- RegieAnisia Uzeyman
- Dauer105 Minuten
- GenreDramaScience FictionFantasyMusik
- Cast
- TMDb Rating6/10 (24) Stimmen
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Filmkritik
Tag und Nacht wird in den Minen von Burundi Coltan abgebaut. Während die Männer mit Hacken und Hämmern das Erz schlagen, wachen Aufseher über ihnen, die auf den Graten zwischen den Abbaustellen Wache schieben. Als der Minenarbeiter Tekno entrückt ein Stück Erz in Luft hält und nicht weiterarbeiten will, wird er von einem der Wärter erschlagen. Sein Freund Matalusa (Bertrand Ninteretse) flieht entsetzt aus der Mine.
In den Hügeln fällt derweil sandige Erde auf einen Sarg. Kurz nach dem Begräbnis von Neptunes Mutter klopft ein Priester an die Tür. Der Mann fordert Neptune auf, sich neben ihn zu setzen und beginnt die Hacker:in zu belästigen. Da schlägt Neptune den Priester nieder und flieht.
„Neptune Frost“ von Saul Williams und Anisia Uzeyman erzählt in Gestalt eines afro-futuristischen Musicals den Beginn einer Auflehnung. Matalusa und Neptune driften durch ein brodelndes Land, in dem die Regierung aus Angst vor Protesten alle Medien abgeschafft und unzählige Oppositionelle einsperrt hat, um an der Macht zu bleiben. Freiheit finden die beiden vor allem beim Blick in den Himmel. Niemand scheint an ihnen Interesse zu haben. Auf einer Fähre über einen See zieht Neptune ein paar Pumps aus dem Rucksack und geht auf Absätzen weiter.
Kurz darauf kollabiert Neptune, wird aber wiederbelebt. In dieser Szene wechselt die Darstellerin der Figur. Während Neptune bisher von dem Tänzer Elvis Ngabo verkörpert wurde, leiht ab da die Sängerin Cheryl Isheja der Figur ihren Körper. Neptune erscheint in dem Film als intersexuelle Gestalt, die die Grenzen einer binären Geschlechterordnung überschreitet.
Männlich, weiblich, intermediär
„Was als Verständnis erblühte, wurde in Jahren der Verwirrung gepflanzt“: Neptunes Weg der Erkenntnis führt einmal quer durchs Land und über Geschlechtergrenzen hinweg. Die vage Erzählung wird zunächst von einer Stimme aus dem Off strukturiert. In Neptunes Transformation hebt sich auch die Irritation auf, dass die Erzählstimme weiblich klingt, während Neptune zu Beginn des Films männlich erscheint.
In den Hügeln von Burundi hat eine Gruppe rund um die Hardware-Hackerin Memory (Eliane Umuhire) ein improvisiertes Dorf errichtet. Hier versammeln sich alle, die vor der Repression auf der Flucht sind und Widerstand leisten möchten. Doch auch hier sind die Rebell:innen nicht. „Ich kann dir versichern, dass das, wovor wir weglaufen, auf uns alle zurennt.“
Auf Umwegen finden Neptune und Matalusa ihren Weg ins Dorf. Mit den beiden wird die Auflehnung auf eine neue Ebene gehoben. Matalusa bringt neben der Minenerfahrung der Unterdrückung auch die Idee der Befreiung mit. Neptune vermag Energie in sich zu bündeln und verschafft dem Rebellen-Dorf so die Möglichkeit, seine Auflehnung übers Internet sichtbar zu machen.
Spektakuläre Bilder der Rebellion
Der US-Musiker und Schauspieler Saul Williams dachte bei diesem Stoff ursprünglich an eine Graphic Novel oder ein Bühnenmusical. Als die Form zu einem Film wechselte, wurde Lin-Manuel Miranda, der Kopf hinter dem Erfolgsmusical „Hamilton“, als Produzent gewonnen. Die in Ruanda geborene Co-Regisseurin Anisia Uzeyman hatte in ihrem Langfilmdebüt „Dreamstates“ (2016), einem auf Smartphones gedrehten Afropunk-Film, einen beeindruckenden Stilwillen bewiesen. Finanziert wurde der Film durch eine Crowdfunding-Kampagne, die rund 200.000 Dollar einwarb.
„Neptune Frost“ zeigt in spektakulären Bildern eine mystische Welt der Rebellion, in der Musik und Technik den Weg zur Befreiung weisen. Die Bilder setzen dabei mehr auf Licht- und Toneffekte, auf leuchtendes Make-Up und Glitzer als auf Spezialeffekte. Die Kostüme stammen vom ruandischen Modedesigner Cedric Mizero und sind für das futuristische Aussehen des Films von größter Bedeutung.
Wie nicht selten bei Musicals, bleibt die Handlung eher vage. Momente des Konkreten, wenn Mataluse beispielsweise den Mittelfinger ins Bild reckt und „So fuck Mr Google“ singt, zählt überdies zu den schwächeren Szenen. Zugleich geben die Songs und die Off-Kommentarstimme den Filmemachern die Möglichkeit, den Film über die Figuren hinaus zu öffnen und Strukturen der Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen zu thematisieren.
Neptunes und Matalusas meist recht ereignisloser Weg durchs Land nähert „Neptune Frost“ andererseits dem internationalen Kunstkino an. Diese Strategie zahlte sich für den Film auch aus, der 2021 in der „Quinzaine des Réalisateurs“ in Cannes lief und anschließend auf den Filmfestivals in Toronto, New York und Sundance. „Neptune Frost“ verwebt futuristische Bilder und Musik zu einer bitteren Anklage angesichts des Ungleichgewichts zwischen dem Reichtum an Rohstoffen und der verbreiteten Armut.