltkreise und Kameras. Und Shion kommuniziert mit allem. Sie kann nicht nur unbemerkt ihren Lieblingssong an den Strand senden. Sie kann sich auch aus den Überwachungsvideos löschen, wenn sie singt, sodass niemand bei Hoshima sieht, dass sie gerade etwas tut, was für Künstliche Intelligenzen nicht vorgesehen ist: Etwa am Strand zwischen den Darrieus-Rotoren, die durch die grüne Energieversorgung in der Stadt omnipräsent sind, eine Musical-Nummer über Freundschaft zum Besten geben. Shion macht noch ganz andere Dinge, denn ihre Schaltkreise beginnen langsam – und ganz ungeplant – menschlich zu werden.
Ein atypischer Anime
„Sing a Bit of Harmony“ ist ein gänzlich atypischer Anime. Kein dystopisches Szenario wird hier vom Zaun gebrochen. Weder ist die Überwachungsstadt gefährlich, noch sind es deren künstliche Bewohner. Weder ist die Geschichte Anlass für Verfolgungsjagden und Tötungsorgien, noch hat die Konzernleitung Allmachtsfantasien. Shion scheint einzig und allein dazu da, Satomi glücklich zu machen. Wie kann das gehen? Immerhin ist sie doch ein KI-Wesen, das konzipiert wurde, um dem Konzern ein neues Erfolgsprodukt zu bescheren.
Yasuhiro Yoshiura, der nicht nur die Story erdachte und am Drehbuch mitschrieb, sondern auch Regie führte und schon mit seinem meisterlichen Erfolgsfilm „Patema Inverted“ (2013) gezeigt hat, dass das Leben (im Anime) mitunter irrsinnige Kapriolen schlägt, hat sich auch für „Sing a Bit of Harmony“ einen abenteuerlichen Twist ausgedacht: Ungewollt, aber maßgeblich beteiligt an der wundersamen Entwicklung des Roboterwesens Shion sind nicht nur Satomis Mutter, sondern auch ein Tamagotchi und Satomis Jugendfreund Toma. So entwickelt sich aus dem Ehrgeiz einer Wissenschaftlerin, der Liebe einer Mutter und den treusorgenden Wünschen eines einst kleinen, indes hochbegabten Jungen aus Kindertagen etwas Wunderbares: eine menschliche KI und eine glückliche Satomi.
Begreifen, was Glück bedeutet
Da wir aber an einem klug gebauten, ebenso spielerischen wie komplexen Anime teilhaben, gehorcht die Dramaturgie nicht nur einem simplen Science-Fiction-Plot, sondern zudem dem des Coming-of-Age-Genres und des Melodrams. Aus den Schülern um Satomi werden Paare, die sich sogleich in Krisen gegenübersehen. Mittendrin agiert Shion als KI, die erst noch lernen muss, was sich hinter der so einfach scheinenden menschlichen Emotion „Glück“ doch für ein komplexes Denk- und Fühlgebäude verbirgt. Erst das Begreifen, was Glück bedeutet, würde aus Shion, der Maschine, einen Menschen machen.
Es könnten also am Ende alle glücklich leben, wenn sie nicht gestorben sind. Doch leider ist „Sing a Bit of Harmony“ kein Märchen aus dem Westen. Yoshiura hat seine Shion zwar viel dichter an Spielbergs „E.T.“ angesiedelt als an Mamoru Oshiis „Ghost in the Shell“. Das bedeutet aber auch, dass sie nicht nur für einen zutiefst positiven Archetypen steht, sondern auch für einen zutiefst verwundbaren. Wobei E.T.s Tod und „Auferstehung“ im Klassiker auch zeigen: ein Fünkchen Hoffnung kann auch in scheinbar ausweglosen Situationen überleben. „Bist du glücklich?“, fragt Shion im Film fast pausenlos. Ja, könnte man nach dem Abspann sagen. Nach diesem Film schon ein wenig mehr.