Vorstellungen
Filmkritik
Es beginnt mit einer Abfolge von Frauengesichtern, die bei einer Gruppentherapie, so muss man zunächst annehmen, ihre Geschichte erzählen sollen. Nur die letzte Frau, Grace (Catherine Walker), bleibt stumm. Ein erster Hinweis auf ein Trauma, dass sich nicht in Worte fassen lässt. Kurz darauf fährt Grace mit ihrem Auto an der irischen Westküste entlang zu einem am Meer gelegenen einsamen Haus.
Mehrmals fängt die Kamera im Laufe des Films diese Fahrt von hoch oben aus der Vogelperspektive ein. Es ist eine schöne Landschaft, melancholisch und auch sehr rau; so rau wie die zweite Hauptfigur, Graces Vater Howard (James Cosmo), ein verwitweter Schiffskapitän im Ruhestand, der an diesem Tag Geburtstag hat. Doch die Küche sieht verheerend aus; mit Grace wechselt Howard kaum ein Wort. Er will nicht einmal von ihrem Schokoladenkuchen probieren. Ein weiterer Hinweis, dass die Ursache für Graces Trauma in ihrer Familiengeschichte liegt.
Zwei parallel erzählte Geschichten
Grace ist es leid, sich um den Haushalt ihres Vaters zu kümmern. Darum engagiert sie die ältere Annie (Brid Brennan), sehr zum Unwillen von Howard, der die Witwe zunächst heftig beleidigt, sich dann aber entschuldigt und sie zurückholt. In ihrer freundlichen Gegenwart erwacht der ruppig-verschlossene Kerl zu neuem Leben. Mehr noch: Annie und Howard verlieben sich, und er wird Teil ihrer großen, lebhaften Familie; schließlich zieht sie sogar zu ihm. Grace aber reagiert mit Eifersucht und hintertreibt das Glück.
Es sind zwei Erzählungen, die der finnische Regisseur Klaus Härö in „My Sailor, My Love“ parallel entwickelt und verbindet: die Geschichte einer Romanze im Alter mit der Krise einer Frau, die Schreckliches erlitten haben muss. Die Inszenierung nimmt sich sehr viel Zeit, den Alltag der Figuren zu beschreiben. Die Handlungsstränge wechseln mit ruhigem, gelassenem Tempo. Trotzdem bleiben einige Beweggründe der Charaktere verborgen. So ist nicht klar, was Annie überhaupt an Howard findet. Die Beleidigung, mit der er sie zunächst vertreibt, ist unverzeihlich; ihre Annäherung, etwa eine zufällige Handberührung beim Äpfelsortieren, ist wenig subtil inszeniert.
„Ich habe schreckliche Angst“, sagt Annie auf die Frage, wie es ihr geht, als sie zu Howard zieht. Doch diese Angst wird kaum deutlich; ihre Erzählung, dass ihr verstorbener Ehemann gewalttätig und böse war, beschränkt sich auf wenige Worte. Zu grob sind die Striche, mit denen Annies Charakter gezeichnet ist, zu vage bleibt ihre Vorgeschichte; daran ändert auch die feinfühlige Darstellung von Brid Brennan nichts.
Viele Fragen bleiben offen
Mehr Raum nimmt die Persönlichkeit von Grace ein. Man hat fast den Eindruck, als sei sie dem Regisseur wichtiger gewesen als die anderen Figuren. Doch mit ihrer Überfürsorglichkeit und Verbitterung, ihrer Enttäuschung und Verhärmtheit, ihrer Eifersucht und Unwilligkeit, sich von anderen helfen zu lassen, ist sie eindeutig überzeichnet. Warum muss Grace zu allem Überfluss noch ihre Arbeit als Krankenschwester verlieren, obwohl sie gut darin ist? Warum weigert sie sich, ihre Ehe zu retten, obwohl ihr Mann Gesprächsbereitschaft signalisiert? Warum bucht sie für ihren Vater ungefragt einen Platz im Altenheim, anstatt ihm das späte Glück zu gönnen?
Grace ist eine Frau, die nach Anerkennung sucht. Sie fühlt sich bestraft, weil sie sich (auch beruflich) um andere kümmert anstatt um sich selbst. Dabei bestraft sie sich mit ihrem irritierenden Verhalten zumeist selbst, und das macht es auch für Zuschauer schwer, sie zu mögen oder sich mit ihr zu identifizieren.
Allmählich enthüllt der Film das Geheimnis, wie sehr Grace als Kind unter der Lieblosigkeit, Kälte und Abwesenheit ihres Vaters gelitten haben muss. Es geht also um Lebenslügen und den Umgang damit, um die Fähigkeit zu vergeben und einen Neuanfang zu erlauben. Wichtige Themen, denen man aber eine etwas ausgeglichenere Inszenierung gewünscht hätte.