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Filmkritik
Der amerikanische Regisseur Alexander Payne lässt sein Publikum nie lange im Unklaren, worum es in seinen Filmen geht. Eine einzige Kameraeinstellung wie die zu Beginn von „Nebraska“ definiert bereits den ganzen Film: eine winterliche, menschenleere Landstraße und ein alter Mann, der zielstrebig auf ihr entlang stolpert. Auch schon in Paynes Film „About Schmidt“ (fd 35 843) war es Nebraska, in „Sideways“ (fd 36 906) ein von den Tourismus-Metropolen weit entfernter Landstrich Kaliforniens, in „The Descendants“ (fd 40 859) das Hawaii der dort Aufgewachsenen. Wenn er nun in seine Heimat (Payne stammt aus Omaha in Nebraska) zurückkehrt, dann tut er das mit vermehrter Sensibilität, mit einem scharfen Blick für das langsam verkommende Small-Town-America, aber auch mit einer guten Portion Nostalgie für die Menschen, die immer noch dort leben und vergeblich auf die Erfüllung ihres ganz persönlichen „amerikanischen Traums“ warten. Der alte Trunkenbold Woody, der sich längst mit der Eintönigkeit seiner Umgebung, seiner Ehe und seines verkorksten Berufslebens abgefunden hat, humpelt nicht zufällig die öde Landstraße entlang. Sein schon nicht mehr ganz klares Gehirn spiegelt ihm noch einmal, bevor es unvermeidbar zu Ende geht, die stets erhoffte Chance vor, von der sie alle leben, die Menschen in diesem von der Industrie und der hohen Politik alleingelassenen Landstrich. Er hat einen Brief von einer Sweepstake-Lotterie erhalten, der ihm vorschwindelt, er sei der Gewinner von einer Million Dollar. Den kleinen versteckten Haken, der das falsche Versprechen gerade noch am Rand der Legalität als solches entlarvt, erkennt Woody nicht mehr. So ist er denn auf dem Weg von Billings (Montana) nach Lincoln (Nebraska), um sich den vermeintlichen Gewinn abzuholen. Versuche, ihn daran zu hindern, die seine schroffe Ehefrau und sein gutmütiger Sohn Dave unternehmen, fallen auf unfruchtbaren Boden. Dave entschließt sich letztlich, den dementen Vater nicht länger sich selbst zu überlassen, und fährt ihn die vielen hundert Meilen nach Lincoln. Als sie unterwegs in einem kleinen Kaff mit dem (erfundenen) Namen Hawthorne Halt machen, um Verwandte und ehemalige Freunde zu besuchen, kommt auch die Frau mit dem Bus hinterher. Das Gerücht vom Lotteriegewinn verbreitet sich wie ein Lauffeuer, der Neid unter den Habenichtsen aber auch. Mit diesem Abstecher in einen von jedem Wirtschaftswunder übergangenen Ort inmitten der weiten Ebenen Nebraskas befindet sich das Publikum des Films im Herzen Amerikas. Hier ist es, wo dem Zuschauer spätestens klar wird, dass sich Woody bei seinem langen illusorischen Marsch in ein besseres Leben auch filmhistorisch auf einem langen Weg voller Anspielungen auf Vorbilder und Traditionen befindet. Schon sein Name verweist gewiss nicht zufällig auf die Hauptfigur in Preston Sturges' „Hail the Conquering Hero“, einen vermeintlichen Kriegshelden, den sein kleiner Heimatort mit Ehren überschüttet. Doch seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs hat sich das Leben im amerikanischen Herzland gründlich verändert. „This used to be a fine country. What went wrong?“ fragte Jack Nicholson schon zu Beginn von „Easy Rider“ (fd 16 524) - eine Frage, die auch hinter jeder Szene von Alexander Paynes Filmen steht. Ähnlich wie bei Preston Sturges erschöpfen sich Paynes liebevoll satirische Beschreibungen einer amerikanischen Gegenwart, die sonst allenfalls in Road Movies und ein paar Independent-Produktionen auf der Leinwand sichtbar wird, nicht in Kuriositäten, sondern verdichten sich zu vielschichtigen Panoramen zwischen Komödie und Tragik, Hoffnung und Verzweiflung. Paynes „Nebraska“ ist wie das Leben selbst, und sein Kameramann Phedon Papamichael hat die entsprechenden Bilder gefunden, desolate Straßen, verfallende Farmhäuser, weite pittoreske Landschaften und lebhafte Kneipen: Realität, Poesie und Karikatur zugleich, Western Country zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Und dann gibt es da nahezu in jeder Einstellung diesen langsam vertrottelnden, weißhaarigen alten Mann, dessen Sturheit ebenso groß ist wie seine Gleichgültigkeit. Zu Anfang des Films erfährt man wenig über ihn. Er ist einfach da, stört sich nicht an die gutgemeinten Ratschläge seiner Familie, beharrt in stummer Hartnäckigkeit darauf, seinen Millionengewinn im weit entfernten Lincoln abzuholen. Hinter den unverkennbaren Anzeichen der Demenz verbirgt sich ein unabänderlicher Wille, seinem Leben zu später Stunde doch noch ein Ziel zu setzen. Dass es sich um ein ziemlich verpfuschtes Leben handelt, hört man erst im Lauf der Zeit, wenn seine Frau und eine ehemalige Liebschaft portionsweise kleine Details verraten und die Verwandten und Freunde in Hawthorne in Erinnerungen kramen. Lange bleibt in der Schwebe, ob man über den alten Mann lachen oder Mitgefühl empfinden soll. Was übrigens für alle Figuren des Films gilt. Es ist Bruce Dern, der das Publikum an dem gar nicht sonderlich sympathischen Woody festhalten lässt, der das Kunststück fertigbringt, den unattraktiven „Helden“ dieser abseitigen Geschichte zu totaler Glaubwürdigkeit zu unterspielen und gleichzeitig zu einer Art Don Quichotte des amerikanischen Mittelwestens zu machen. Einem Film, der auf so vielfältige Weise den ungleichen Spuren von „Fargo“ (fd 32 223) und Norman Rockwell zu folgen versteht, gibt dieser Don Quichotte den passenden Mittelpunkt.