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Filmkritik
Ob sie wisse, was er in seiner Hand halte, fragt sie der Arzt. Einen Kugelschreiber natürlich, antwortet June, irritiert über die dumme Frage. Mehrmals wird Dr. Michael Lawton die Prozedur mit anderen Gegenständen wiederholen. Bis June entrüstet fragt, was sie hier mache, warum sie nicht zuhause sei. Dann muss die alte Frau erfahren, dass sie nach einem Schlaganfall vor fünf Jahren im Winburn Rest Home lebt, einem Pflegeheim, und an Demenz leidet.
June versteht die Welt nicht mehr; ihr geht es doch prima. Wie durch ein Wunder scheint sie geheilt. Doch Dr. Lawton warnt sie, dass jederzeit ein Rückfall drohe. June ficht das nicht an. Sie hat ihre selbstbewusste, lebenstüchtige Resolutheit, die sie als jüngere Frau besaß, wiederentdeckt und verlässt das Heim, um in ihr Haus zurückzukehren. Allerdings wohnt dort inzwischen eine andere Familie. Notgedrungen schlüpft June bei ihren erwachsenen Kindern unter, erst bei ihrer Tochter Ginny und ihrem Enkel Piers, dann bei ihrem Sohn Devon. Die Geschwister sprechen allerdings nicht mehr miteinander, und so versucht die alte Frau, mit ihrer dominant-fordernden Art die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Zufällig stößt sie auch noch auf die Spur eines früheren Geliebten. Doch als Zuschauer weiß man: June läuft die Zeit davon.
Mit einer leisen Portion Humor
Es mehren sich Filme wie beispielsweise „The Father“ oder „Supernova“, die sich mit den Auswirkungen von Altersdemenz beschäftigten. Während „The Father“ konsequent aus der Sicht eines kranken Mannes erzählt ist, beschreibt „Supernova“ die Konsequenzen der unheilbaren Krankheit für die Beziehung eines homosexuellen Paares. Das Gedächtnis und damit verbunden ihre Persönlichkeit zu verlieren, ist für viele Menschen eine große Angst. Die Folgen für die Betroffenen und ihr unmittelbares Umfeld sind ebenso gravierend wie beklemmend.
Der Tragik vieler Demenz-Filme setzt der neuseeländische Regisseur JJ Winlove eine leise Portion Humor entgegen. Zunächst etabliert er ein Wunder, das ähnlich wie in „Zeit des Erwachens“ (1990) die Geschichte erst ins Rollen bringt. So wie dort Robert De Niro nach 30 Jahren im Koma neu lernen musste, sich wie ein Erwachsener zu benehmen, so muss auch June nach langer „Auszeit“ lernen, ihr Schicksal und ihre Krankheit zu akzeptieren. Die ungelebte Zeit lässt sich nicht wieder aufholen. Der sanfte Humor entsteht dabei zunächst durch das Unverständnis, mit dem June auf ihre „neue“ Umwelt reagiert. Sie knüpft einfach dort an, wo sie vor fünf Jahren aufgehört hat, während für alle anderen das Leben weitergegangen ist.
Im Spiegel des Enkels
Diese Kluft sorgt für komische Reibung, aber auch die rücksichtslose Resolutheit, mit der sie fortan den Alltag ihrer erwachsenen Kinder umkrempelt. Die Inszenierung kann sich dabei mit Noni Hazlehurst auf eine exzellente Darstellerin verlassen. Sie beherrscht sowohl die amüsanten Zwischenspiele als auch die Darstellung einer demenzkranken Frau, die neben sich steht und ihre Umwelt nicht mehr versteht. Anrührend ist vor allem jene Szene, in der June einen Film schaut, den ihr Enkel mit einer kleinen Kamera noch im Pflegeheim aufgenommen hat. Die alte Frau sieht sich selbst dabei zu, wie sie hilflos und verwirrt in ihrem Zimmer steht. Plötzlich begreift sie, wie krank sie in all den Jahren gewesen ist. Und es schon bald wieder sein wird.