- RegieUlrich Seidl
- Dauer114 Minuten
- GenreDrama
- Cast
- TMDb Rating8/10 (1) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl erzählt in „Rimini“ von Trugbildern und Illusionen. Eine gleichermaßen grausame wie komische Szene gibt den Ton vor. Ein offensichtlich verwirrter alter Mann im Rollstuhl (Hans-Michael Rehberg) versucht darin aus seinem Pflegeheim auszubüxen. Eine Fototapete lockt den Flüchtenden in eine vermeintliche paradiesische Naturlandschaft, hinter der sich in Wahrheit jedoch nur eine Wand befindet.
Hauptsächlich aber widmet sich Seidl dem Sohn des alten Manns, dem abgewrackten Schlagersänger Richie Bravo (Michael Thomas), der im winterlich leergefegten Küstenort Rimini Konzerte für österreichische Rentnerinnen gibt. Er ist gewissermaßen eine menschgewordene Fototapete: Als Alleinunterhalter mit goldenem Anzug und langen blondierten Haaren badet er in großen Gefühlen, witzelt kumpelhaft und spielt souverän mit den Fantasien und Sehnsüchten seines Publikums.
Zubrot als Gigolo
„Rimini“ interessiert sich vor allem für die Abgründe, die hinter dieser Kunstfigur stecken. Die unerschütterlich gute Laune, der Glamour und die Weltgewandtheit verschleiern letztlich nur, dass Richie in Wahrheit ein ziemlich prekäres Leben führt. Zur Stärkung braucht er ständig einen Schluck aus der Schnapsflasche, und als Zubrot muss er sich bei seinen Fans als Gigolo verdingen.
Michael Thomas verkörpert seine Rolle mit Haut und Haaren. Sein Richie ist ein schmieriger Prolet mit ranzigem Charme, der einem durch seinen Überlebenskampf aber auch näherkommt. Der Versuchung, sich dem Schlager nur über eine Parodie zu nähern, widersteht Thomas in seinen exzessiven Darbietungen, die immer auch die Qualität der Lieder von Udo Jürgens & Co. zum Vorschein bringen. Auch die Fans sind großartig, allen voran das Obergroupie von Inge Maux, die ihrem Richie mit leuchtenden Augen und kindlicher Unbedarftheit jede Lüge abkauft.
„Rimini“ ist Teil eines Diptychons, dessen zweiter Teil „Sparta“ sich Richies hier nur kurz auftretendem Bruder Ewald (Georg Friedrich) widmet. Seidl interessiert sich dabei einmal mehr vor allem für das Hässliche. Die glanzlosen Sexszenen wirken traurig und angestrengt, die Provokationen mit rassistischen Sprüchen und Hitlergrüßen kalkuliert und erwartbar.
Die Verleugnung der Endlichkeit
Aber „Rimini“ ist auch ein ehrlicher und fast zärtlicher Film übers Älterwerden. Während Richies Vater freudlos im Pflegeheim vor sich hinvegetiert, kämpft sein Sohn mit Geldnot, Alkoholsucht und Erektionsproblemen. Seine schillernde Existenz ist eine reine Verleugnung der eigenen Vergänglichkeit. Der Tod lauert buchstäblich um die Ecke. Als Richie wieder einmal grobschlächtig und vulgär über eine Stammkundin (Silvana Sansoni) herfällt, siecht nebenan ihre sterbende Mutter vor sich hin.
Das Kino von Ulrich Seidl ist immer dort am besten, wenn es nicht vorrangig erzählen will, sondern auf organische Weise leicht unangenehme Situationen schafft, denen man sich als Zuschauer nicht entziehen kann. Die größte Schwäche von „Rimini“ ist hingegen ein hölzerner Handlungsstrang, der zu bemüht dramatisiert. Denn eines Tages steht Richies entfremdete Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) vor ihm, die die jahrelang ausgebliebenen Unterhaltszahlungen einfordert. Wie zuvor trifft der ernüchternde Alltag auf die glanzvollen Träume des Schlagers, aber diesmal ist der Einbruch der Wirklichkeit allzu konstruiert. Die offensichtlich improvisierten Gespräche zwischen Vater und Tochter wirken wie eine Aufwärmübung, bei der die beiden Darsteller noch nicht richtig in ihre Rolle gefunden haben.
Ohne zu wissen, wohin
Auch formal ist „Rimini“ hin und wieder etwas zu gewaltsam gestaltet. Im Zentrum finden sich die charakteristisch streng komponierten Einstellungen von Kameramann Wolfgang Thaler. Am Rande aber werden mehrmals Flüchtlinge drapiert, um ins Bewusstsein zu rufen, dass es auch Leute gibt, denen es noch dreckiger als dem Protagonisten geht. Und wenn die Kamera Richies Publikum in einer symmetrischen Totalen festhält, soll die Situation noch nackter und trostloser wirken. Deutlich spannender ist es hingegen, der sturzbesoffen torkelnden Hauptfigur zu folgen, ohne schon vorher zu wissen, wo sie letztlich landen wird.
„Rimini“ lebt nicht von seinen großen Handlungsbögen, sondern von starken Einzelmomenten und einem virtuosen Hauptdarsteller. Bezeichnenderweise ist es die überzeugendste Begegnung zwischen Richie und Tessa, wenn er plötzlich in seine Bühnenrolle schlüpft und ihr ein Lied vorsingt. All die Liebe und Zuwendung, die er seiner Tochter immer versagt hat, packt Richie nun in einen schmalzigen Schlager, der trotz seiner Künstlichkeit auf rührende Weise aufrichtig wirkt.