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Filmkritik
Wer in den 1970er-Jahren mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, dem ist das Werk des Japaners Hayao Miyazaki ein Begriff: 52 Episoden der Zeichentrickserie „Heidi“ produzierte er und prägte damit selbst in Europa das idealisierte Bild von den Schweizern und ihrer innigen kulturellen Verbindung zur Natur. Liebhaber von Animes schätzen Miyazaki eher wegen seiner gattungsprägenden Regiearbeiten „Lupin III“ („The Castle of Cagliostro“, 1979), „Kaze no tani no Nausicaa“ („Nausicaä of the Valley of Wind“, dt. „Sternenkrieger“, 1984), „Tenku no shiro Laputa“ („Laputa: Castle in the Sky“, 1986), „Tonari no Totoro“ („My Neighbor Totoro“, 1988) und „Kurenei no buta“ („Porco Rosso“, 1992). Kaum einer dieser abendfüllenden Kinofilme - „Laputa“ erreichte mit 195 Minuten Laufzeit epische Dimensionen - ist hierzulande zu sehen gewesen, während sie in Japan Kassenschlager waren und dafür sorgten, dass Miyazaki noch vor Kurosawa und Kitano zum erfolgreichsten Filmemacher seines Landes avancierte. Seine zwischen Märchen- und realer Welt angesiedelten Filme zeichnen sich durch überbordende Fantasie und handwerkliche Perfektion aus und vermitteln Kindern wie Erwachsenen die zutiefst humanistische Botschaft, dass nur ein friedliches Zusammenleben aller Wesen das Überleben der menschlichen Rasse sichern kann. Dabei variieren die Genres von Science-Fiction über den Abenteuerfilm bis hin zum Dramatischen („Porco Rosso“ etwa ist im faschistischen Italien gegen Ende der 20er-Jahre angesiedelt). „Prinzessin Mononoke“ spielt in einer Zeit, in der die Götter noch in Gestalt von Tieren in den Wäldern lebten. Die Menschen haben begonnen, den Respekt vor den geheimnisvollen Refugien dieser unwirklichen Wesen zu verlieren, besiedeln zunehmend die Ränder der Wälder und versuchen, die wertvollen Ressourcen für ihr eigenes Wohlergehen auszubeuten. Eboshi Gozen, unbestrittene Herrscherin über Tatara Ba – einer festungsähnlichen Siedlung, in der die Bewohner aus Erzen Eisen schmelzen – , ist festen willens, den großen Waldberg abzuholzen, um an die wertvollen Erze zu kommen. Sie beherrscht die Kunst der Feuerwaffen, was ihr ermöglicht, nicht nur gegen räuberische Samurai, sondern auch gegen die Wildschweine um den Gott Ostukotonushi zu bestehen, die sich als Erste gegen ihre Pläne auflehnen. Im weit entfernten Dorf der Emishi erlegt der junge Held Ashitaka einen von Eboshis Eisenkugeln getroffenen, zum Berserker gewordenen Eber, bevor dieser die Bewohner vernichtet. Doch die Verletzungen, die Ashitaka bei diesem Kampf davonträgt, verurteilen ihn zum Tode. Hilfe kann er dem Orakel zufolge nur in den westlichen Eisenwäldern finden, wo er bei Eboshi, nur widerwillig geduldet, Unterschlupf findet. Schließlich erfährt er von ihrem erbarmungslosen Kampf gegen die Götter, zu denen auch der mächtige Wolfgott Moro no Kimi gehört, der von einer geheimnisvollen menschlichen Kriegerin namens San begleitet wird, die manche ehrfürchtig Prinzessin Mononoke nennen. Bei einem neuerlichen Kampf gerät der schwer verwundete Ashitaka in die Gewalt der Prinzessin. Statt ihn sterben zu lassen, legt sie sein Schicksal in die Hand des weisen Waldgottes Shishi Gami. Der Hirsch mit dem menschenartigen Gesicht hat Macht über Leben und Tod und verwandelt sich bei Dunkelheit in einen gigantischen seelensammelnden Nachtwanderer. Auf Shishi Gami hat es nicht nur Eboshi abgesehen; mit ihm lebt und stirbt nämlich nicht nur der Wald, seinem Kopf werden heilende Kräfte und ewige Jugend zugeschrieben. Der wundersam genesende Ashitaka verbündet sich in weiser Erkenntnis mit San, um den Wald und die Welt vor dem drohenden Untergang zu retten. In Japan schlug „Prinzessin Mononoke“ alle Einspielrekorde: 13 Mio. Zuschauer sahen den Film, mehr als „Titanic“. Dabei handelt es sich hier weniger um gängige Kinderunterhaltung im westlichen Verständnis als um ein gezeichnetes episches Kostümdrama mit komplexer Handlung, drastischen, zum Teil auch sehr expliziten Gewaltdarstellungen und einer wenig kindgerechten Länge von deutlich über zwei Stunden. Selten hat es dabei ein (Zeichentrick-)Film besser verstanden, die Kraft der Poesie und Fantasie mit humanistischen Werten zu verbinden: In der Welt von „Prinzessin Mononoke“ gibt es kein plakatives Gut und Böse, kein bloßes Schwarz und Weiß, alle Protagonisten haben ihre positive wie negative Seite, und selbst die Götter haben das Recht nicht für sich gepachtet. So handelt auch die „böse“ Eboshi nicht selbstlos und gewinnsüchtig, sondern grundsätzlich zum Wohle ihrer Untergebenen, zu denen sie auch Geächtete wie Leprakranke und Prostituierte zählt. Die Weisheit des filmischen Fabel liegt in der Erkenntnis, dass Mensch, Tier und Wald voneinander partizipieren und nur die Symbiose ein Leben mit Zukunftsperspektive möglich macht. Dabei klingt diese Botschaft nie naiv und wird durchaus zwingend vermittelt. Trotz seines hohen erzählerischen Niveaus und seiner formalen Eigenheiten versteht sich „Prinzessin Mononoke“ dezidiert als Kinderfilm, der für Erwachsene freilich gleichermaßen geeignet ist. Die gezeigte Gewalt ist stets nachvollziehbar und wird fern selbstzweckhafter Spekulation ins Geflecht aus prachtvollen Bildern, abenteuerlichen Welten und einer mitreißenden musikalischen Untermalung integriert. Miyazaki meinte dazu: „Ich denke, dass Kinder mit Gewalt besser umgehen können als Erwachsene es oft glauben. Angst und Schrecken gehören ebenso wie Freude und Trauer zur Erlebniswelt eines Kindes. Wenn man angeregt wird, mit diesen Emotionen umzugehen, in einer Geschichte, die all diese Elemente gewichtet, dann wird man als Betrachter sicherlich kein Schaden nehmen.“