- RegieGuy Nattiv, Erez Tadmor
- Dauer93 Minuten
- GenreDramaKriegsfilmKurzfilm
- Cast
- IMDb Rating7/10 (0) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
In einer Zeit, in der sich der Iran politisch zunehmend isoliert und jeden zaghaften Reformversuch früherer Jahre vehement in Frage stellt, gibt es nur noch wenige von außen wahrnehmbare Signale dafür, dass die politische und kulturelle Situation im Land weit komplexer und komplizierter ist als es einem die (westlichen) Medien vermitteln. Zu den wenigen Fenstern, die sich für Einblicke ins Land öffnen, gehört das Kino, dessen Sprengkraft auch den politischen Machthabern bewusst ist, sodass sie sich um Lenkung und Kontrolle dessen bemühen, was produziert und gezeigt wird, ohne wirklich verhindern zu können, dass maßvoll subversive und verklausuliert kritische Filme einerseits entstehen, andererseits auch auf internationale Festivals gelangen, wo sie Einblicke ermöglichen und verfestigte Sichtweisen relativieren helfen. Häufig ist aus diesen Filmen jener schmale Grat ablesbar, auf dem iranische Filmemacher wandern: Getragen vom Bedürfnis, engagiert und kritisch Fragen zu stellen, wollen sie zugleich (auch) im eigenen Land aufgeführt und wahrgenommen werden, sodass sie es sich nicht mit den politischen Hardlinern verderben dürfen. Dabei entwickeln sie häufig subtile Techniken eines mittelbaren Erzählens, indem sie mal ins Märchenhaft-Symbolische ausweichen, mal Legenden um archaische Lebensstrukturen ersinnen und in Parabeln grundsätzliche Lebens- und Sinnfragen ansprechen (wie etwa im höchst kreativen Kinderfilm), die unpolitisch und „wirklichkeitsfern“ erscheinen, aber als Gegenentwurf zur Realität ihre dialektische Brisanz entfalten. Dass nun sogar ein überraschend „realistischer“ Gegenwartsfilm den Weg in hiesige Kinos schafft, mag vor allem dem aktuellen Hype um die Fußball-Weltmeisterschaft geschuldet sein, bietet aber die ebenso seltene wie spannende Gelegenheit nachzuvollziehen, wie leidenschaftlich und pointiert sich das iranische Kino zu artikulieren weiß. Unter der strengen Einhaltung von Zeit und Raum, ist „Offside“ eigentlich ein theatralisches Kammerspiel mit einem langen einleitenden Akt, einem ausführlichen Hauptteil sowie einem die Aussagen weitenden und überhöhenden Epilog. Dabei ist die gewählte Kulisse gigantisch, spektakulär – und brisant: Der Film spielt im Azadi-Stadion von Teheran unmittelbar vor, während und im Anschluss an das authentische Fußball-Länderspiel zwischen Iran und Bahrain am späten Abend des 8. Juni 2005, als sich der Iran durch ein Tor des Abwehrspielers Mohammad Nosrati vor 80.000 Zuschauern doch noch für die Weltmeisterschaft in Deutschland qualifizierte. Es war ein euphorischer, geradezu rauschhaft erlebter Moment für eine fußballbegeisterte Nation und zugleich Trost für eine sich gerade mal zehn Wochen zuvor abspielende Tragödie, als am selben Ort nach dem Spiel Iran gegen Japan beim Verlassen des Stadions unter 110.000 Zuschauern eine Massenpanik ausbrach und offiziell sechs Menschen zu Tode getrampelt wurden. Jafar Panahi wird am Ende seines Films, wenn er der Opfer gedenkt, von sieben Toten sprechen – denn es gibt das Gerücht, das unter ihnen noch ein Mädchen war, was verheimlicht wurde, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Frauen dürfen im Iran kein Fußball-Stadion besuchen, um dort nicht den Flüchen der „enthemmten“ Männer ausgesetzt zu sein. Dieses bizarre Verbot mit all seinen Widersprüchen regte Panahi (ebenso wie ein privates Erlebnis mit seiner Familie, bei dem sich seine eigene Tochter trotz des Verbots ins Stadion stahl) zu seinem Film an: der Geschichte einiger junger weiblicher Fußball-Fans, die bei dem Versuch, als Männer verkleidet ins Stadion zu gelangen, aufgegriffen und in ein improvisiertes „Gefängnis“ in unmittelbarer Nähe der oberen Ränge des Stadions gesteckt werden. Bewacht von jungen Soldaten, die viel lieber daheim bei ihren Freundinnen oder Familien oder auch unter den Fans wären, ist die Geräuschkulisse des Spiels ununterbrochen präsent, den inhaftierten Frauen jedoch die Sicht aufs Spielgeschehen verwehrt. Aus dieser Situation ergeben sich die vielfältigsten Episoden: Da mimt ein Soldat leidenschaftlich den Radiosprecher, der das Geschehen durch ein Absperrgitter beobachtet und kommentiert; vehement diskutieren die eingepferchten Frauen untereinander sowie mit den Soldaten, denen schon bald die Argumente ausgehen, sodass sie sich manchem Pflicht- und Autoritätskonflikt ausgesetzt sehen; geradezu aberwitzig häufen sich die Ereignisse, als eine der Frauen dringend zur Toilette muss und von einem Soldaten durchs halbe Stadion geleitet wird; vor allem aber zeigt sich immer wieder der gesellschaftliche Riss, der durch die jungen Frauen selbst geht: mal aufmüpfig, renitent und mutig für ihre Rechte (und ihre Leidenschaft Fußball) eintretend, spüren sie immer wieder die Grenzen ihres unerlaubten Treibens. Als ein vermeintlich wohlmeinender Vater auftaucht, ein Patriarch und Traditionalist, der sich Sorgen um seine verschwundene Tochter macht, aber nicht das geringste Verständnis für das Verhalten der Frauen hat, tauscht eines der Mädchen die rebellischen Insignien des Fußballs gegen ihren im Handgepäck verstauten Tschador – ein bizarres Bild der Zerrissenheit zwischen archaischer Glaubensstrenge und eigentlicher Lebenslust, wobei der schwarze Stoff nur das Gesicht des Mädchens freigibt – auf dessen Wangen immer noch die aufgemalten Nationalfarben „glühen“. Es sind solche modellhaften, dabei nur selten (über-)konstruiert wirkenden Situationen, die der Film lebendig und sehr pointiert aneinander reiht und durch die stete Präsenz des Großereignisses Fußball zu einem einfachen, aber verblüffend prägnanten Sinnbild sozialer und politischer Befindlichkeiten verdichtet. Dahingleitend auf der emotionalen Schubkraft des Fußballs, der eine ganze Nation mitreißt und scheinbar friedlich vereint, offenbart sich die ganze Palette der Widersprüche, die (aufbegehrende) Frauen von (machohaften) Männern, „strenge“, der Macht verpflichtete Soldaten von vehement Dampf ablassenden Zivilisten sowie Alte von Jungen trennt, weil dies die traditionalistische Politik und die archaische Glaubensstrenge an der Schnittstelle zu einer im Grund doch bereits sehr modernen Gesellschaft verordnen. Dabei ist jede auferlegte Einschränkung, so Panahi, „das Resultat vieler anderer Einschränkungen. Betrachten wir eine näher, führt uns das sofort zu vielen anderen. Meine Filme funktionieren auf dieselbe Art“. Im Fall von „Offside“ mündet das permanente Reiben der Widersprüche an der Nahtstelle von dokumentarischen Impressionen und inszenierten Episoden in eine hymnische Schlussutopie, bei der die Menschen auf den nächtlichen Straßen Teherans feiern, tanzen und sich gegenseitig einladen. Kontrolle und staatliche Autorität lösen sich kurzzeitig auf, die Menschen verhalten sich solidarisch, Handschellen öffnen sich, (vermeintliche) Gesetzesübertretungen erscheinen plötzlich tolerierbar. Panahi feiert die affirmative Begeisterung für sein Vaterland mit und vermittelt zugleich die subversive Botschaft, dass sich Lebensfreude und -lust eines ganzen Volkes auf Dauer wohl nicht von Restriktionen werden zügeln lassen. Fußball als Synonym für Leidenschaft und Begeisterung, für eine alle Menschen verbindende Kraft – das ist eine schöne Vorstellung, womöglich etwas naiv und „nur“ wieder eine jener verklausulierten iranischen Parabeln, aber doch auch von bemerkenswerter Klarheit und Brisanz.