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Filmkritik
Ordnung sei für ihn wichtig, erzählt der 48-jährige Taxifahrer Thomas Brenner (Devid Striesow) gleich zu Beginn aus dem Off. Deshalb hängt seine Sammlung mit Matchbox-Autos auch penibel geordnet in einem Schaukasten an der Wand. Sein Großvater sei bei der SS gewesen, sein Vater bei der Stasi. Nach der Wende habe dieser die Orientierung verloren und Selbstmord begangen. Er selbst möchte lieber unauffällig bleiben. Deshalb schaue er seinen Kunden, die im Kurort Baden-Baden die immer gleichen Routen vom Bahnhof in die Innenstadt und zurück wählen, nie in die Augen.
25 Jahre steckt er schon als Single in diesem monotonen Leben und es könnte immer so weitergehen, wären nicht eines Tages drei Russen mit dem Kampfhund Roxy in seinen Wagen gestiegen, der schon 14 andere Hunde zu Tode gebissen hat. Sie überschütten Brenner für den kleinsten Gefallen mit Geld, fordern aber auch Extrawünsche ein, etwa das Besorgen von familientauglichem Wohnraum oder gefälschten Pässen.
Mann ohne Eigenschaften
Devid Striesow gibt sich wie gewohnt brillant Mühe, seiner Figur ohne Eigenschaften den Anschein eines unbedarften Tölpels zu geben. Jedes Zucken im Gesicht ist als eine von vielen Facetten des Charakters zu lesen, jede mit Angst gefüllte Grimasse führt in die Irre. Denn wenn er mit einem seltsam unterkühlten Sarkasmus von den opportunistischen „Karrieren“ in seiner Familie erzählt, ahnt man, dass in ihm mehr schlummert als nur der Unwille, aus der Masse herauszustechen. Als Roxy grundlos eine Passantin anfällt, greift Thomas nicht ein. Er überbringt lediglich das Schmerzensgeld der Russen und lächelt süffisant, als die zuerst empörte Frau die mehreren Tausend Euro letztendlich blitzschnell einsteckt.
Fortan arbeitet er nur noch für die zwielichtige Truppe. Das Trio um den „Geschäftsmann“ Levan (Vakho Chachanidze) erweitert sich um seine ätherische Frau Liza (Camilla Borghesani) und den gemeinsamen 8-jährigen Sohn Vova (Raphael Zhambakiyev). Zunächst steht Thomas nur als Chauffeur zu Diensten. Als Levan in einem Restaurant einen Konkurrenten erschießt, dämmert es Brenner, dass er sich mit Gangstern eingelassen hat, die auf der Flucht allmählich ihr Nervenkorsett überstrapazieren. Je länger er die Auswirkungen des Drucks auf die anderen beobachtet, desto perfekter gelingt es ihm, ihre Schwächen für sich zu nutzen und sie gegeneinander auszuspielen.
Eine Bekannte, mit der er gelegentlich unverbindlichen Sex in einem Nachtclub hat, stellt den Kontakt zu skurrilen Theaterschauspielern her, die im Nebenberuf illegale Papiere besorgen können. Das Warten schlägt nicht nur den Männern aufs Gemüt, die allmählich Aggressionen gegeneinander entwickeln. Auch Liza erträgt die brutalen Rivalitäten nicht mehr, weswegen sie die Zeit in Schwimmbädern und teuren Hotels mit Unmengen von Wodka totschlägt. Begleitet wird sie von Brenner, der die Lage zwar nie ausnutzt, aber sich der Betrunkenen auf eine Art nähert, die keinen Zweifel daran lässt, dass er sie als Lebenspartnerin an seiner Seite wünscht.
Frei von moralischen Skrupeln
Bevor es zur Übergabe der Pässe kommt, tauchen Männer auf, die vorgeben, als Vertreter einer staatlichen russischen Organisation Levan auf der Spur zu sein, um ihn zu verhaften. Das aber lässt eher darauf schließen, dass der Gangster in einer gehobenen Liga mitspielt. Ist er ein in Ungnade gefallener Oligarch? Oder ein Regimegegner? Zumindest ahnt Brenner, dass die Luft um ihn immer dünner wird. Levan überlässt ihm den Zugang zu seinem Bankkonto und bittet ihn, sich im Fall seines Todes um seine Familie zu kümmern. Als vermeintlich diskreter Vermittler und Gegenteil zum „Taxi Driver“ Travis Bickle nutzt er die Situation zu seinem Vorteil. Auf dem Höhepunkt einer frisch gewonnenen Menschenkenntnis und gänzlich frei von moralischen Skrupeln soll ihm auf dem Weg in ein sorgenfreies Luxusdasein nichts mehr in die Quere kommen.
Der aus Georgien stammende Regisseur Dito Tsintsadze hat sichtlich Freude an seiner zunächst unverschuldet überrumpelten Figur eines schnell lernenden Profiteurs. Untermalt wird das an den Kosmos der Coen-Brüdern erinnernde Geschehen mit elegischer Barockmusik, bevorzugt von Johann Sebastian Bach, was wiederum an den Pasolini-Klassiker „Accattone“ denken lässt. Die Rolle des alle Türen öffnenden Beschaffers schmeichelt dem eingerosteten Ego des Taxifahrers und lässt es ins Monströse wachsen. Was nicht heißt, dass der überwiegend kammerspielartig in engen Räumen inszenierte Plot in Actionszenen oder wilden Schießereien schwelgen würde, flankiert von rasenden Schnitten und üppig fließendem Blut. Im Gegenteil. Die Kamera registriert sachlich das Töten. Es ist schwere Arbeit und verwandelt die Russen in melancholische Psycho-Wracks. Nur Brenner fällt jede weitere Grenzüberschreitung immer leichter.
Porträt eines Verlierers
Mit Devid Striesow ist dieser Part optimal besetzt. Wenn er sich zum ersten Mal an einem Mord beteiligt, bebt sein ganzer Körper zunächst vor Entsetzen über sich selbst, nur um in der nächsten Minute die eigene Courage zu genießen. Dann spricht er aus dem Off über das angenehme Gefühl der Macht und man ahnt, dass er sich dieses nicht mehr wegnehmen lässt. Tsintsadze nutzt mit satirischen Einsprengseln und einem wunderbar trockenen Humor das Gangsterfilm-Genre, um das psychologisch reiche Porträt eines Verlierers zu entfalten, der sich unter knallharten Osteuropäern als kriminelles Naturtalent erweist. Ein ambivalenter Einzelgänger eben.