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Filmkritik
Ein 14-jähriger Junge sitzt in einem Baum – aus Protest gegen das Leben, das keinerlei Bedeutung habe. Pierre Anthon positioniert sich damit in diametralem Gegensatz zu seinen Mitschülern der achten Klasse in einer dänischen Kleinstadt. Die Klasse hatte gerade Berufsberatung, und alle sollten sich überlegen, welche Stärken und Talente sie haben und welcher Job für sie eventuell später in Frage käme. Nachdem alle sich eifrig Gedanken gemacht oder auch Zweifel darüber geäußert haben, ob sie überhaupt Begabungen hätten, erfolgt der Auftritt des Jung-Nihilisten Pierre Anthon. Desillusioniert referiert er über die genetische Verarmung des Menschen, seine hohe Verwandtschaft mit dem Affen, über die nicht existierende Selbstbestimmung des Einzelnen und darüber, dass folglich nichts im Leben eine Bedeutung habe. Damit ist für ihn die Diskussion beendet. Er klettert auf einen Baum im Ort und weigert sich, wieder herunterzusteigen.
Opfern, was wertvoll und wertgeschätzt ist
Anstatt sein Tun als Grille eines Angebers abzutun und zu ignorieren, nehmen Pierre Anthons Mitschüler seine Worte jedoch überaus ernst, ja sogar persönlich. Wortführerin Agnes (Vivelill Søgaard Holm) schlägt vor, eine Art Altar in einer stillgelegten Scheune einzurichten, auf dem wichtige Dinge gesammelt werden. So will sie den Baumbewohner eines Besseren belehren. Es fängt relativ harmlos mit materiellen Gaben an. Agnes will eine Kette, ein Erbstück, auf den Altar legen, doch die Clique überzeugt sie, ihre Lieblingssandalen zu opfern.
Jene, die eine Opfergabe von Bedeutung hinterlassen haben, dürfen die nächste Person bestimmen, die etwas opfern soll. Doch dabei bleibt die Moral zunehmend auf der Strecke. Gerda soll ihren niedlichen Zwerghamster, Hans sein geliebtes Fahrrad opfern. Auf Druck der Clique tun sie es. Frederik, der Sohn des Schuldirektors, wird gezwungen, die Schulflagge zu entwenden. Die Forderungen der Clique arten immer mehr aus und sind irgendwann nicht mehr nur rein materieller Natur.
Eine Eskalations-Spirale kommt in Gang
Agnes fungiert auch als Erzählerin des Films im Off und kündigt bereits zu Anfang des Films an, dass der Konflikt der Schüler ein schlimmes Ende finden werde. So eskalieren in einer Spirale aus Psychoterror, Gruppendruck und jugendlichem Überschreiten von Grenzen die Forderungen: Ein Kruzifix wird aus der Schule entwendet, ein Mädchen zum Sex gezwungen, ein Hund ermordet, eine Hand verstümmelt und der Sarg eines Kindes ausgegraben. Schließlich kommen die Eltern den Jugendlichen auf die Schliche …
Dass die Teenies überhaupt so lange ihren unrühmlichen Taten nachgehen können, ist eine von mehreren Ungereimtheiten dieses Jugendfilms. Er basiert auf dem gleichnamigen Bestseller der dänischen Autorin Janne Teller, der sich weltweit 1,5 Millionen Mal verkauft hat und bereits mehrfach für das Theater adaptiert wurde. Nun hat sich Regisseurin Trine Piil des Stoffes angenommen. Wer die literarische Vorlage nicht kennt, mag jedoch Mühe haben, die zunehmende moralische Verwahrlosung der jungen Protagonisten und die Eskalation von Gewalt nachzuvollziehen. Schlüssige Motive dafür kann der Film jedenfalls nicht ausmachen. Die Schüler leben in geordneten Verhältnissen in normalen Mittelstandsfamilien. Agnes und Sofie (Maya Louise Skipper Gonzales) sind beste Freundinnen, bis die Krisensituation sie allmählich entzweit.
Grundlose Biestigkeiten
Überhaupt scheinen die jungen Sinnsucher sich weniger darum zu scheren, was einen Wert hat, als vielmehr, die wunden Punkte ihrer Mitschüler und (ehemaligen) Freunde treffen zu wollen. Es beginnt mit Gemeinheiten untereinander, die dem schwierigen Alter der Jugendlichen geschuldet sind, endet in Bestechung und Terror – und alle geben dem Druck der Gruppe nach. Nur Hussain, der einzige Schüler mit Migrationshintergrund, spielt nicht mehr mit. Wie die Fast-Noch-Kinder auf einmal solche Grausamkeit und solch amoralisches Verhalten entwickeln, erschließt sich nicht und kann auch nicht nur durch Gruppenzwang erklärt werden. Auch die familiären Probleme und Tragödien – zwei Schüler haben Geschwister verloren – halten kaum als Motivation her.
Und so hängt der Plot, in dessen Verlauf die Teenager mit ihren noch sehr kindhaften Gesichtszügen und ihrem Mangel an Lebens- und Gewalterfahrung mehr und mehr über die Stränge schlagen, seltsam in der Luft. Warum wollen Pierre Anthons Mitschüler ihm unbedingt beweisen, dass er Unrecht habe? Keiner der Teenager hatte sich zuvor als besonders dem Sinn des Lebens zugewandt oder als philosophisch interessiert zu erkennen gegeben.
Eher reißerisch als tiefsinnig
Für eine Parabel ist der Film zu buchstäblich und zu sehr im realen Leben verwurzelt. Mit einer nihilistischen Gewaltstudie wie Michael Hanekes „Funny Games“, wo das Böse um des Bösen willen zelebriert wird, kann der Film nicht mithalten. Aber auch ein Jugendbuch-Klassiker wie „Der Herr der Fliegen“, der die Gewaltspirale der Kinder durch ihre erzwungene Isolation auf einer Insel hinreichend motivierte, bewegt sich auf einem qualitativ ungleich höheren und ambivalenteren Niveau. „Die Welle“ begründete die Verführung der Jugendlichen zu Fanatismus und Gewalt durch autoritäre und schließlich diktatorische Propaganda von außen. Doch in „Nichts“ geht der Konflikt von einer Mitschüler-Behauptung aus, auf die die Reaktion der Clique kaum angemessen scheint.
Auch die Rolle von Agnes ist inkonsequent aufgebaut. Die eher strebsam wirkende Schülerin hat zwar ständig Gewissensbisse, doch sie setzt den Konflikt in Gang und lässt ihn geschehen. Dass alle mit dem Strom schwimmen und kein einziger ausschert, ist kaum nachvollziehbar und erscheint als Verrohung ohne Not – eine allzu fadenscheinige Steilvorlage für psychische und physische Grausamkeiten. Und so ist die Adaption letztlich weniger ein spannender Beitrag zum Thema jugendlicher Sinn-Sehnsucht als ein reißerischer Film ohne rechten Stil und ohne überzeugende Aussage.