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Filmkritik
Neneh hört auf ihren riesigen Kopfhörern am liebsten HipHop und tanzt dann die Straßen rauf und runter. Denn die 12-Jährige ist Tänzerin und träumt davon, an der renommierten Ballettschule der Pariser Oper angenommen zu werden. Bei der Aufnahmeprüfung stellt sie fest, dass sie dort das einzige schwarze Mädchen ist. Außerdem stammt Neneh (Oumy Bruni Garrel) aus weniger bürgerlichen Verhältnissen wie ihre Konkurrentinnen. Die hören alle auf gediegene Vornamen wie Romane oder Victoire, haben im Alter von Zweieinhalb mit dem Tanzen angefangen und nehmen zu den offiziellen Tanzkursen noch privaten Unterricht. Neneh dagegen schert sich nicht ums Protokoll, ist sehr direkt und gibt freimütig zu, dass sie sich viel von ihrer Technik auf Youtube-Videos abgeschaut hat.
Als Neneh schließlich angenommen wird, ist ihre Freude groß. Doch an der Schule sind nicht alle froh über ihre Anwesenheit. Neneh wird mit Snobismus, Neid, aber auch kaum verhohlenem Rassismus konfrontiert. Durch ihre forsche, selbstbewusste Art eckt sie an und wird von manchen Lehrern benachteiligt. Auch einige ihrer Mitschülerinnen mobben sie. Als sie sich dagegen wehrt, erhält sie Tadel, ohne dass die Urheberinnen des Psychoterrors abgestraft werden. Angesichts der Feindseligkeit, mit der ihr auch die Ballettdirektorin begegnet, überlegt Neneh schließlich, ob sie die Ballettschuhe nicht an den Nagel hängen soll.
Eine klassische Aufsteigerschichte
„Neneh Superstar“ von Ramzi Ben Sliman ist eine klassische Aufstiegsgeschichte über eine tanzende Figur, wie man sie aus „Billy Elliot“ oder „Flashdance“ kennt. Während in diesen Klassikern der Klassenunterschied eine Rolle spielt, wird hier erschwerend der indirekte und direkte Rassismus thematisiert, den Neneh ertragen muss. Der äußert sich zunächst in hochgezogenen Augenbrauen ihrer Mitschülerinnen oder ablehnenden Bemerkungen und wird schließlich auch zu einem existenziellen Problem. Da Neneh offenbar den Ehrenkodex der Pariser Banlieues verinnerlicht hat, ihre Angreiferinnen nicht zu nennen und Konflikte intern zu lösen, stößt sie sich doppelt an den Anforderungen der Schule. Denn da die Direktion und ihre Mitschülerinnen diese Kodizes nicht befolgen, können die Schuldigen nicht ermittelt werden.
Der Rassismus der Lehrer wird überzeugend geschildert. Sie sehen nichtweiße Tänzerinnen als nicht in die Tradition passend an, und auch der Dünkel und die Ignoranz von Nenehs Mitschülerinnen sind in ihrer Erziehung und Herkunft begründet. Dennoch stört man sich bald an den Klischees, die das Drehbuch immer mehr ausschmückt. Denn Nenehs Eltern sind liebevolle und hart arbeitende Menschen, wenngleich keine Akademiker, und so wächst das Mädchen nicht in einem asozialen Milieu auf oder befolgt die (ungeschriebenen) Gesetze der Straße. Insofern erscheint ihre Weigerung, ihre Peinigerinnen zu nennen, kaum nachvollziehbar.
Nach den Regeln der Banlieue
Generell gefällt sich „Neneh Superstar“ in Kontrasten und zeichnet viele Figuren nur schemenhaft. So erscheint es nicht logisch, dass Neneh, die in der Banlieue sozial gut integriert war, an der Tanzschule überhaupt keine Freundinnen findet – Konkurrenz hin oder her. Auch ihr Duzen von Respektpersonen und das Nichteinhalten elementarer Höflichkeitsrituale werden eher plump inszeniert und beschwören unnötige Gegensätze herauf.
Dass sich das Mädchen in dem Tanzinternat, wo sie ihr eigenes Zimmer hat und sich in eine strenge Tagesdisziplin einfügen muss, zuweilen einsam fühlt, kann man verstehen. Erfrischend ist, dass Neneh trotz des Snobismus ihrer Klassenkameradinnen keinerlei Sozialscham empfindet. Dass sie in Momenten großer Niedergeschlagenheit ihre Hautfarbe verflucht, erscheint in ihrem Kontext so erschütternd wie stimmig, denn Bemerkungen über ihre angeblich abweichende Physiognomie muss sie sich anfangs öfter anhören.
Interessant ist dabei auch die Schilderung eines Milieus, das dem des Hochleistungssports ähnelt und in dem von der Ernährung über das Training nichts dem Zufall überlassen wird. Die Tanzschülerinnen werden vermessen, es wird über den Umfang ihrer Oberschenkel und Taillen spekuliert und bestimmt – alles im angeblichen Interesse der optimalen Maße einer angehenden Primaballerina. Die junge Hauptdarstellerin Oumy Bruni Garrel schlägt sich wacker und lässt ihre Figur trotz – oder wegen – ihrer Ungehobeltheit sympathisch und tänzerisch begabt herüberkommen.
Ein Art Alter Ego
Der größte Schwachpunkt von „Neneh Superstar“ ist die Zeichnung der Direktorin Marianne Belage, gegen deren klischeehafte Rolle selbst eine gestandene Leinwandgröße wie Maïwenn kaum anspielen kann. Sie gibt sie als gestrenge Ex-Ballerina mit Dutt, hinter deren Fassade sich Geheimnisse verbergen. Denn Marianne Belage ist zugleich die Nemesis und das Alter Ego von Neneh. Auch sie stammt aus der Banlieue, hat ihren arabischen Geburtsnamen Myriam Bel Hadj jahrzehntelang vor ihren Kollegen erfolgreich verborgen und fühlt sich von der unbefangenen Neneh offenbar so bedroht, dass sie sie am liebsten von der Schule verweisen würde.
Am Ende vollzieht Marianne/Myriam dann eine 180-Grad-Wende zur gütigen Mutterfigur. Diese war vorhersehbar, überrascht aber doch durch ihre Radikalität. Eingeleitet wird die charakterliche Wandlung der ehemaligen Primaballerina durch einen dramatischen Sturz, bei dem sich Marianne/Myriam verletzt und ihre blauen Kontaktlinsen – auch sie dienen der Verschleierung ihrer wahren Herkunft – verliert. All das ist so symbolisch wie holzschnittartig inszeniert und macht den Weg frei für ein hoffnungsvolles Ende, das man der jungen Heldin Neneh zwar gönnt, das aber auch durch subtilere inszenatorische und narrative Mittel hätte erreicht werden können.