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Filmkritik
Die Königstochter beißt zu. So fest, dass das Blut aus dem Unterarm ihres Opfers spritzt. Mit ihren großen Zähnen zieht die junge Frau mit den langen blonden Haaren und dem blauen Kleid den Mann aus dem Fenster des durch die Nacht rasenden Zugs. Während der Mann schreit und um sein Leben fürchtet, pfeift ein Junge im Abteil ruhig eine Melodie. Es ist nur ein Traum, zum Glück. Auch wenn dem Träumenden die Figuren nur allzu vertraut sind: Er wurde von einer zur Fratze verzerrten Version der eigentlich lieblich wirkenden Infantin Margarita Teresa aus dem Gemälde von Diego Velázquez heimgesucht. Und Frank Duvenecks „Pfeifender Junge“, durch eine riesige Schnecke im Arm grotesk verfremdet, war der stille Beobachter. Nichts ist, wie es eigentlich sein sollte, in diesem außergewöhnlichen, verrückten animierten Pop-Kunst-Genre-Mash-Up des slowenischen Künstlers Milorad Krstić.
An seiner Wahrnehmung zweifelt dementsprechend auch der Titelheld Ruben Brandt, ein angesehener Kunsttherapeut. Immer wieder plagen ihn Albträume, in denen er von Figuren aus Gemälden attackiert oder verführt wird. Um seinen Ängsten Herr zu werden, bläst er bald selbst zum Angriff. Mit der Unterstützung von vier Patienten beginnt er, den Raub jener Gemälde, die ihm so sehr zu schaffen machen, aus den berühmtesten Museen der Welt zu planen, von Manets „Olympia“ bis zu Hoppers „Nighthawks“.
Ein Film, der seinem Publikum den Kopf verdreht
„Ruben Brandt“ ist ein Film, der seinem Publikum den Kopf verdreht. Die Figuren sehen aus, als ob sie einem kubistischen Gemälde entsprungen wären, haben Janusköpfe, drei oder noch mehr Augen, zwei Nasen, sind flach wie Papier – und bewegen sich doch sehr elegant. Mehr noch: Die gesamte Welt dieses flächigen 3D-Animationsfilms wirkt so, als ob sich der Rahmen berühmter Gemälde geöffnet und den Blick in ein ganz eigenes Universum freigegeben hätte. Wie der Protagonist immer wieder in die Welten von Kunstwerken gesogen wird – wer beim Anblick von Botticellis „Geburt der Venus“ immer nur auf die Protagonistin geachtet hat, hat sich womöglich noch nie gefragt, welche Ungeheuerlichkeiten sich in dem Wasser befinden mögen, auf dem sie ihre Muschel schwimmt –, so taucht auch das Publikum in diese kunstvoll gestalteten Szenerien ein. Selbstverliebt und selbstzweckhaft wirkt dies glücklicherweise kaum, sondern ungemein selbstbewusst.
Krstić, bekannt durch seine Arbeiten als Multimedia-Künstler, jongliert mit Einflüssen unterschiedlichster Art, von Werken der bildenden Kunst des 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart, über Film- und Musikzitate bis hin zu populären Filmgenres. Vor allem der Film noir, der Actionfilm, der Psychothriller und das Heist-Movie haben es ihm dabei angetan.
Actionszenen verbinden Kino und bildende Kunst
Großartig choreografierte Actionszenen säumen den Film, die man sich mühelos als animierte Storyboards für einen Realfilm vorstellen könnte und die meisterhaft die beiden Welten zusammenbringen, die Krstić hier remixt. Er beweist nicht nur sein Gespür für die Regeln des populären Unterhaltungskinos, sondern auch seine Kenntnis für die bildende Kunst. Beiden zollt er gleichermaßen Tribut, wenn er etwa eine Kunstdiebin zeigt, die auf ihrer Flucht akrobatisch Salti schlägt und von Hochhaus zu Hochhaus springt – und dabei Figuren mit dem Gesichtsausdruck von Munchs „Schrei“ oder der Pose von Vermeers „Milchmädchen“ passiert.
Auch wenn die Handlung inmitten starker „Set Pieces“ manchmal etwas zum Erliegen kommt, schlagen die schier unglaubliche Fabulierfreude und die originellen Bilder doch immer wieder in Bann. Dem eher konventionellen Plot mit einem klugen Dieb in der Identitätskrise und seinen mal mehr, mal weniger smarten Verfolgern steht eine Ästhetik gegenüber, die stets mit Überraschungen aufwartet. „Die Kunst ist der Schlüssel zu den Verwirrungen des Geistes“, heißt es dazu einmal treffend am Beginn.