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Filmkritik
Die Zusammensetzung des US-amerikanischen Kongresses von 1968 ist erschreckend: von den 435 gewählten Abgeordneten sind lediglich elf Frauen, fünf Afroamerikaner und keine Afroamerikanerin. Was heute auf Neudeutsch „Intersektionalität“ heißt – also die Mehrfachdiskriminierung einer Person aus mehreren unterschiedlichen Gründen –, hat damals noch niemand in der breiten Öffentlichkeit als Problem wahrgenommen. Doch genau das traf auf Shirley Chisholm zu. Sie war weiblich und schwarz. Und ihr gelang es trotz der rassistischen und misogynen Widerstände, die erste afroamerikanische Frau im Kongress zu werden.
Gleich zu Beginn des Biopics „Shirley“ sieht man, wie Chisholm (gespielt von Regina King) für ein Foto mit den anderen Abgeordneten posiert und zwischen den weißen und weißhaarigen Männern optisch hervorsticht. Hinter der Kamera wartet stolz ihr Ehemann Conrad Chisholm (Michael Cherrie), vor der Kamera dagegen kassiert Shirley neidische Blicke von den männlichen Kollegen. Besonders der ebenfalls demokratische, aber als Rassist berüchtigte Gouverneur von Alabama, George Wallace (W. Earl Brown), weist die frisch gewählte Mandatsträgerin jeden Tag darauf hin, dass sie nun dasselbe wie er verdient. Sie wird nicht die Letzte sein, entgegnet Shirley ihm resolut. Sie möchte ihren schwarzen Mitmenschen den Weg ebnen.
Sie mag das Wort „can’t“ nicht
Zunächst wird sie jedoch von Parteikollegen dem Landwirtschaftskomitee zugewiesen. Sie protestiert. Aber ihr Frust hält nicht lange an. Shirley Chisholm kommt die Idee, für die amerikanische Präsidentschaft 1972 zu kandidieren. Ihr Mann und ihre Kollegen haben Einwände. Woher sollen die notwendigen Spendengelder kommen? Von schwarzen Arbeitern und Jugendlichen?! Sie mag das Wort „can’t“ nicht. Ein paar Jahrzehnte später wird Obama mit „Yes, we can!“ die Präsidentschaft gewinnen. Aber in den 1970er-Jahren ist die Gesellschaft noch nicht so weit.
Regisseur John Ridley folgt episodenhaft den Herausforderungen von Shirley Chisholm während ihrer Präsidentschaftskampagne. In ihren Reden meistert sie gekonnt den Spagat zwischen dem Betonen ihrer spezifischen Identität und der Ansprache eines möglichst breiten Publikums: „Ich bin nicht die Kandidatin des schwarzen Amerikas, auch wenn ich schwarz und stolz darauf bin. Ich bin nicht die Kandidatin der Frauenbewegung in diesem Land, auch wenn ich eine Frau und genauso stolz darauf bin. Ich bin die Kandidatin des Volkes und mein Auftreten vor Ihnen symbolisiert eine neue Ära in der amerikanischen politischen Geschichte.“
Der Kampf gegen Gegner und Konkurrenten
Ridley zeigt aber auch, dass Politik nicht nur ein idealistischer Wettkampf ist. Gegner wie George Wallace nutzen jede Gelegenheit, sich über die vermeintlichen Folgen einer Liberalisierung, wie zum Beispiel die Kriminalität, zu beschweren. Aber auch wohlwollendere Parteikollegen werden zu Konkurrenten, sobald es um die Präsidentschaftskandidatur geht. Außerdem attackiert ein rassistischer Mann die Kandidatin in der Öffentlichkeit mit einem Messer. Der Schock sitzt tief. Ihr Mann Conrad, der für sie auch als Security-Mann arbeitet, hat für einen kurzen Moment nicht aufgepasst. Zuhause wirft sie ihm sein fahrlässiges Verhalten vor. Versöhnen können sie sich trotzdem.
In diesen intimen Moment zwischen dem Ehepaar wird auch klar, wie viel auf dem Spiel steht. Ein anderes Mal diskutieren sie, ob sie das eigene Geld für die Kampagne verwenden sollen. „It’s my money!“ Politik reicht bis in die Privatsphäre. Hier kommt man den inneren und äußeren Konflikten von Shirley Chisholm sehr nahe. Regina King spielt die selbstbewusste, aber auch mit sich selbst ringende Frau sehr authentisch, wenn man die Schauspielerin mit Archivaufnahmen der echten Politikerin vergleicht.
Die Umrisse der Gegenwart hinter der Retropatina
Leider fällt die Form des Biopics eher konventionell aus. Der obligatorische Sepiafilter, die 1970er-Jahre-Kulissen mit Retropatina und die chronologische Erzählweise machen aus dem spannenden Werdegang ein historisch abgeschlossenes Kapitel der USA. Dass die Spuren eigentlich bis in die Gegenwart reichen, zeigt sich nur in vereinzelten Szenen. Als Shirley an der Uni auf die junge Aktivistin Barbara Lee (Christina Jackson) trifft, bietet sie ihr einen Job im Team an. Aber Lee ist alleinerziehende Mutter ohne berufliche Erfahrung. Für Shirley Chisholm kein Argument. Solche zwiespältigen Entscheidungen für Frauen sind immer noch gegenwärtig. Barbara Lee stimmt schließlich doch zu. Später wird sie Kaliforniens Vertreterin im Repräsentantenhaus werden. Shirley Chisholm ebnete ihr den Weg.