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Filmkritik
Der neue Film von Adrian Goiginger beginnt in einem Werkzeugschuppen einer Friedhofsgärtnerei. Der Tod ist schließlich nicht nur Poesie, er ist auch Handwerk. Das hat er mit der Musik gemeinsam. Es dauert keine vier Minuten, bis ein unrechtmäßig ausgebuddelter Schädel dem Barden vor die Füße rollt, der hier zwischen Gießkannen und mit Bandbegleitung das schöne Lamento „Wehauweh“ intoniert hatte, in dem sich das Lyrische Ich fragt, wer ihm dereinst das Grab schaufeln werde. Schnitt: Kündigungsgespräch Chef-Bestatter und Barde, Grund: Störung der Totenruhe. Der Musiker steht wieder auf der Straße.
Künstlertum in Wien, so hat es im Kino offenbar immer noch zu sein, ist ständig dem Tod abgetrotzt, ein stets mit dem Ende rechnendes, vorzugsweise in Liedform gegossenes Lebensgefühl des ewigen Scheiterns. Die Tragikomödie um den fiktiven, erfolglosen Musiker Erich „Rickerl“ Bohacek, verkörpert vom in Österreich durchaus erfolgreichen Voodoo Jürgens (bürgerlich bekannt als David Öllerer), feiert in Öllerers eigenen Liedern und mit dezenten Verbeugungen vor den Vätern des melancholischen Austropop, etwa Wolfgang Ambros, ein nicht totzukriegendes, aber bedrohtes Wien-Bild.
Sich einen Reim machen
Doch Sentimentalität ist nicht Goigingers Sache, das hat er schon in seinem Debütfilm „Die beste aller Welten“ und zuletzt in „Der Fuchs“ bewiesen. Gerade im Nüchternen, Ernüchternden findet der Regisseur genügend Sollbruchstellen, durch die das große Gefühl dringen kann. Selbst im sonst für Süßlichkeiten sehr anfälligen Bereich der Kinderdarsteller zeigt sich Goigingers Gabe, dem sich aus dem Moment heraus entwickelnden Ausdruck Raum zu geben. In „Rickerl“ heißt der Glücksgriff Ben Winkler. Er spielt Rickerls sechsjährigen Sohn Dominik als beobachtungsfreudige kleine Persönlichkeit, die sich schon früh ihren Reim macht auf die Geschichten der Älteren.
Rickerl selbst indes scheint mehr Angst vor einem möglichen Erfolg als vor dem vertrauten Scheitern zu haben. Seinem Manager hat er seit Jahren nichts Brauchbares mehr geliefert. Ein Radiointerview, das ihm endlich Aufmerksamkeit verschaffen könnte, schlägt er kurzfristig aus, und das Arbeitsamt verlangt auch mehr Engagement. Melancholisch schlurft der aschblonde Enddreißiger durch die Stadt, immer rauchend und seinen abgewetzten braunen Gitarrenkoffer auf dem Rücken, manchmal wird er von seinem spielsüchtigen Vater heimgesucht, der viel von sich, aber wenig vom Sohn hält.
Lächeln sieht man den Antihelden nur dann, wenn er alle zwei Wochen Dominik im Neureichenviertel abholen darf. Dort lebt seine Ex-Freundin Viki (Agnes Hausmann) mit ihrem Verlobten, dem Deutschen Kurti (Claudius von Stolzmann). Wenn Rickerl dann in seinem Stamm-Beisl mit geschlossenen Augen seine Lieder übers Leben singt, während seine alten Kumpane ergriffen lauschen, lächelt er. Die Kneipenrunde leidet ebenfalls unter der Trennung des Paars; sie seien „wie Scheidungskinder“, heißt es einmal.
Reisen durch die Zeit
Adrian Goiginger, Jahrgang 1991, kann aus eigener Anschauung eigentlich gar nicht wissen, wie das „alte“ Wien ausgesehen hat, schon weil es in seiner Heimatstadt Salzburg keine vergleichbare „Beisl-Kultur“ gibt. Aber in jedem seiner Filme zeigt er aufs Neue, dass er keine Scheu vor Zeitreisen hat, und seien sie, wie hier, als Gegenwart getarnt. Goiginger hält sich einfach an seine nur scheinbar schlicht gestrickten, immer wieder neu zu ergründenden Hauptfiguren und entwickelt die Stimmigkeit von Geschichte und Atmosphäre aus der so genauen wie leichtfüßigen Beobachtung der Protagonisten. Wer wie er den Mut aufbringt, sogar in die eigene, nicht gerade unproblematische Kindheit mit einer drogenabhängigen Mutter einzutauchen, wie er das in „Die beste aller Welten“ getan hat, dem darf man auch ein Wien anvertrauen, das es so eigentlich nicht mehr gibt.
Diese Reibung der Realitäten liefert die eigentliche dramaturgische Spannung, obwohl es vordergründig auch um die Liebe und den künstlerischen Erfolg geht. Leidenschaftlich und doch distanziert feiert „Rickerl - Musik is höchstens a Hobby“ das Vergangenheitsbeharren seines Protagonisten. Die ockergelb patinierte Kneipenkultur wirkt wie eine Trutzburg inmitten einer von Berlin-Prenzlauer-Berg kaum zu unterscheidenden Zugezogenen-Kultur. Früher war noch nicht „alles Oasch“, wie es mal heißt. Die Gegenwart wirkt in den körnigen, rauchverhangenen Bildkompositionen von Paul Sprinz echt und unwahrscheinlich zugleich, was vor allem in den auch sprachlich hochvirtuos gebauten und zugleich extrem lässigen Kneipenszenen zum Tragen kommt. Immer und überall wird geraucht, selbst beim Arbeitsamt, wie im Traum. Oder so, als hätten Goiginger und Voodoo Jürgens es aufs empörte Hüsteln des Publikums angelegt.
Einmal nimmt Rickerl seinen Sohn sogar mit zu seiner neuen Arbeitsstelle, einen Erotikladen, und lässt ihn dort die ersten, noch unverfänglichen Minuten der Sexkomödie „Die liebestollen Dirndl von Tirol“ ansehen. Ob der Antihelden-Papa so zum Superhelden werden, die Liebste aus den Fängen des Piefke-Drachen befreien und das Herz des Sohns wiedergewinnen kann?
Im Original mit Untertiteln
Goiginger versteht es zu rühren und zu scherzen, aber er schafft es erneut, auf sozialmelodramatische Aufdringlichkeit zu verzichten. Rickerls Gegenwarts-Skepsis darf sich selbst behaupten und braucht keine Begründung. Es reicht, wenn er „Und schön langsam is des alles nimmer deins“ singt. Der sehr sprachverliebte Film, der in Deutschland mit Untertiteln ins Kino kommt, lebt von der Musikalität des Wienerischen mindestens genauso wie von der Musik. Wienerisch, schrieb der österreichische Kabarettist Peter Wehle einmal, sei „weit mehr als nur ein ostmittelbairischer Dialekt. Er ist eine rhythmische Philosophie mit Humor“. Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Im Wiener Rhythmus und in den Worten selbst schlummert auch eine Gewalttätigkeit, bei der jeder Spaß aufhören würde, wenn das Metaphorische und Spielerische ins Tatsächliche kippen würde.
„Man kann des System schon a bisserl in Frage stellen“, sagt Rickerl einmal zur Mitarbeiterin des Arbeitsamtes (Nicole Beutler). Doch weder er noch Goiginger leiten daraus ein politisches Programm ab oder eine sich zusammenbrauende Gewaltfantasie. Rickerl verkörpert den Modernisierungsverweigerer, der sich selbst genügen würde, verschonte man ihn nur mit der Notwendigkeit des Gelderwerbs. Sein Desinteresse am Fortschritt ist schon mangels Smartphone und sozialer Medien noch nicht menschenfeindlich geworden, es hat sich noch nicht mit anderen zum Hasskollektiv formiert, um eine Welt wiedererrichten zu wollen, die es so ohnehin nie gegeben hat.