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Filmkritik
In einer texanischen Kleinstadt steht ein Höhepunkt der Saison ins Haus. Besser gesagt: auf dem Parkplatz der örtlichen Mall am Ortsrand. Es handelt sich um einen nagelneuen blauen und eher kostspieligen, weil PS-starken Pick-up-Truck, den der Sieger oder die Siegerin des alljährlichen „Hands on“-Wettbewerbs mit nach Hause nehmen darf.
Die Regeln des Wettbewerbs sind denkbar simpel: Das Fahrzeug will permanent berührt sein, für eine ziemlich lange Zeit. Zwischendurch gibt es Pausen, mal kurze, seltener mal etwas längere. Dazu kommt das texanische Klima aus Hitze und Wolkenbruch sowie reichlich Gruppendynamik zwischen Provokation, Häme, Herabwürdigung, Alltagsrassismus, Gewaltandrohung und schlichter Dummheit. Die Menschen kennen sich, zumindest teilweise. Der Wettbewerb ist trotzdem derart populär, dass die Teilnehmer ausgelost werden müssen. Dann kann die Show beginnen. Mit dabei: Musik, Partys, DJs, das Lokalfernsehen – die ganz große Sause.
Ein leeres Versprechen
Der Film „One of these Days“ von Bastian Günther nimmt sich Zeit, um zumindest einige der Teilnehmer ansatzweise mit einer Geschichte auszustatten. Etwa eine bibeltreue christliche Fundamentalistin, einen autistischen Musikliebhaber, der permanent Rhythmen klopft, ein Ex-Soldat, der bei den „Kameltreibern“ im Einsatz war, ein alter Mann mit einem Katheter und ein selbstbewusster Afro-Amerikaner. Ferner ein unangenehmer, aber trickreicher „Hands on“-Profi, zwei etwas retardierte Witzbolde und nicht zuletzt der junge Vater Kyle, der in einem Drive-in-Imbiss jobbt und seiner kleinen Familie etwas Gutes tun möchte.
Kyle wird zur tragischen Hauptfigur aufgebaut, die von Versagensängsten geplagt wird und bei aller Gutmütigkeit doch zutiefst verunsichert ist. Die andere Hauptfigur ist Joan, die als PR-Managerin des Autohauses das Event organisiert, moderiert und nebenher auch noch ihre demente Mutter versorgen muss. Joan gibt gerne das forsche Energiebündel, um ihre Einsamkeit und Verzweiflung zu verbergen; dennoch muss sie erleben, dass eine Affäre endet, weil der Partner etwas „Ernsthaftes“ in Aussicht hat. Ein Online-Date verläuft dann auch höchst unerfreulich, weil das Gegenüber mit Joans offensiv vorgetragener Oberflächlichkeit nichts anzufangen weiß.
Es ist interessant, dem weiteren Verlauf des Wettbewerbs zu folgen und zu registrieren, auf welche Art und Weise mit der Niederlage umgegangen wird. Es gibt Widerspruch, Beschimpfungen, Ohnmacht, Verzweiflung, Erschöpfung und, wenn alles in einem lichten Moment gut läuft, auch die Einsicht, besser einen Rest an Würde zu wahren und einfach abzuhauen. Ohne große Geste. Denn eines ist allen klar und wird auch offen ausgesprochen: „Selbst wenn du gewinnst, was du nicht wirst, dann bleibst du für die Leute der Idiot, der tagelang am Truck stand, weil er ihn nicht kaufen konnte.“ Diese Einsicht ist Teil der einer zynischen Show, an der Menschen teilnehmen müssen oder vielleicht auch nur glauben, dies tun zu müssen, während andere sich daran als einer Form von Entertainment ergötzen, während wieder andere diese Show auf die Beine stellen.
Don’t move!
Einer wie Kyle erfährt die Auslosung als Wink des Schicksals, es vielleicht mit etwas Glück doch noch zu etwas zu bringen. Doch dann erlebt er, dass nicht einmal seine Familie glaubt, dass er dazu in der Lage ist. Was ihm vom amerikanischen Traum noch bleibt, schreibt ihm seine junge Frau auf die Hände: „Don’t move!“ Das ist durchaus als eine Radikalisierung zu verstehen.
Im Jahr 1969, zu Zeiten von „New Hollywood“, erzählt Sydney Pollack eine Geschichte aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise, als lauter verzweifelte Menschen an einem Tanzmarathon teilnahmen, weil kostenlose Verpflegung und ein Preisgeld von 1500 Dollar ausgelobt waren. Auch dieser Tanzmarathon wird als Spektakel präsentiert, an dessen Ende eine Tötung auf Verlangen steht. Der Film trägt den Titel „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. In der US-amerikanischen Provinz der Gegenwart ist mit Gnadenschüssen jedoch nicht zu rechnen.
„One of these Days“ registriert die dort herrschende Verwüstung des Sozialen nüchtern mit fast schon dokumentarischem Gestus, vermeidet es aber, sich von den Figuren zu distanzieren oder sich über sie zu erheben. Aus dieser Kleinstadt der Chancenlosen führt kein Weg heraus. Es bleibt nur die Möglichkeit, sich in sein Geschick zu fügen und vielleicht ein betrügerischer „Hands on“-Profi zu werden, weil einem egal ist, was andere Menschen denken. Doch Kyle ist dafür nicht hart genug, weshalb er einen anderen Ausweg aus dem Elend wählt.
Sprung aus der Zeit
Doch selbst sein Gewaltausbruch hinterlässt scheinbar keine Spuren. Der Geprügelte steckt die Prügel weg, als sei Kyle auch hier kein „Erfolg“ vergönnt. Ein abschließender Sprung aus der Zeit zum Abend vor dem Wettbewerb zeigt dann, dass ihm auf Erden nicht geholfen werden kann, weil er niemandem eine Hilfe war. Was ihm in der Niederlage bleibt, ist ein absurder Versuch zu verhindern, dass ein anderer statt seiner diesen Wettbewerb gewinnt. Sollte dies gelingen, könnte er es als Erfolg werten. Es wäre allerdings kein Erfolg, auf den seine Familie stolz ist.