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Filmplakat von Piaffe

Piaffe

86 min | Thriller | FSK 16
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Nach dem Nervenzusammenbruch ihrer Schwester Zara muss die introvertierte Eva deren Job als Geräuschmacherin übernehmen. Für einen Werbespot vertont sie das Verhalten eines Pferds – und vertieft sich so leidenschaftlich in die Arbeit, dass ihr ein Schweif aus dem Steißbein wächst. Mit dem Schwanz wird auch Evas sexuelles Begehren immer größer. Sie beginnt eine SM-Affäre mit einem Botaniker, der Farne erforscht, und erlebt ihren Körper auf eine noch nie empfundene Weise.

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Filmkritik

Farne sind Zwitter, Hermaphroditen – non-binäre Pflanzen. Ein Gametophyt produziert sowohl Eizellen als auch Spermatozoiden. Wenn in „Piaffe“ die jungen Farne ihre Blätter ausrollen, ein bisschen wie Karnevalströten, nur sehr langsam und lautlos, hat diese wundersame Verwandlung etwas rätselhaft Erotisches. Als würden sie sich ganz im Bewusstsein der Blicke, die auf sie gerichtet sind, entkleiden. Tatsächlich sind die feingliedrigen Pflanzen zum ersten Mal in der Schauanordnung eines Kaiserpanoramas zu sehen. Die holzvertäfelte Apparatur steht in einem dunklen Raum mit weinroten Samtvorhängen und erinnert unmittelbar an eine Peep-Show. Durch ein Guckloch betrachtet ein Mann stereoskopische Farnbilder, der von Schaulust aufgeladene Blick der Kamera fällt auf seinen Schuh, der das Pedal bewegt, seine Hand, die auf dem Oberschenkel ruht, auf die „erotische“ Mechanik des Räderwerks. Ewa, die am Eingang die Glasbilder putzt, sieht ihm dabei zu.

Pflanze, Maschine und Mensch

Blicke und Begehrensverhältnisse geben sich in Ann Orens Film von den ersten Bildern an als „anders“ zu erkennen. Pflanze, Maschine und Mensch – zunächst noch: die Frau, der Mann –, werden mit dem gleichen Interesse, der gleichen Faszination betrachtet. Zärtlich und taktil sind die Blicke, ganz so, als wollten sie ihr Gegenüber nicht nur berühren, sondern sich davon affizieren und verändern lassen. Haptisch wirken auch Klang und Geräusche, die in „Piaffe“ eine elementare Rolle spielen, auch sie suchen Körperkontakt. Zum Eindruck des Sensuellen trägt weiter nicht nur das analoge Material bei – der Film ist auf 16mm gedreht –, sondern auch die exklusive Auswahl an Schauplätzen und Objekten: Pferdegestüt und Botanischer Garten, viel dunkles Holz und altes Leder, eine leicht altweltliche Atmosphäre mit abgeschrabbelt-aristokratischer Eleganz.

Die Vertonung eines Werbespots für ein stimmungsaufhellendes Medikament ist in „Piaffe“ Auslöser einer wundersamen Anverwandlung. Kurzfristig soll Ewa den Job einer Geräuschemacherin übernehmen, ihre Schwester Zara wurde nach einem Nervenzusammenbruch in eine Klinik eingewiesen. Das Geräuschlabor in ihrer Wohnung gleicht einer Wunderkammer. Schubladen mit Sand, Kieselsteinen und Stroh, Schuhe mit diversen Absätzen, riesige Boxhandschuhe aus Leder, Rechen, Bürsten und Ketten, dazwischen Mikrofone, Schaltpulte und Aufnahmegeräte. In dem besagten Werbespot des Pharmakonzerns sieht man ein Pferd, das elegant auf der Stelle trabt – eine Dressurbewegung, die den Namen Piaffe trägt. Mit gebanntem Blick auf die Leinwand tastet sich Ewa langsam an die akustischen Möglichkeiten heran. So knirscht sie etwa mit ein paar Lederschuhen, die sie über ihre Hände gestülpt hat, auf dem Sand herum, steckt sich eine Goldkette wie einen Knebel in den Mund und lässt ihre Zunge rhythmisch darüber schnalzen. Momenthaft mutiert die Wunderkammer zum Fetisch-Studio.

Ein Schweif wächst

Das erste Ergebnis der Soundarbeit stößt auf Ablehnung – zu maschinell. Während sich Ewa immer tiefer in die Arbeit hineinbegibt, wächst ihr allmählich ein Schweif aus dem Steißbein. Abends im Club tanzt sie „den Piaffe“ und trabt zu Technobeats in ihren klobigen Turnschuhen auf der Stelle. Als der Stummel zu einem prachtvollen Rossschwanz ausgewachsen ist, erwacht auch ihr sexuelles Begehren. Mit dem Botaniker erforscht Ewa ihren Körper, das fantastische Teil, das mal hinten aus der Hose herausbaumelt, mal unter dem Trenchcoat hervorlugt, eröffnet ihr dabei ganz neue Praktiken. Der Schweif wirkt nicht nur stimulierend, auch eignet er sich als sanfte Peitsche und Strangulationswerkzeug.

Die aus Tel Aviv kommende und in Berlin lebende Filmemacherin Ann Oren ist bisher vor allem im Ausstellungskontext in Erscheinung getreten. In ihren Installationen befasst sie sich mit den Grenzen zwischen dem Humanen und dem Animalischen und kreiert fiktive Geschlechterrollen. Mit „Piaffe“ ist ihr ein wundersames Werk gelungen, das das frühe Kino – man denkt etwa an die frühen filmischen Experimente von Eadweard Muybridge – mit gegenwärtigen Diskursen zu transgressiver Geschlechtlichkeit und artenübergreifenden Beziehungen verbindet. Hier und da scheinen Anklänge an Peter Stricklands „Berberian Sound Studio“ und „The Duke of Burgundy“ durch (vor allem in der Aufmerksamkeit für die Erotik des Klangs), doch Oren findet eine ganz eigene Form der Andersheit.

Scheu, Neugierde und Erregung

Die mysteriöse Simone Bucio (ein schönes Wiedersehen mit der Darstellerin aus Amat Escalantes „The Untamed“) hält in der Rolle der introvertierten Ewa eine fiebrige Spannung aufrecht, aus der Scheu, Neugierde und Erregung spricht. Scheinbar unterwürfig gibt sie sich dem Botaniker hin, der sie wie ein besonders exotisches Gewächs aus dem Treibhaus behandelt. Dabei ist das Spiel aus Verführung, Kontrolle und Unterwerfung so ambivalent wie ihr noch werdender Körper.

Erschienen auf filmdienst.dePiaffeVon: Esther Buss (6.3.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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