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Filmkritik
Der Schock ist kein bloßer Zustand. Er ist ein Intervall, das sich in Wellenbewegungen ausbreitet und zunehmend alles aus den Angeln hebt. Zu Beginn des titelgleichen Films hat der Schock bereits eingesetzt. Bruno (Denis Moschitto) hat seine Approbation verloren. In der Hoffnung, irgendwann doch wieder als Arzt praktizieren zu dürfen, unterzieht er sich regelmäßigen Drogentests. Was ihn aus der Bahn geworfen hat, was er betäuben musste, wird nur angedeutet. Um über die Runden zu kommen, geistert er fortan durch die Unterwelt von Köln, verarztet die Zwischenexistenzen, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, oder verabreicht Corona-Schutzimpfungen an illegale Arbeitskräfte. Er ist eine Art Samariter, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Gegen die Gewalt und den Tod, der die Körper befällt, ist aber auch er machtlos.
Hier arbeitet niemand freiwillig
Als er in ein Bordell gerufen wird, um eine der Frauen wegen unerträglicher Zahnschmerzen zu behandeln, sagt sein Blick alles. Gerne würde er die Frau aus diesem Höllenloch holen; freiwillig arbeitet dort niemand. Aber dafür ist er nicht gekommen. Er muss den Zahn ziehen. Der Schmerz sticht förmlich auf die Tonspur ein. Metall schabt am Zahnschmelz, unerbittlich und spitz. Es dauert eine Ewigkeit, bei der viel Kraft nötig ist. Blut wird in einen Putzeimer gespuckt, als wäre eine Existenz an diesem Ort nicht schon degradierend genug. Mindestens eine Woche soll die Frau nicht arbeiten, meint Bruno zum schmierigen Zuhälter, wohl wissend, dass der sich einen Dreck um das Wohl der Frauen schert.
Dieser Realismus ist die große Stärke von „Schock“, dem Regiedebüt von Denis Moschitto. Gemeinsam mit Co-Regisseur Daniel Rakete Siegel gelingt es ihm, das verrufene deutsche Genrekino mit einem intensiven Neo-Noir-Thriller zu beleben. In seiner existenziellen Dringlichkeit erinnert dies ein wenig ans Frühwerk von Nicolas Winding Refn. Vor allem der düster-dramatische Thriller „Bleeder“ drängt sich als Referenz auf, in dem sich ein Überlebenskampf innerhalb der kriminellen Unterwelt in ähnlich erschütternder Drastik entlädt, ohne dass der Film darüber seinen Ruhepuls verlieren würde.
In „Schock“ kommt es schließlich zur schicksalshaften Zuspitzung, als Bruno von einer Anwältin (Anke Engelke) beauftragt wird, einen krebskranken Mafioso zu behandeln. Es ist schon schwer genug, die Antikörper zu beschaffen. Die Bezugsquellen sind unzuverlässig und versuchen selbst Profit aus der Angelegenheit zu schlagen. Doch als sich zudem noch herausstellt, dass der eigene Schwager (Fahri Yardim) mit der italienischen Mafia eine Rechnung offen hat, eskaliert die Lage. Gegen die Gewalt und den Tod, der die Körper befällt, scheint in diesem Film jeder machtlos. Gnadenlos zieht es auch Bruno in den Abgrund hinab, wobei der Wunsch, die Menschen zu heilen, einem Senkblei gleicht.
Schmerz & pures Körperkino
Moschitto und Siegel legen das zugrundeliegende menschliche Drama bis auf seine Knochen frei. Die Kamera hält auch dann drauf, wenn die Augen sich abwenden wollen. Gegen Ende des Films gibt es eine Szene, die in ihrer schmerzhaften Drastik im deutschen Kino ihresgleichen sucht. „Schock“ ist pures Körperkino, das einem in die Glieder fährt, durchaus vergleichbar mit „Titane“ von Julia Ducournau, in dem sich die Hauptfigur den Kopf gegen ein Waschbecken schlägt, um sich die Nase zu brechen. Ähnlichkeiten gibt es auch zu den unaufgeregten Gewaltinszenierungen eines Jeremy Saulnier, in dessen Genrefilmen der Schmerz ebenfalls nie unter Spektakel begraben wird.
In „Schock“ hallen die Bilder nach. Alles entfaltet sich langsam und zutiefst menschlich. Die Klaviatur der zermürbenden Abwärtsspirale beherrschen die Macher perfekt. Bis kurz vor Schluss. Was bis dahin selbst in den drastischsten Momenten von einer erzählerischen und psychologischen Subtilität geprägt war, taumelt mit einem dramaturgisch zweifelhaften Satz in einen Racheplot hinein, der kaum angefangen, schon wieder vorbei ist. Darüber kann man sich ärgern. Oder man freut sich über die vorangegangenen Minuten hervorragender Genre-Spannung.