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Filmkritik
Der Komiker macht sich die Hände schmutzig. Olaf Schubert steht im Keller seines Elternhauses und schaut die dort verstauten Habseligkeiten durch; seine Mutter Anne Marie ist kürzlich gestorben, sein Vater Rolf baut auch allmählich ab; da ist es Ehrensache, dass der Sohn auch mal im Haus mit anpackt. Sein Terminkalender ist zwar voll, doch lässt sich eine Aktion wie das Kelleraufräumen durchaus als „Content“ für den eigenen Social-Media-Kanal ausschlachten, schließlich kann man das Publikum auch mit unspektakulären Aktionen zufriedenstellen. Doch zu Schuberts eigener Verblüffung stößt er zwischen alten Tonbändern mit Aufnahmen einschlägiger DDR-Gesangsstars wie Frank Schöbel und Ute Freudenberg auch auf ein unerwartetes Band, das laut Aufschrift ein Interview mit „Rolling Stones“-Frontmann Mick Jagger enthält.
Nach sofortiger Überprüfung mit einem alten Tonbandgerät steht Schubert erst recht vor einem Rätsel. Offenbar hat seine Mutter 1965 in der Bundesrepublik mit dem Sänger gesprochen, zu einer Zeit also, als ihr als Ostdeutscher das Reisen in den Westen doch nahezu unmöglich war. Wie hat sie das geschafft? Und warum hat sie ihm verschwiegen, welchen Promis sie früher begegnet ist? Vater Rolf ist dem aufgeregten Olaf keine Hilfe und lässt sich auf kein Gespräch ein. Deshalb will Schubert selbst Nachforschungen anstellen. Das Filmteam, das seine Kelleraktion aufgezeichnet hat, kann praktischerweise gleich weitermachen.
Der Anschein einer Dokumentation
Die Regisseurin Heike Fink gibt ihrem Film „Olaf Jagger“ nach diesem Auftakt weiter den Anschein einer Dokumentation. Auf die Anwesenheit der Kamera wird regelmäßig verwiesen, wenn Schuberts Nachforschungen zu Größen der ostdeutschen Rockszene führen, etwa zu Toni Krahl von der Gruppe „City“, dem Liedermacher („Sag mir, wo du stehst“), Funktionär und kurzzeitigen stellvertretenden Kulturminister Hartmut König oder „Rammstein“-Drummer Christian „Flake“ Lorenz. Zusammen mit einem Besuch beim Betreiber eines privaten „Rolling Stones“-Museums in Bautzen spannt der Film einen historischen Bogen zur Geschichte der Rockmusik in Ostdeutschland, dem mit entsprechenden Szenen in Westdeutschland, etwa im Archiv für populäre Musik im Ruhrgebiet, ein bundesdeutsches Pendant zur Seite gestellt wird.
In der Kombination entstehen daraus amüsant-informative Streiflichter zur deutschen Rockmusik-Rezeption und deren politischer Komponente – etwa in der Bedeutung, die Krahl und König dem „City“-Lied „Am Fenster“ für die Revolution in der DDR beimessen –, was am Protagonisten von „Olaf Jagger“ aber weitgehend vorbeigeht. Denn der stößt bald auf Hinweise, die ihm einen ganz neuen Möglichkeitshorizont eröffnen. Aussagen von einstmaligen „Stones“-Groupies, Archivfotos und schließlich auch die Stasi-Akte seiner Mutter lassen für ihn nur einen Schluss zu: Jagger und Olafs Mutter, die als Mitarbeiterin eines Radiosenders in den Westen reisen durfte, haben sich seinerzeit wohl nicht nur zum Gespräch getroffen. Bis zur Mutmaßung, er selbst könnte eine Frucht dieser Begegnung sein, ist es für Olaf dann nur noch ein winziger Schritt.
Mit wachsender Rücksichtslosigkeit
Ab diesem Punkt verschreibt sich „Olaf Jagger“ endgültig dem komischen Potenzial einer Mockumentary, indem sich die zusehends manische Vorstellung der Hauptfigur, ein unentdeckter Sohn von Mick Jagger zu sein, in den Vordergrund schiebt. Mit wachsender Rücksichtslosigkeit steigert sich Olaf Schubert in die Vorstellung dieser Verwandtschaft hinein und reagiert höchst verschnupft auf skeptische Reaktionen seiner Umwelt. Denn abgesehen vom ausweichenden Verhalten seines Vaters und weiterer Bekannter seiner Mutter schlagen ihm Zweifel oder amüsierte Skepsis entgegen, wenn er in Radio- und Fernseh-Talkshows oder in Gesprächen mit Kollegen schon einmal Details seiner Erkenntnisse verkündet.
Der Komiker, der keinen Spaß versteht, wenn er das Gefühl hat, nicht ernst genommen zu werden, ist eine blendende Steigerung der ohnehin schon notorisch mies gelaunten Persönlichkeit der Kunstfigur „Olaf Schubert“, ebenso wie deren verquere Beweisführung für die Jagger-Abstammung sich nahtlos in ihre üblichen sonderbaren Welterklärungen einfügt.
Heike Fink wiederholt aber klugerweise nicht die Fehler von „Schubert in Love“ (2016), mit dem Lars Büchel versucht hatte, den Humor von Olaf Schubert auch im Kino populär zu machen. „Schubert in Love“ scheiterte an der unlösbaren Aufgabe, einen Misanthropen mit dominant unsympathischen Zügen in eine Romanze zu verstricken, und schoss überdies mit vermeintlichen Besetzungscoups wie Mario Adorf als dem Vater von Schubert weit übers Ziel hinaus. Demgegenüber siedelt Fink ihren „Schubert“ in einem Umfeld an, das geerdeter ist und deshalb auch besser zu ihren Protagonisten passt.
Um Schubert sind nur wenige Schauspieler wie etwa Franz-Jürgen Zigelski in der Rolle des Vaters drapiert; die meisten Personen „spielen sich selbst“ oder reagieren getreu der Funktionen, die sie tatsächlich ausfüllen, auf die Vorstöße des Beweissuchers in eigener Sache. Das funktioniert bemerkenswert gut, da die Regisseurin und ihr Hauptdarsteller sich nicht auf dem Gag ausruhen, das Bild des phlegmatischen Sachsen einfach neben das des flamboyanten Rockstars zu stellen.
Die Perspektive verschiebt sich
Während der Suche verschiebt sich mehrfach die Zielrichtung von Olaf Schubert, was den Film abwechslungsreich und ergebnisoffen macht. Geht es anfangs um die Lücken in der Bindung zur Mutter, setzen sich bald egoistischere Motive durch, bei denen aber nicht ohne Weiteres ausgemacht ist, ob für Schubert die Aussicht auf einen glamourösen Vater oder der denkbare finanzielle Segen als anerkannter Sohn eines Multimillionärs der wichtigere Aspekt ist.
So gewandt sich Heike Fink im Genre der Mockumentary bewegt, ist es letztlich aber nicht die treffsichere Ego-Show, die „Olaf Jagger“ am meisten auszeichnet. Fink und ihrem Hauptdarsteller gelingt es vielmehr, in der vertrauten Schubert-Persona unerwartete Brüche aufzuzeigen. En passant, aber konsequent erzählt „Olaf Jagger“ anhand Schuberts Beispiel vom Grunddilemma der jüngeren DDR-Generation, die sich fast zwangsläufig immer eine bessere Existenz unter anderen Lebensbedingungen vorstellen musste. Schuberts Ausbrüche, dass er in seiner Jugend auch „die Beatles und so“ hätte haben können anstatt „Puhdys“, „City“ & Co., überführt seine eitle Suche schlagartig in eine Identitätskrise mit tragischen Dimensionen. Aus der Witzfigur der sächselnden Nervensäge wird mit einem Mal ein Mensch mit einem bewegenden Schicksal.