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Filmkritik
Als internationaler IS-Terrorist hat man es auch nicht gerade leicht. Denn selbst wenn man es von Syrien nach Athen geschafft hat und mit Kumpel morgens Kaffee trinkt, muss man damit rechnen, dass ein griechisches Einsatzkommando unvermittelt die Wohnung stürmt. Gut, wenn man kurz davor einen warnenden Anruf bekommt - und die Polizei bei der Razzia auch noch die Stockwerke verwechselt. So gelingt dem gesuchten Terroristen, bei dem es sich wohl um Abdelhamid Abaaoud handeln soll, die Flucht. Er hat nun einen Vorsprung von ein paar Minuten. Für Fred (Jean Dujardin), den Führungsoffizier der Anti-Terror-Einheit SDAT, der in Athen lediglich im Hintergrund agierte, ist der Einsatz ein Fehlschlag.
Schnitt. Es ist der Abend des 13. November 2015 in Paris. Im Fußballstation „Stade des France“ und im Fernsehen läuft das Länderspiel Frankreich gegen Deutschland. Es ist ein ganz normaler Freitagabend in den Bistros, Kinos und Konzerthallen. Bei der SDAT hält nur ein Mitarbeiter Wache, als plötzlich ein Telefon klingelt – und dann alle Apparate gleichzeitig.
Die Anschläge im Off
Die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris, als insgesamt rund 130 Menschen ihr Leben verloren und viel schwerverletzt wurden, sind im Bewusstsein des französischen Publikums derart präsent, dass der Film von Cédric Jimenez das filmisch starke Zeichen setzen kann, das mörderische Geschehen außerhalb des filmischen Diskurses zu belassen. Stattdessen setzt die Inszenierung ganz auf Teichoskopie, wenn die ersten Meldungen hereinkommen, auf die Politik und Exekutive dann zu reagieren haben. Und zwar möglichst professionell.
Als sich das SDAT-Team nach Mitternacht zur strategischen Besprechung trifft, wird diese Professionalität eigens thematisiert, denn jetzt gilt es! Die flüchtigen Täter haben zweieinhalb Stunden Vorsprung, aber „wir sind bereit!“ (Fred). Wenn der Fahndungs- und Aufklärungsapparat anläuft, nimmt sich das wie eine affirmative Inversion von „Der Staatsfeind Nr. 1“ von Tony Scott aus. Doch was 1998 noch als Kritik am Überwachungsstaat gelesen werden konnte, ist 2022 als patriotische Beruhigungspille für die Bevölkerung zu verstehen. Denn nun werden Bilder aus Überwachungskameras ausgewertet, Chat-Verläufe rekonstruiert, Gefährder-Profile und Geheimdienst-Informationen gecheckt. In erstaunlicher Schnelligkeit entsteht ein stimmiges Bild des Tathergangs und der beteiligten Täter. Dann erfolgen erste Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Verhöre. „November“ geriert sich als dynamisches Doku-Drama, bei der die Dringlichkeit der vorgeführten Professionalität schulterklopfend immer mitinszeniert wird.
Wie Versagen überspielt wird
Dabei könnte einem schon der Gedanke kommen, dass der Film durch sein Tempo darüber hinwegtäuschen will, dass es sich eigentlich um ein Dokument des professionellen Überspielens eines Versagens handelt. So wie Fred in Athen zu spät kam, so geht es jetzt – nach dem Anschlag - nur noch darum, der geflüchteten und untergetauchten Täter habhaft zu werden. Diese Perspektive von „November“ ist insofern merkwürdig, weil es in der realen „Terror-Karriere“ von Abdelhamid Abaaoud durchaus einige Episoden gegeben hat, in denen Terroranschläge antizipierend verhindert werden konnten.
Der mit Stars wie Jean Dujardin, Jérémie Renier und Sandrine Kiberlain prominent besetzte Actionthriller reduziert sein Personal ganz auf die Funktion innerhalb des Apparates. Sie mögen ein Privatleben haben, Familien, aber hier interessieren sie lediglich als Staatsdiener. Für den „human touch“ sorgen die junge Ermittlerin Ines (Anais Demoustier) und die junge Migrantin Samia (Lyna Khoudri). Ines agiert zunächst unprofessionell und ermittelt auf eigene Faust, wobei sie unbedacht die Tarnung eines V-Manns auffliegen lässt. Doch sie ist es auch, die der Migrantin Samia instinktiv Gehör schenkt, als diese andeutet, ihre WG-Mitbewohnerin könnte den Aufenthaltsort der untergetauchten Täter kennen oder auch Teil des Terrornetzwerkes sein. Tatsächlich ist es dieser „menschliche Faktor“, der dann am 18. November 2015 in der Rue du Corbillon im Pariser Vorort Saint-Denis zum martialischen Showdown führt. Damit hat der Apparat seine Wehrhaftigkeit bestätigt – was dem Film allemal zu genügen scheint. Zumal, wenn am Ende geraunt wird, dass dies „erst der Anfang“ gewesen sei.
Von den Tätern: Kein Bild
Nur ganz selten wagt es „November“, etwas Sand ins Getriebe der Abläufe zu streuen. Etwa, wenn ein verhafteter Waffenhändler im Verhör kurz an ein paar Jahrzehnte verfehlter Integrationspolitik erinnert (Stichwort: Molenbeek-Saint-Jean). Oder, prägnanter, wenn Samia bei ihrer Aussage, die den Apparat auf die richtige Fährte führt, so misstrauisch behandelt wird, als könne sie den Ermittlern eine Falle stellen wollen. Insofern ist die Entscheidung, den Täter:innen des 13. November 2015 im Film (fast) kein Gesicht und keine (ideologisch unterfütterte) Haltung zu verleihen, zwar etwas unheimlich, aber durchaus stimmig und konsequent. In der professionellen Konzentration auf wechselseitige Vernichtung begegnen sich IS und SDAT auf Augenhöhe.