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Filmkritik
Zu einer Zeit, da das Genre des Wildwestfilms kaum noch interessante Filme hervorbringt, hinkt Deutschland - wie bei jeder filmischen und filmkritischen Entwicklung - der Western-Renaissance in den USA und Frankreich fleißig nach. "Ringo", "Nevada" und "Ritt zum Ox-Bow" machten den Anfang. Nun versucht auch die United Artists von der späten Vorliebe deutscher Cineasten für die rauhen Helden des legendären Westens zu profitieren, indem sie den 1948 gedrehten Film "Panik am roten Fluß" unter seinem Originaltitel "Red River" erneut herausbringt. Man verfolgt das Ergebnis im Kino mit gemischten Gefühlen; denn während man sich andernorts für die ursprünglichen Fassungen einsetzt, erscheint Howard Hawks Film in einer unvertretbar verstümmelten Version. Von den 125 Minuten des Originals sind nur 92 Minuten für den deutschen Kinogänger übriggeblieben. Die vielfach gerühmten formalen Qualitäten lassen sich dementsprechend nur schlecht feststellen; miserable Verzahnungen verschiedener Sequenzen dürften eindeutig auf das Konto der Bearbeiter zu buchen sein, die damit beweisen, daß es jedenfalls diesem Verleih nicht um eine Ehrenrettung des Westerns, sondern um ein berechnend kalkuliertes Geschäft im Gefolge der Western-Welle geht. Wie eindrucksvoll der Film tatsächlich sein muß, läßt sich selbst nach Besichtigung des deutschsprachigen Torsos ahnen, der immerhin noch zu den Glanzpunkten unter den Western gezählt werden muß. Thomas Dunson und Groot Nadine haben sich einem Siedlertreck nach Kalifornien angeschlossen. In der Nähe des Red River beschließt Dunson, auf eigene Faust Land zu suchen. Der junge Matthew Garth stößt nach einem Indianerüberfall zu ihnen. Vierzehn Jahre später - der Bürgerkrieg ist gerade zu Ende - ist aus den paar Rindern eine stattliche Herde geworden. Doch Texas bietet keine Absatzplätze für das Vieh. Also macht sich Dunson mit seinen Leuten auf den Weg nach Missouri. 10 000 Rinder müssen über viele hundert Meilen zur nächsten Eisenbahnlinie getrieben werden. Dunson versucht, das allen möglichen Hindernissen ausgesetzte Unternehmen mit unerbittlicher Härte zu Ende zu führen. Wer sich seinen Befehlen widersetzt, wird niedergeschossen. Da entsteht ihm in Matthew, den er wie seinen Sohn erzogen hat, ein entschlossener Widersacher. Als alle Vorhaltungen nichts fruchten, reißt Matthew das Kommando an sich. Er läßt Dunson allein zurück und bringt die Herde statt nach dem weiter entfernten Missouri nach Abilene, wo er sie für Dunson mit hohem Gewinn verkauft. Doch auch das günstige geschäftliche Ergebnis kann die Abrechnung zwischen den beiden ungleichen Männern nicht verhindern. Mehr noch als "Nevada" kommt diesem Film Bedeutung im Dokumentarischen zu. Auf eine freilich ganz andere Weise spielen hier die Folgen des Bürgerkriegs herein. Der kontinuierliche Ausbau von Transportwegen wurde durch die Kriegsjahre gehemmt. Vor allem die Texaner sahen sich nach ihrer Heimkehr dem Problem ausgesetzt, Kontakt zu den viele Tagesritte entfernten Absatzmärkten zu gewinnen. So entstanden die großen Trecks: einzige Möglichkeit, das Vieh zu verkaufen und die Ranches vor dem Untergang zu bewahren. Zahlreiche Filme haben das Thema dieser Viehtreiben als Handlungskulisse benutzt. In "Red River" spielt es zum ersten Mal die Hauptrolle. Alles Geschehen gruppiert sich um den Treck; der Zuschauer wird Zeuge der Mühen und Anstrengungen, die auf dem langen Weg warten: Flußüberquerungen, drohende Indianerüberfälle, durchregnete Nächte, ein Ausbruch der Tiere. Aber auch die Charaktere der Menschen sind von der Zeit und von den harten Lebensbedingungen geprägt. Sie repräsentieren einen Menschenschlag, der so nur 1866 im Westen Amerikas denkbar ist. Daß die "Helden" dabei in ihrem Verhalten nicht vorgeformt sind (wie z. B. in "Ritt zum Ox-Bow"), sondern sich durch die Einwirkung der Ereignisse allmählich entwickeln, macht den besonderen Reiz des Films aus. Dabei fällt dann auch nicht stark ins Gewicht, daß sich bei Randfiguren reichlich klischierte Vorstellungen breitmachen, insbesondere der gealterte Groot wie eine Fuzzy-Reminiszenz wirkt und eine Frau zur Lösung der Konflikte genau im falschen Augenblick bemüht wird. Die zentralen Gestalten heißen Dunson und Matthew. Und obwohl Matthew alle Qualitäten eines Western-Helden mitbringt, ist und bleibt doch der zwielichtige Dunson die Hauptfigur. Gerade in seinem Verhalten, auch in seinen Fehlern und in seinem Unrecht, inkarniert sich der Typ des Ranchers, der in seinem zähen Willen, nicht nur zu überleben, sondern für eine hoffnungsvollere Zukunft zu schaffen, auf sich allein gestellt bleibt. Sein lakonisches Durchgreifen gegenüber jeder Form von Renitenz ist nicht weniger unrecht, je mehr er selbst an die Notwendigkeit, so und nicht anders zu handeln, glaubt. Seine Bibellesungen am Grab der Erschossenen andererseits aber sind genausowenig heuchlerisch, auch wenn die Männer des Trecks es mehr und mehr vermuten. Matthew verkörpert dagegen den Typ einer fortschrittlichen, Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nicht nur erkennenden, sondern auch in die Tat umsetzenden neuen Generation. Im stetigen Widerspruch dieser gegensätzlichen Lebensauffassungen differenziert der Film einen vielschichtigen, historisch zu Tausenden verifizierbaren Charakter auf nahezu vollkommene Weise. Er vermag dadurch Gültiges auch über die Menschen einer Epoche auszusagen, die er im äußerlich aktionsbetonten Teil so glaubwürdig ins Bild bringt.
Über die Form läßt sich angesichts der bruchstückhaften deutschen Fassung kaum etwas Endgültiges feststellen. Immerhin sind hervorragend gebaute Sequenzen erkennbar, die vergleichbaren Wildwestfilmen deutlich überlegen bleiben. Vor allem der Aufbruch des Trecks mit seinen zwischen Totalen montierten Großaufnahmen die Herde anfeuernder Cowboys und die Durchquerung eines anschwellenden Flusses werden sich dem Gedächtnis einprägen. Der Rhythmus des Films erscheint in der deutschen Version ungleichgewichtig; es läßt sich vermuten, daß die Originalfassung Einzelheiten des Trecks in breiterer Detailschilderung wiedergegeben hat. Unbefriedigend bleibt - außer dem jedesmal mißglückten Einsatz liebender Frauen - vor allem der Schluß, der eine Abrechnung zwischen Dunson und Matthew, aber auch eine Versöhnung erbringen muß. Hawks hat das Unrealistische einer solchen Verknüpfung, zumal nach der zugespitzten psychologischen Entwicklung, offenbar klar erkannt und das einzig Mögliche getan, um den Abgang halbwegs zu retten: er läßt die Schlußszene ins Komische übergleiten.
Besprechung "Panik am roten Fluß" aus Heft 9/1951:
Bis vor wenigen Jahren hatte sich der ernsthafte Filmfreund und -Kritiker nur selten mit Wildwestern abzugeben; diese waren ein Vorrecht der Vorstadtkinos und der kleineren Produktionsgesellschaften. (Daneben produzierten allerdings auch die großen Firmen sog. C-Pictures, doch gewissermaßen nur im Hinterhaus.) Nun aber zeichnet sich auf dem Hintergrund von Amerikas Produktionsplanung eine Entwicklung ab, die auf eine Veredelung, d. h. repräsentativere Gestaltung des Wildwesters hinzielt. Damit hat aber dieser in seiner Psychologie und Moral so naive Unterhalhaltungsfilm seine Unschuld verloren, denn - diese betrübliche Tatsache muß am Beispiel von "Red River" einmal unmißverständlich festgestellt werden - Wildwest-Situation scheint den Produzenten mit einem Blankoscheck auf Amoral bis Unmoral und einer niederschmetternden Brutalität gleichbedeutend zu sein. Per Dialog des vorliegenden Films gestattet sich die gewagtesten "Scherze", Menschen werden nach Belieben und ohne Bedauern niedergeknallt; der Epilog eines Mordes, der zumeist als Notwehr getarnt ist, heißt: Hol Schaufel und Bibel! Diese Grundeinstellung bleibt umso bedauerlicher, als die Erzählung von dem Viehzüchter, der nach einem guten Jahrzehnt unentwegter Arbeit seine Riesenherde 1000 Meilen nach Norden treiben muß, um an das kürzlich gebaute Eisenbahnnetz zu gelangen, ein großartiger epischer Stoff ist, der künstlerisch von Howard Hawks allerdings nicht in allen Teilen bewältigt wurde. Diese Grundeinstellung ist zudem meistens in einer falschen geistesgeschichtlichen Konzeption verankert: um 1850 ging es zwar in Amerika recht rauh zu, aber seine Bewohner waren im weitesten Maße Puritaner. Wenn die heutigen Amerikaner jene Zeit als ein Dorado der Laszivität sehen, dann projizieren sie als Generation, der mißverstandener Puritanismus zur Neurose ward, ihre Träume und Sehnsüchte in die Gründerzeit Amerikas.