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Filmkritik
Der Pariser Geschichtslehrer Antoine nervt schon seit langem viele Mitmenschen, weil er immer schlechter hört. Doch das ist dem attraktiven Mittfünfziger nicht bewusst oder er ignoriert es nonchalant, zumal es einfach komfortabler ist, nicht reagieren zu müssen, weil man etwas nicht versteht. Allerdings hat dieses Desinteresse zuweilen auch unangenehme Folgen, etwa als ihn seine Freundin Florence wutentbrannt verlässt, weil er ihre Äußerungen über erotische Vorlieben schlicht nicht gehört hat. Ein noch größeres Donnerwetter verursacht jedoch Antoines neue Nachbarin, die aparte Landschaftsgärtnerin Claire, die mit ihrer kleinen Tochter Violette vorerst zu ihrer Schwester Léna gezogen ist, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Denn Violette spricht nicht mehr, seit ihr Vater vor einem Jahr tödlich verunglückt ist. Weil Antoine seinen Wecker mal wieder überhört hat, der dafür Claire ein Stockwerk tiefer umso wirkungsvoller aus dem Schlaf gerissen hat, hämmert sie wild an seiner Wohnungstür und macht ihm schwere Vorwürfe.
Auch bei seinen Schülern stößt der geschiedene Lehrer zunehmend auf Desinteresse, weil er ihnen nicht zuhört und sie sich daher nicht ernstgenommen fühlen. Als eine Kollegin feststellt, dass Antoine sogar einen Probealarm verpasst hat, muss er zum Hörtest marschieren. Das Ergebnis ist für ihn erschütternd: Er braucht sofort ein Hörgerät. Und das in so jungen Jahren! Als er das Gerät endlich im Ohr hat, ist er überrascht über die Fülle von Geräuschen, die er nicht kennt oder jahrelang nicht wahrgenommen hat. Doch das ungefilterte Hören kann auch schmerzhaft sein, zumindest bis sich das menschliche Ohr daran gewöhnt hat.
Der Schwerhörige und die Schweigende
Die Rückkehr ins Reich der gut Hörenden sensibilisiert Antoine zugleich für die Fragilität der schweigenden Violette. Als sie eines Abends allein im Hausgang hockt, kochen die beiden zusammen und verstehen sich auch ohne Worte wunderbar. Dass Violette den leicht verwirrten Sonderling so sehr mag, stimmt auch die zuerst aufgebrachte Claire gnädig. Ihre als Dankesgeste gedachte Einladung zum Abendessen mündet zwar in einem Fiasko, doch der Funke ist übergesprungen.
Das Reizvolle an der romantischen Komödie ist, dass sie die aufkeimende Liebesbeziehung zwischen zwei Erwachsenen, die in ihrem Leben schon einige Störerfahrungen verdauen mussten, geschickt kombiniert mit einer ernsthaften Erzählung über körperliche und seelische Handicaps. In seinem dritten langen Spielfilm vereint der 1967 geborene Regisseur Pascal Elbé, der zugleich die männliche Hauptrolle übernommen und den Film mitproduziert hat, mehr oder weniger witzige Einfälle und reichlich Situationskomik mit einfühlsamen Szenen, die die Erfahrungswelt von Behinderten ausloten. Letzteres beschränkt sich nicht auf den Mikrokosmos von Schwerhörigen, sondern umfasst auch die Problemfelder Sprachverlust und Alterssenilität.
Denn der Filmemacher macht in einer ausführlichen Nebenhandlung deutlich, dass Antoine nicht der einzige in der Familie mit einem schwerwiegenden Handicap ist. Seine Mutter, die allein in einer alten Villa am Meer wohnt, bekommt immer mehr Erinnerungslücken, sodass Antoine und seine Schwester Jeanne erwägen, sie in einem Altersheim unterzubringen.
Das Mädchen wird zum Rettungsanker
Zugleich wird ausgerechnet die kleine Violette für den Sonderling zur Seelenverwandten und zum Rettungsanker: Sie erkennt intuitiv, dass beide außerhalb der Norm stehen: Er hört fast nichts mehr und sie spricht nicht mehr. Gerade durch ihre beschränkte Kommunikationsfähigkeit stehen sie sich näher als gesunde Menschen und verstehen sich auch, ohne zu sprechen.
Elbé und der hochtalentierten Manon Lemoine gehören denn auch die stärksten Szenen des Films, bis hin zur erlösenden finalen Wendung auf einem öden Autobahnparkplatz. Schade, dass der Regisseur diesen starken Erzählstrang nicht ausgeweitet und vertieft hat. Auch zwischen Elbé und der wieder mal famosen Sandrine Kiberlain als Claire stimmt die Chemie durchaus, allein ihre Romanze ist zu formelhaft und vorhersehbar, um nennenswert zu überraschen.
Dass Elbé in seinem Drehbuch Erfahrungen mit der eigenen Schwerhörigkeit verarbeitet hat, zeigt sich deutlich in den detailfreudigen Schilderungen der oft humorvollen Situationen, die sich aus dem hindernisreichen Kampf gegen alltägliche Verständnisschwierigkeiten ergeben. Etwa wenn Antoine erstmals durch einen enormen Lautstärkesprung vom gewohnten Ist-Zustand zum leistungsstarken Hörgeräte-Standard konfrontiert wird. Allerdings wirken manche Gags auch plakativ oder aufgesetzt. Zum Beispiel wenn ausgerechnet kurz nach einem Beischlaf Claire und Antoine aneinander vorbeireden, weil der Akku des Hörgeräts ausgefallen ist. Außerdem hapert es manchmal mit der Plausibilität: Wer soll beispielsweise glauben, dass im beruflichen Umfeld über Jahre hinweg niemand bemerkt hat, dass Antoine sich der Taubheit nähert?