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Filmplakat von Für immer und ewig

Für immer und ewig

91 min | Drama
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Einfach so und ohne Vorwarnung verlässt Clarisse eines Morgens ihren Mann Marc und ihre beiden Kinder Lucie und Paul. Im gemeinsamen Haus vergeht die Zeit: Aus den vier Familienfotos am Kühlschrank werden drei...

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Filmkritik

Eine junge Frau packt eines frühen Morgens ein paar Kleider und einigen Krimskrams in eine Reisetasche. Sie setzt sich ins Auto und fährt los. Weg vom Haus, in dem sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt. Weg aus dem Ort, an dem sie – vielleicht, oder gar wahrscheinlich – auch glücklich war. Begründungen für ihren plötzlichen Aufbruch, derweil der Rest der Familie noch schläft, eröffnet Mathieu Amalric in seiner Regiearbeit „Für immer und ewig“ den Zuschauern (vorerst) nicht.  Bei der Tankstelle an der Ausfahrt des Dorfes macht die Frau, Clarisse (Vicky Krieps), halt. Zwei Monate sei sie mit dem Auto nicht mehr gefahren, antwortet sie auf die Frage der mit ihr offensichtlich näher bekannten Tankwartin. Doch nun will sie los. Auf und davon. Irgendwohin, vielleicht vorerst mal ans Meer. Die Tankwartin kontrolliert den Ölstand, füllt den Tank.

Clarisse verabschiedet sich und fährt von dannen: Eine Frau in einem Oldtimer, Baujahr 1978 oder 1979, so genau weiß Clarisse das nicht, als sie bei einem nächsten Zwischenhalt von einem Passanten danach gefragt wird. Das Tonbandgerät, von dem sie unterwegs Kassetten mit selbst Aufgezeichnetem abspielt, dürfte ähnlich alt sein. Doch zeitlich exakt verortet sich „Für immer und ewig“ so wenig wie geografisch.

Beziehungen, Distanz und Nähe

Zugrunde liegt Mathieu Amalrics achtem Spielfilm als Regisseur das 2003 erschienene Theaterstück „Je reviens de loin“ von Claudine Galéa. Dessen Titel bedeutet wörtlich übersetzt: „Ich komme von weit her zurück“. Der Film, in Deutschland unter dem Titel „Für immer und ewig“ lanciert, heißt im Original „Serre moi fort“. Das kann übersetzt sowohl „Halte mich fest“ wie auch „Drücke mich fest“ bedeuten. Sowohl der Titel des Dramas wie auch der französische Filmtitel passen viel besser zu dieser anfänglich rätselhaft daherkommenden Geschichte. Denn sie verweisen direkt auf deren Inhalt, der etwas mit Beziehungen, mit Distanz und Nähe zu tun hat.

Tatsächlich lebt „Für immer und ewig“ weniger von der sichtbaren Handlung als von den emotionalen Zuständen und innerlichen Entwicklungen seiner Protagonistin und ihrem Verhältnis zu ihren engsten Angehörigen. Während Clarisse Auto fährt, hört sie Musik. Oft Klavieraufnahmen ihrer halbwüchsigen Tochter Lucie, die von einer Karriere als Pianistin träumt. „Immer diese Tonleitern!“, sagt Clarisse im Auto vor sich hin. Und dann: „Spiele, du kannst das, spiele, spiele frei!“ Kurz davor oder danach sagt sie aber auch: „Ich werde eure Zukunft erfinden.“ Das wiederholt sie mehrmals. Nicht nur hier, gedankenverloren im Selbstgespräch, sondern auch anderswo in der Begegnung mit ihrer Tochter. Es gibt noch einen anderen Satz, den Clarisse mehrfach wiederholt. Er lautet: „Ich bin nicht diejenige, die weggegangen ist.“

Mit orangefarbenem Notizbuch ins neue Leben

Clarisse beschreibt die Zukunft der von ihr zurückgelassenen Familienmitglieder in einem orangefarbenen Notizbuch, das sie in ihr neues Leben begleitet. Sie ist nun an einem anderen Ort anzutreffen. In einem Ort irgendwo am Meer, an dem es einen Fischmarkt gibt und ein Hafenmuseum, in dem sie zeitweilig als Fremdenführerin für deutschsprachige Touristen jobbt. Man trifft Clarisse in einer Bar, in einer Disco, im Gespräch mit der Barkeeperin und mit Zufallsbekanntschaften. Oft sitzt sie auch allein irgendwo. Blättert in ihrem Notizbuch, starrt gedankenverloren vor sich hin, um dann unmittelbar in Dialog zu treten mit den drei Menschen, die sie zurückgelassen hat in diesem Haus, in dem sie davor zusammenlebten. Manchmal antworten ihr Marc, Lucie und Paul, und dann scheint Clarisse glücklich zu sein.

Die Zeit in „Für immer und ewig“ vergeht. Doch nicht stringent chronologisch, sondern sprunghaft. Nicht nur vorwärts in die Zukunft, sondern manchmal unverhofft auch zurück in die Vergangenheit. Man erfährt, wie Clarisse und Marc sich in einem Club kennenlernten, wie Marc, einige Jahre nachdem Clarisse aus seinem Leben verschwunden ist, für Paul ein Baumhaus baut. Man sieht, wie Lucie ins Zimmer umzieht, das Clarisse früher bewohnte, und wie sie wenig später den lang ersehnten Flügel bekommt. Sie ist nun eine Jugendliche und übt für die Aufnahmeprüfung ans Konservatorium in Paris, Paul ist als Teenager mit Eishockey beschäftigt.

Vieles erscheint rätselhaft

Vieles an „Für immer und ewig“ erscheint rätselhaft. Am meisten irritiert, dass die Familie auf Clarisses Weggang kaum reagiert. Sie scheint ihren Alltag zu leben wie gewohnt. Marc kümmert sich um die Kinder, Paul heftet einen Einkaufszettel, den Clarisse auf dem Küchentisch liegen ließ, an den Kühlschrank. Lucie sitzt wann immer möglich am Klavier und klimpert … Bis nach rund der Hälfte des Films ein Schlüssel zu des Rätsels Lösung auftaucht und Clarisse einen neuen Kontaktversuch zu ihrer Familie unternimmt.

„Für immer und ewig“ ist keine leichte Kost, aber ein großartiger Film. Er fordert von den Zuschauern Wachsam- und Aufmerksamkeit, ein Hören auf leise Zwischentöne, das Sich-Einlassen auf das Verschobene und aus den Fugen Geratene, das Auseinanderbrechen auch einer Familie nicht aus Gründen der Disharmonie, eines Zerwürfnisses oder eines schleichenden Auseinanderlebens. Wirklich abhanden nämlich kommen Clarisse, Marc, Lucie und Paul einander nicht. Aber sie müssen – oder vor allem Clarisse muss – lernen, ihren Liebsten in einer neuen und anderen Wirklichkeit zu begegnen.

Eine Grenze wird ausgelotet

Mathieu Amalric erzählt sprunghaft. Oft prallt in der Montage unmittelbar aufeinander, was zueinander nicht zu gehören und zu passen scheint. Und diese (Selbst-)Gespräche, die Clarisse, und manchmal auch Marc, in den leeren Raum hinaussprechend miteinander führen, sind nicht nur für die Kinder oder andere im Film Anwesende, sondern auch für die Zuschauer gewöhnungsbedürftig. Doch es lohnt, sich auf diesen Film und seine vermeintliche Irrealität einzulassen. Denn „Für immer und ewig“ lotet eine Grenze aus, die auch in der Realität so scharf nicht gezogen ist. Dass dies gelingt, ist zu großen Teilen das Verdienst von Vicky Krieps, die dieser in ihrer immensen Trauer alleingelassene Frau und Mutter nicht nur ein Gesicht gibt, sondern sie mit fast schon schmerzhafter Intensität spielt.

Mag „Für immer und ewig“ in seinem Anfang den Eindruck erwecken, fahrig ins Ungewisse hinaus erzählt zu sein, so verdichtet sich seine Erzählung allmählich und zieht mit der ihr innewohnenden Tragik zunehmend auch in Bann. Tatsächlich gelingt die Darstellung der Verarbeitung eines Traumas auf Leinwand nur selten so „wahrhaftig“ wie in diesem Film, in dem Wirklichkeit und Imagination, äußeres und inneres Erleben der Protagonistin unmittelbar ineinander verschmelzen. Vom Ende her betrachtet ergibt das „Immer und ewig“ des deutschen Titels durchaus auch einen Sinn.

Erschienen auf filmdienst.deFür immer und ewigVon: Irene Genhart (30.4.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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