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Filmkritik
2022 gelang dem amerikanischen Regisseur Ti West mit „X“ ein Horrorfilm, der geschickt klassische Horrortropen benutzte, um sie mit subversiven Spitzen zu brechen, die viel über weibliches Begehren, Prüderie und Alter erzählen. Im Zentrum des mitunter blutigen Treibens agierte eine völlig entfesselte Mia Goth in einer fulminanten Doppelrolle: Sie spielte sowohl die junge und ehrgeizige Pornodarstellerin Maxine als auch die von unbändiger Lust zum Morden getriebene alte Frau Pearl. Letztere spielt die britische Schauspielerin nun erneut, allerdings blendet „Pearl“ in die Jugend ihrer mörderischen Figur zurück; und Ti West setzt den zweiten Pfeiler einer Trilogie, die weit mehr ist als eine einfache Weitererzählung.
Handelte „X“ von der beginnenden Pornowelle, die mit der Prüderie der 1970er-Jahre auf dem Land in Texas markerschütternd kollidiert, springt „Pearl“ in das Jahr 1918 zurück. Erneut ist Texas der Handlungsschauplatz, ein weites Meer aus Maisfeldern. Statt im garstigem „Texas Chainsaw Massacre“-Look erstrahlt „Pearl“ im unschuldigen, beinahe künstlichen Glanz von Technicolor. Unweigerlich denkt man an Victor Flemings Klassiker „Vom Winde verweht“ und „Der Zauberer von Oz“: Ein leicht ver-rücktes Bild von der Vergangenheit, das sich wie ein Filter über unsere Vorstellung von dieser Zeit legt. War „X“ bereits in seiner schmutzigen Bildsprache harsch, wirkt das Sequel unheimlich gedämpft und zieht eben daraus seinen Horror der geplatzten Träume.
Düsteres Psychogramm einer enttäuschten Seele
West setzt also ganze sechs Jahrzehnte vor „X“ an, um die Geschichte seiner Killerin zu erzählen. Doch handelt es sich nicht um eine Origin-Story, wie sie in Zeiten der Superheldeninflation in Mode geraten ist. „Pearl“ ist das düstere Psychogramm einer enttäuschten Seele, mit wenigen, dafür umso pointierteren Gewaltspitzen: Die titelgebende Hauptfigur lebt mit ihren Eltern auf jener Farm, die sie – wir wissen es – ihr ganzes Leben nicht verlassen wird: ein Gefängnis aus Fügung und Schicksal.
Die Mutter, eine immigrierte Deutsche, getrieben von puritanischer Arbeitsmoral und völlig verhärmt, hat für die Tochter kein bisschen Wärme mehr übrig. Der Vater, ein Pflegefall, gelähmt, kann nur mit den Augen kommunizieren, die zwischen Entsetzen und Todessehnsucht meist ausdruckslos ins Leere starren. Und dann ist da noch der Ehemann, der in der Ferne im Krieg ist und auf dessen Rückkehr alle warten. Pearl aber hat es satt, will raus, sucht den Glamour in ihren Tagträumen.
Im See zieht der Alligator seine Bahnen
Im Stall führt sie Musical-Nummern auf. Das kleine Kino im Ort ist das Tor zur Welt und der Filmvorführer weckt körperliches Begehren, das in einer der besten Szenen des Films – eine abgründige Reminiszenz an Oz – mit einer Vogelscheuche im Feld ausgelebt wird. So wird schnell deutlich, dass diese Pearl eine Dunkelheit in sich trägt, deren Manifestation im kleinen See bei der Farm bedrohlich ihre Bahnen zieht: Der Alligator, der seinen Auftritt auch in „X“ hat, wird zum sichtbaren Ausdruck ihres Seelenzustands – verborgen, lauernd und dann blitzschnell gefährlich.
Als eine Tanzgruppe (ausgerechnet) in der Kirche ein Casting für eine Show durchführt, glaubt Pearl, dass ihre Chance nun gekommen sei. Und jeder, der auch nur den leisesten Zweifel wagt, muss mit dem Äußersten rechnen. An dieser Stelle kommen Gewalt, Tod und Exzess ins Spiel.
Der Fan klassischer Horrorfilme sei jedoch gewarnt: West und seine Co-Autorin Mia Goth konzentrieren sich eher auf das Melodram, das Porträt dieser verstörten und verstörenden Frauenfigur. Der Splatter ist ein Stilmittel, das in seinen Momenten durchaus derb, aber insgesamt eher zurückhaltend eingesetzt wird. Die Qualität von „Pearl“ entsteht ohnehin in der Relation zu seinem Vorgängerfilm, in den produktiven Resonanzen zwischen „X“ und seiner Vorgeschichte. Das Sequel ist nicht einfach ein Mehr vom Gleichen. Hier werden Seitenwege beschritten, an Sinn und Bedeutung gearbeitet, dem Drama unter all den Körperflüssigkeiten eine Tiefendimension abgerungen. Indessen heißt es geduldig auf den dritten Teil „MaXXXine“ zu warten.