Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Matt (Liam Neeson) ist ein Problemlöser. Er hält das Geschäft am Laufen, das seit Jahren eigentlich nicht mehr läuft. Auch heute holt er einen Investor zurück ins Boot, der in den letzten 24 Stunden knapp 13 Millionen Euro verloren hat. Der charmante „Mut zum Risiko“-Vortrag, den er so routiniert wie passioniert in die Freisprechanlage zitiert, heilt alle Wunden.
Die einzigen, die Matt nicht überzeugen kann, sitzen auf dem Rücksitz. Teenager-Sohn Zach (Jack Champion) rollt bereits beim ersten Satz mit den Augen, die jüngere Tochter Emily (Lilly Aspell) lenkt sich mit dem Smartphone ab. Bei der Familie funktionieren die Tricks des Geschäftsmannes nicht. Der Sohn winkt bereits dort ab, wo sich der Vater für seine Ansage vor ihm aufbaut. Die Tochter gibt ihr Bestes, um die Papa-Pose des abwesenden Erzeugers anzunehmen, aber bereits der kleinste Test lässt die väterliche Hingabe in sich zusammenklappen. Natürlich kann Matt nicht zu ihrem Fußballspiel kommen – der nächste Geschäftstermin wartet ja schon.
In der Rolle des Beschützers
Der Vater laviert sich so elegant es geht aus der Verantwortung, bis ihn der nächste Anruf erreicht. Keine vertraute, sondern eine verzerrte Stimme spricht am anderen Ende der Leitung. Das Gesagte zwingt den Geschäftsmann schnell, seine Pose aufzugeben und sich tatsächlich an der Rolle des Vaters zu versuchen. Genauer gesagt: an der Rolle der stereotypen Vater-/Beschützer-Figur. Denn unter dem Fahrersitz ist eine Bombe montiert, die zündet, sobald Matt aufhört, den Instruktionen des unbekannten Anrufers Folge zu leisten, oder einer der Insassen das Fahrzeug zu verlassen versucht.
Liam Neeson ist damit ein weiteres Mal in der Rolle angekommen, für die er seit „Taken“ (2008) regelmäßig gebucht wird, weil er das Kunststück fertigbringt, auch dem generischsten Rache-Schwur einen Anflug von Ernsthaftigkeit einzuhauchen und dabei zugleich glaubhafter Durchschnittsbürger und gefechtserfahrener Ruheständler zu sein. Das aber spielt diesmal keine Rolle. Denn die Bombe des unbekannten Anrufers bindet ihn für die Laufzeit des Films an den Fahrersitz.
Paradoxerweise ist es die Ausweglosigkeit des Szenarios, die Neeson ein wenig mehr Raum gibt, die generische „Vater kämpft um seine Familie“-Rolle mit etwas Verletzlichkeit auszufüllen. Bald erscheint es, als wäre es eben nicht die Bombe, die Matt in den Sitz seines Luxusautos drückt, sondern die Erkenntnis, nicht mehr Teil der eigenen Familie zu sein.
„Retribution“ ist bereits die vierte Variation des vom Spanier Alberto Marini erdachten Stoffes, der zum ersten Mal mit „Anrufer unbekannt“ (2015) verfilmt und in „Steig. Nicht. Aus!“ (2018) von Christian Alvart und in „Hard Hit“ (2021) von Kim Changju neu aufgelegt wurde. Für Liam Neeson ist es nach „Unknown Identity“ (2011) auch die zweite Berliner Sightseeing-Tour in seinem späten Neeson-Actionthriller-Œuvre. „Retribution“ ist jedoch kein allzu spektakulärer Neuzugang. Interessant ist der Film dennoch, obschon nicht unbedingt als Thriller, sondern als Film über Kommunikation.
Ein versierte Genre-Handwerker
Wenn Matt von seiner Luxuskarosse zur nächsten funkt – auch seine Kolleginnen werden in das tödliche Spiel des Anrufers verwickelt –, und die Investoren aus ihren Blechgefängnissen Telefongespräche führen, wird ihr Überlebenskampf zur Metapher für die raubtierkapitalistischen Praktiken des Aktienhandels. In einem von Zwischenmenschlichkeit befreiten, mit Luxusarmaturen vollgestopften Raum spielen sie Risikomanagement um die Wette und lassen die Leichen derer zurück, die das Spiel verlieren oder einfach das Pech hatten, ohne eigenes Zutun in das Spiel verwickelt zu werden.
„Retribution“ ist allerdings weder ernsthaft an den Sünden des Spekulationsmarktes noch an gesellschaftspolitischen Zusammenhängen interessiert. Das müsste nicht unbedingt ein Problem sein, doch auf den mit viel Suspense und den notwendigen erzählerischen Ungewissheiten gefütterten Beginn des Films folgt kein wirklich überzeugendes Genrestück. Das ist auch deswegen schade, weil die Feinheiten der Inszenierung stimmen. Regisseur Nimród Antal beweist sich erneut als grundsolider Genre-Handwerker, wie er es nach seinem fantastischen Spielfilmdebüt „Kontroll“ (2003) mit „Motel“ (2007) und „Predators“ (2010) auch in Hollywood fortsetzte.
Auch diesmal ist Antal sichtlich in seinem Element, wenn er die Details des reduzierten Settings elegant zu spannungsgeladenen Szenen zusammenbastelt. Nur wollen die kleinen, präzise inszenierten Rädchen den Gesamtapparat nicht wirklich zum Laufen bringen. So steuert der Luxuswagen nicht auf eine tragische Kollision mit dem Schicksal zu und rast nicht in atemlosen Verfolgungsjagden durch Berlin, sondern rollt im Leerlauf seinem Ende entgegen.