- RegieDavid Cronenberg
- Dauer110 Minuten
- GenreDrama
- Cast
- IMDb Rating7/10 (43014) Stimmen
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Filmkritik
Im New York des Jahres 1953 sorgt Kammerjäger Bill Lee auf höchst unübliche Weise für den Verbrauch seines Insektengiftes. Bill und seine Frau Jean jagen sich das Zeug m die Adern, um auf die kafkaeske Art high zu werden. Im Drogendelirium fühlen sie sich als Käfer. Es dauert nicht lang, da nimmt eine Riesenkakerlake Kontakt mit Lee auf und gibt sich als sein Verbindungsoffizier zu einer Geheimorganisation zu erkennen. Bill bekommt den Auftrag, Joan zu beseitigen, die eine feindliche Agentin und außerdem kein menschliches Wesen sei. Angewidert erschlägt Bill das Vieh, doch kurz darauf jagt er Joan bei ihrem traditionellen "Wilhelm-Tell-Spiel" eine Kugel in die Stirn. Auf seiner Flucht vor dem Gesetz verdingt er sich als Agent der besagten Käferorganisation und soll zur Tarnung auf homosexuell mimen, was gelingt. Als Zentrum der dubiosen Machenschaften stellt sich bald die Kashbah einer nordafrikanischen Stadt heraus. Seine wirren Berichte tippt Bill regelmäßig in seine frisch erworbene Schreibmaschine, die sich alsbald in einen sprechenden Riesenkäfer verwandelt. Sein Delirium führt Lee zu einer mysteriösen Frau, die der toten Joan aufs Ei gleicht, und auf die Spur der abstrusen feindlichen Organisation, die ebenso grausam-düstere wie undurchschaubare Ziele verfolgt.
Ein Kultbuch der Beatnik-Generation, "Naked Lunch" von William S. Burroughs, die literarische Verarbeitung von Drogenerfahrungen und sexuellen (Angst-)Phantasien, diente David Cronenberg als Ausgangspunkt. Dabei betont er, keine Verfilmung im Auge gehabt zu haben, sondern eine eigenständige, frei mit dem Material jonglierende Version vorzulegen. Und in der Tat, der Film "Naked Lunch" zeigt Cronenberg in Reinform. Er entfesselt einen halluzinatorischen Mahlstrom, der jede Realität und sämtliche Bewußtseinzustände aufsaugt -ein Film als Horrortrip. Anfangs wiegen warme Brauntöne und eine geschliffene Inszenierung den Betrachter noch in falscher Sicherheit. Doch dann geht es, frei nach dem vorangestellten Motto "Nichts ist wahr, alles ist erlaubt", ab in die Tiefe. Mit jeder Szene entfaltet sich eine abstruse Welt, die nur nach den eigenen Regeln funktioniert und diese ständig verändert. Auf allen Ebenen spielt Cronenberg ebenso geschickt wie hemmungslos mit den Polen Schrecken und Faszination, "tremendum et fascinosum". Seine Bilder triefen nur so von glitschig-schleimigen Gestalten, die ganze Atmosphäre erscheint als wabbelndes Glibbern. Auf dem Horrortrip ins Unbewußte lösen sich alle festen Strukturen, Identitäten und Normen auf. Die Wahrnehmung wird ebenso auf den Kopf gestellt wie jede Alltagserfahrung. Cronenberg definiert daher die Evolution rückwärts: vom Menschen zum Insekt, von der Struktur zum Chaos, vom Intellekt zum Triebwesen, vom Individuum zur dumpfen, von fremden Mächten gesteuerten Masse.
Doch Cronenbergs Version des freudianischen Regresses vom Über-Ich zum Es führt zu keiner Erlösung, wie sie die Beatniks erhofften, nicht zu neuer Kreativität, nicht zu einem höheren Bewußtseinsstadium, nicht zum neuen Ich. Sein Abstieg ins psyschisch-psychedelische Labyrinth führt nicht ans Licht, sondern ins Nichts. Bei Franz Kafka war die Verwandlung zum Käfer der Ausdruck einer Gesellschaft, die zu Erstarrung, Gefangensein und Identitätsverlust führt. Um Cronenberg glitschiges Epos in diese Richtung zu interpretieren, bedarf es schon viel guten Willens. "Naked Lunch" läßt sich durchaus als bitterböser Kommentar auf eine fehlgeleitete Welt deuten, die sich auf dem Regreß zur Ursuppe befindet. Doch der Suche nach tieferen Bedeutungsebenen stehen Cronenbergs auf den direkten Effekt hin kalkulierte Ekelbilder im Wege. Primäres Ziel Cronenbergs ist die Verunsicherung des Publikums, das Aufbrechen von festen Strukturen jeder Art. Doch seine filmischen Mittel provozieren in erster Linie Abwehrmechanismen.