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Filmkritik
Dass das mit der Wirklichkeit so eine Sache ist, wissen nicht nur diejenigen, die gerne ins Kino gehen. Längst hat sich ein alles durchdringender Zweifel der Diskurse rund um die sogenannte Realität bemächtigt. Mit anderen Worten: Man traut der Wirklichkeit nicht mehr.
Umso frappierender, dass die Protagonistin in dem gleichnamigen Debütfilm von Tina Satter auf den Namen Reality hört. Reality Leigh Winner, um genau zu sein. Berühmt wurde die 1991 geborene Frau, als sie 2017 vom FBI verhaftet wurde, weil sie geheime Informationen über die Einflussnahme Russlands auf die Präsidentschaftswahl 2016 an den Nachrichtendienst „The Intercept“ weiterleitete. Die Whistleblowerin hatte das Dokument an ihrem Arbeitsplatz in Augusta, Georgia, ausgedruckt. Hat sie damit gemäß ihres Namens der Wirklichkeit gedient oder ist sie als Staatsverräterin zu verurteilen?
Es ist gleichermaßen faszinierend und irritierend, dass Satter dieser Frage nicht oder nur implizit nachgeht. Stattdessen gleicht der Film einem verschrobenen Reenactment und einer Erkundung der komischen, an Kafka gemahnenden Irrealität behördlichen Verhaltens. Wer dabei schlecht wegkommt, ist der US-amerikanische Apparat, eine nicht von ungefähr ausschließlich von Männern dominierte Melange aus patriotischem Gehabe, Bürokratie, Unbeholfenheit und fehlender Bildung.
Nur nichts Falsches sagen
Auf der Basis der wiederholt eingespielten Tondokumente der Hausdurchsuchung und der Befragung der Protagonistin durch das FBI sowie einem eigenen Theaterstück, das die US-Regisseurin aus dem gleichen Stoff entwickelte, fokussiert der Film auf die Ereignisse am 3. Juni 2017, als Reality verhaftet wurde. Gespielt wird die zwischen Ahnungslosigkeit, politischer Wut, Verzweiflung und Notlügen changierende Figur von Sydney Sweeney. Als Winner vom Einkaufen heimkehrt, stehen plötzlich zwei herumdrucksende und doch bestimmt auftretende Männer neben ihrer Autotür. Sie seien vom FBI und hätten Befugnis, ihr Haus zu durchsuchen.
Was folgt, ist die Chronologie eines zutiefst absurden Vorgangs. Die Absurdität ist dabei vor allem Sache der Beamten. Diese geben sich freundlich, stellen dutzendfach die gleichen Fragen (Möchten Sie etwas trinken? Möchten Sie den Durchsuchungsbefehl sehen?) und wissen doch ständig mehr, als sie preisgeben. Sie wenden ihr Regelwerk auf einer Situation an, die diesem nur bedingt entspricht. Ihre Strategie wird mehr als deutlich; sie wollen sich mit der Verdächtigen emotional verbünden, um an die Wahrheit zu gelangen. Reality dagegen versucht nichts Falsches zu sagen.
Man erkennt sofort, was die Filmemacherin an diesen Tondokumenten fasziniert. Es gibt ein Machtgefälle, aber auch eine in den Prozess eingeschriebene Lächerlichkeit. Dementsprechend filmt Satter die Protagonisten auch mit einer ähnlich entrückten statischen Verlorenheit, wie man es aus den Vorort-Bildern von David Lynch kennt. Ihre zweite, ständig wiederholte Einstellung ist die Nahaufnahme auf Realitys Gesicht. Man sieht sie kämpfen und lügen zugleich. Jedes Wort, jede Geste wird abgewogen, und dennoch wird unheimlich viel über eigentlich Irrelevantes gesprochen, etwa über die Haustiere von Reality oder ihre Vorliebe für Fitnessstudios.
Es geht um anderes
Dass es hier nicht um das zu gehen scheint, um was es geht, ist ohnehin die hauptsächliche dramaturgische Wirkweise des Films, sozusagen das Gegenteil von Hitchcocks dramaturgischer Ironie. Nicht die Zuschauer wissen mehr als die Protagonisten, sondern andersherum. Das ist durchaus fesselnd, wirkt aber nicht zuletzt aufgrund der alles zukleisternden Musik auch manipulativ. Das Bedrohliche wird derart ausgestellt, dass man sich fragt, ob die Regisseurin dem an sich schon fesselnden Inhalt nicht ganz traute.
Dafür, dass er hier mit einem dokumentarischen Anspruch an die Stelle des Fiktionalen getreten ist – selbst Instagram-Posts der realen Reality werden zwischengeschnitten –, lässt der Film wenig Zeit zum Schauen. Stattdessen soll man spüren und sich wundern, auch wenn nicht ganz klar wird, über was eigentlich. Über das FBI? Über Reality? Über einen Begriff von Wahrheit?
Dazu kommen einige etwas angestrengte Effekte, die auf Auslassungen im originalen Tondokument reagieren, indem die Protagonistin plötzlich aus dem Bild verschwindet. Diese in einem aufwändigen Vorgehen aus Nachrichtenvideos von Fox News zusammengebastelten Störsignale werfen allerdings ein Licht auf das, was am Film eigentlich interessant ist: nämlich den Umgang mit der Wirklichkeit, vor allem mit der Wirklichkeit der Bilder. Denn von der ersten Sekunde an merkt man, dass etwas nicht stimmt. Die Schauspieler sprechen merkwürdig verzögert, das Bild droht in sich zusammenzufallen, ein surreales Gefühl stellt sich ein, der Thriller kippt immer wieder aus sich heraus und verliert sich in dem Rahmen, in dem er abzulaufen hat.
Den Bildern (miss-)trauen
Man schaut sich „Reality“ verunsichert an. Abgebildet wird ein US-amerikanisches Trauma, festgehalten auf medialen Bildern während der Regentschaft von Donald Trump. Die erschütterten Werte des US-amerikanischen Selbstverständnisses treten als Störungen, als Verzögerungen, als Nicht-Zusammenpassendes hervor. Als Kommentar auf eine mediale Lage, in der Wirklichkeiten erschaffen statt abgebildet werden, ist das durchaus produktiv. Man beginnt paradoxerweise den Bildern zu trauen, wenn sie zugeben, dass sie lügen. Schon seltsam, wenn man auf diese Weise darüber nachdenkt. Gerade weil der Film auf der Wirklichkeit basiert, bleibt er völlig unberechenbar.