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Filmkritik
„Du bist hier nicht willkommen“. Kalt und bestimmt wehen die Worte dem Eroberer entgegen, als er aus dem Bambusdickicht auf die schattige Lichtung mit dem sanft plätschernden Bach tritt. Höhnisch belächelt er die grazile Frauengestalt in der grünen Robe, die ihn von einem Felsen aus fixiert, und positioniert die Arme mit den schweren Metallarmreifen zum Kampf, wie er es schon hunderte Male davor getan hat. Doch dieser Kampf endet nicht mit der gewaltsamen Unterwerfung eines weiteren Gebiets für sein Reich. Vielmehr mit einem geschlagenen, durchnässten Imperator im sanft plätschernden Bach, umgeben von wirbelnden Bambusblättern und unter dem strengen Blick der Frau, dem er für immer verfallen ist.
In ihrem 25. Spielfilm wagt die Blockbuster-Schmiede Marvel Studios erstmals den Schritt, mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ein Soloabenteuer um einen asiatischen Superhelden auf die große Leinwand zu bringen. Diese Entscheidung erscheint so berechenbar wie überfällig, da insbesondere die chinesische Filmwirtschaft innerhalb der letzten 20 Jahre zu Hollywood aufgeschlossen hat und Jahr für Jahr neue Umsatzrekorde aufgestellt. Doch abseits der wirtschaftlichen Interessen bietet sich für das heldenübersättigte Publikum die Gelegenheit, nach dem redundanten „Black Widow“ endlich wieder frische, unverbrauchte Heldenluft einzuatmen.
Nicht kreativ, aber effizient
Der Mittzwanziger Shaun (Simu Liu) verdient sich in Los Angeles seinen Lebensunterhalt als Hotel-Portier, was ihm eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung und ab und zu Karaoke-Abende mit seiner Arbeitskollegin Katie (Awkwafina) ermöglicht. Als ihn während einer Busfahrt jedoch eine Truppe dubioser Gestalten angreift und seine unscheinbare Jadekette stielt, offenbart er sich gegenüber Katie als Kung-Fu-Kämpfer Shang-Chi. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach Shang-Chis Schwester Xialing (Meng’er Zhang), bevor auch deren Jadestein ihrem machthungrigen Vater Wenwu (Tony Leung) in die Hände fällt.
Als Einstieg wählt Regisseur Destin Daniel Cretton einen kurzen Einblick in den wenig spektakulären Alltag von Shaun, der seit Jahren stets höflich, aber scheinbar antriebslos in den Tag hineinlebt. Dieses Understatement, das Shaun erst zu einem späteren Zeitpunkt als kampferprobten Kung-Fu-Krieger offenbart, birgt zwar keine sonderliche Überraschung noch inszenatorische Raffinesse, setzt die Heldenreise von Shang-Chi aber schnell und effizient in Gang. Der chinesisch-kanadische Nachwuchsschauspieler Simu Liu entpuppt sich als solide Besetzung, der überzeugend den zurückhaltenden, im Bedarfsfall aber knallhart austeilenden Helden verkörpert.
Über seine Herkunft und Ausbildung geben regelmäßig eingestreute Flashbacks Auskunft, die nach und nach eine Kindheit in China sowie das schwierige Verhältnis zu seinem dominanten Vater Wenwu enthüllen. Das generische Vater-Sohn-Konfliktpotenzial sowie die detailreichen Erinnerungssequenzen schaffen es jedoch nicht, Shang-Chi mit einer originellen Entstehungsgeschichte abseits bekannter Superhelden-Klischees auszustatten.
Ein echter Glücksgriff
Für viel Abwechslung sorgt hingegen die US-Schauspielerin Awkwafina. Als enorm selbstbewusste und zugleich herzensgute Draufgängerin bildet sie den perfekten Gegenpart zum eher passiven Shang-Chi. Eine gute Figur macht auch Meng’er Zhang, die als abgebrühte Schwester Xialing ihren Bruder kämpferisch in die Schranken weist und durch ihre physische Taffheit das zermürbende Dasein im Schatten des älteren Shang-Chi gekonnt deutlich macht.
Als größter Glücksgriff erweist sich jedoch der chinesische Schauspieler Tony Leung. Unaufgeregt und mit flüchtigem, aber eindringlichem Habitus skizziert er den unsterblichen Imperator Wenwu als nahbaren Menschen, der seine innere Zerrissenheit und Erschütterung über den Tod seiner Frau durch absolute Gnadenlosigkeit gegenüber seinen Feinden und sogar den eigenen Kindern zu kompensieren versucht. In den Reihen der sonst so profil- und seelenlosen Marvel-Bösewichte erweist sich Wenwu als echte Bereicherung, sowohl im Blick auf seinen Charakter wie auch, was seine physische Bedrohlichkeit anbelangt.
Auch in puncto „Weltdesign“ bricht „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ mit bisherigen Marvel-Konventionen. Nach Stationen in Los Angeles und Macau gleiten Shang-Chi und Katie in eine fantastische Mythenwelt, die ihren Höhepunkt in einem geheimnisvollen Dorf inmitten eines sich bewegenden Waldlabyrinths erreicht. Hier leben riesige Wächterlöwen, grünlich beschuppte Pferde mit Drachenkopf oder brennende Phönixe harmonisch mit den Dorfbewohnern zusammen, die sich für ein Leben abseits der zivilisierten Welt im Einklang mit dem Spirituellen entschieden haben.
Für Shang-Chi bringt die Rückkehr zum Geburtsort seiner Mutter eine Auseinandersetzung mit seiner eigentlichen Identität mit sich, die überlebensnotwendig ist, um seinem übermächtigen Vater und dessen magischen Ringen die Stirn bieten zu können. Allerdings lässt sich die Inszenierung zu einem bombastisch-überbordenden Finale hinreißen, das durch den chaotisch inszenierten Kampf zweier gigantischer Fantasiewesen nur bedingt unterhält und die Vater-Sohn-Thematik abrupt aus dem Spiel nimmt.
Anleihen bei Martial-Arts und Wuxia
Seine größten Stärken spielt der Film immer dann aus, wenn es ans Eingemachte geht. Die Material-Arts-lastige Action wirkt im Vergleich zu den plumpen Faustkämpfen oder energieüberladenen Waffeneskapaden wie in „Avengers: Endgame“ sehr erfrischend. Ob in „Speed“-Manier in einem außer Kontrolle geratenen Gelenkbus oder entlang eines wackeligen Bambusgerüsts an einem Casino-Wolkenkratzer in Macau: Die Kämpfe zwischen Shang-Chi und den Attentätern seines Vaters glänzen mit leichtfüßiger Akrobatik und kampftechnischer Versiertheit, was den Vergleich mit „Kung Fu Hustle“ von Stephen Chow rechtfertigt, wenngleich sie durch den übermäßigen Einsatz von CGI und Greenscreens an Wucht und Übersichtlichkeit einbüßen.
Neben klassischen Martial-Arts-Elementen enthält „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ auch einen beachtlichen Anteil aus dem kunstvoll-fantastische Wuxia-Genre, weshalb die Kamera von Bill Pope im Eröffnungskampf zwischen Wenwu und seiner späteren Geliebten im magischen Bambuswald zunächst an der Seite der beiden wirbelnden Kämpfer schwebt, dann kunstvoll den Anschluss verliert und so dem tödlich-präzisen Paartanz eine elegante Wildheit verleiht. Das verpasst dem Film eine gewisse Exotik, trägt durch die unnatürlich wirkenden Spezialeffekte aber auch dazu bei, dass der Anschluss an meisterhafte Bildkompositionen wie etwa in „House of Flying Daggers“ von Zhang Yimou oder „Tiger & Dragon“ von Ang Lee misslingt.
Marvel liefert mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ einen unterhaltsamen Sommerblockbuster, der seine generische Geschichte und Dramaturgie durch sein fantastisches Weltdesign, ein hervorragend besetztes Ensemble sowie Anleihen beim asiatischen Kampfkunstkino den übermäßigem CGI-Einsatz ansatzweise ausgleichen kann und ein erfrischendes Soloabenteuer jenseits der ausgetretenen Avengers-Wege bietet.