Filmplakat von Orkester

Orkester

110 min | Drama
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Filmkritik

Als sich die Mitglieder des Orchesters aus Zagorje ob Savi zum Gruppenfoto aufstellen, rufen sie „Spritzer!“. Zum einen, weil sie dadurch wie bei dem englischen Ausruf „Cheese“ auf dem Bild lächeln sollen. Zum anderen deutet der Verweis auf das prickelnde alkoholische Nationalgetränk die Trinkfestigkeit dieser slowenischen Kleinstädter an, die sie auf einem Ausflug zu einem Musikfestival in Österreich im Laufe des Films „Orkester“ reichlich unter Beweis stellen werden. Auf der Busfahrt in die deutschsprachige Partnerstadt werden Reden geschwungen, junge Musiker ins Kreuzverhör genommen, und vor allem wird ausgelassen gesungen, geschunkelt und getrunken.

Den Busfahrern ist nicht zum Feiern zumute

Zwei Insassen des Reisebusses ist allerdings weniger zum Feiern zumute, und sie haben auf dem Gruppenbild auch nicht gelächelt: Rajko (Gregor Cusin), der alteingesessene Busfahrer, und sein neuer Kollege Emir (Jernej Kogovsek). Rajko hat Sorgen, weil seine Tochter heiratet und er das Fest finanzieren muss. Nichts fürchtet er so sehr wie eine Entlassung. Emir wiederum ist froh, die Anstellung ergattert zu haben, denn seine Frau ist arbeitslos und das vierjährige Kind muss versorgt werden. Beide werden im Laufe der Reise kleinere Unfälle bauen – nichts, wobei Menschen zu Schaden kommen. Doch beide fürchten alsdann um ihren Job, und einer schwärzt den anderen sogar an.

Zunächst ist dieser in Schwarz-weiß gedrehte Film nämlich aus der Perspektive der Busfahrer geschildert. Sehr lange wird nur im Reisebus gefilmt, sei es aus der Perspektive des Fahrers durch die Windschutzscheibe oder innerhalb der Sitzreihen. Auch Handyaufnahmen im Hochformat sieht man später, es verengen sich Perspektive und Bild, sodass nur noch ein Drittel der Leinwandbreite ausgefüllt ist.

Die ausgelassene Stimmung der Mitreisenden – sie überträgt sich durchaus auf die Zuschauer – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier nicht alle Tourneemitglieder auf einer Wellenlänge sind. So offenbart die Handvoll der jüngeren Musikanten generationsbedingte Lücken im kulturellen Kanon der Älteren, der teilweise wohl noch aus dem alten Jugoslawien stammt. Zudem sind sie, und auch Emir, genervt von der ständigen Sauferei der Älteren. Rajko dagegen bezeichnet seinen jungen Kollegen (unbewusst?) abschätzig als „den Bosnier“ und bemerkt, dass Emirs wieder in Bosnien lebender Vater von seiner armseligen Rente auch nur dort leben könne. Nachdem die Truppe in Österreich angekommen ist, wird abends nahtlos im Gasthof weitergefeiert. Derweil verbringen einige Ehefrauen der abwesenden Orchestermitglieder ihre Zeit in Slowenien ähnlich vergnügt. Nach einem mit Hochprozentigem getränkten Mädelsabend bekommen die vier Fabrikarbeiterinnen es mit einer Polizeistreife und einer sich anbahnenden Strafe wegen Fahrens ohne Führerschein in angetrunkenem Zustand zu tun sowie später mit einer ausgebüxten Demenzkranken. Eheprobleme schimmern durch, gegen die weibliche Solidarität nur bedingt hilft.

Einiges geht zu Bruch

Die Geschichte wird in Österreich noch aus zwei weiteren Perspektiven weitererzählt. Die beiden Kinder des Orchesterleiters Stojan (Gregor Zorc) rebellieren gegen ihren ehebrechenden Vater. Dabei kommt eine Scheibe zu Bruch und wird vonseiten des Erzeugers, der sich nun keine Strenge erlauben kann, das eigene Fehlverhalten geleugnet. Da nicht für alle aus der Truppe in der Herberge des österreichischen Örtchens Platz ist, bringt man einige privat unter, so auch zwei besonders sauflustige dicke Blasmusiker. Es gibt nicht nur sprachliche Verständnisprobleme, sondern die Hausfrau Maria (Maria Hofstätter) bringt schnell ihren Schmuck in Sicherheit, während sich die Slowenen über das Kreuz im Schlafzimmer und die Jagdtrophäen lustig machen. Ein Musikpokal und ein Gartenzwerg werden den Film nicht heil überstehen und der böse, aber unberechtigte Verdacht eines Diebstahls steht im Raum.

Vorurteile und Spießigkeit, vor allem vonseiten der wohlhabenden österreichischen Gastgeber, entlarvt der Film hier so treffend wie unterhaltsam. Auf der Heimfahrt im Dunkeln – Nummer fünf der Episoden – herrscht dezente Katerstimmung. Man kehrt nach dem Trubel wahrscheinlich wieder zum monotonen Brotjob zurück, die Stimmung nach dem Gastspiel hat sich beruhigt, bis die winterlich glatte Straße noch für Aufregung sorgt.

Feier-Schein und Kater-Sein

Insgesamt ergänzen sich die fünf Perspektiven, offenbaren Feier-Schein und Kater-Sein und rollen in den nüchterneren Momenten der Protagonisten private Probleme auf. Dabei schafft es Regisseur Matevz Luzar, der früher selbst in einem Blasorchester gespielt hat, durch manche Überspitzung und viel Humor, die Stimmung nie wirklich eskalieren zu lassen. Die in gestochenem Schwarz-weiß gehaltenen Bilder sind schön anzuschauen, unterstreichen Kontraste oder schaffen wie bei den im nächtlichen Nebel nach Hause torkelnden Ehefrauen in Zagorje ob Savi auch melancholische Zwischentöne. Und was die eigentliche Beschäftigung des Orchesters betrifft: Erst kurz vor der Heimfahrt sieht man es auf dem österreichischen Festival mit dem ironieträchtigen Namen „Harmonie“ tatsächlich sehr professionell zwei Minuten lang musizieren – mit einer tollen Choreographie seitens der Blasmusiker und der Kamera und klangvollen Tönen, die sogar Blasmusik-Muffel kurzzeitig mitreißen.

Erschienen auf filmdienst.deOrkesterVon: Kira Taszman (5.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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