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Filmkritik
An einem kalten Wintertag im Jahr 1943 bekommt der norwegische Maler Edvard Munch „Besuch“ von den deutschen Besatzern. Obwohl im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ vor Jahren zahlreiche seiner Werke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt wurden, finden sich auch unter den Nazis Bewunderer seiner Kunst. Munchs Haus in Oslo ist voll mit Zeichnungen und Gemälden; vielleicht wäre da etwas zu holen. Der Offizier, der sich in den Räumen umschaut, wirkt nicht sonderlich beeindruckt und beginnt stattdessen von den Skulpturen Gustav Vigelands zu schwärmen. Ob er, Munch, sich denn nicht auch mal bildhauerisch versuchen wolle? Der schon recht gebrechliche Künstler windet sich gequält. Als die Nazis endlich abgezogen sind, bricht seine ganze Abscheu vor dem Groben, Monumentalen, Arno-Breker-haften hervor. Künstler wie ihn, „die mit den feineren Pinseln“, hätten die Nazis doch nie verstanden.
Mit der Palette durchs hohe Gras
Feinsinnig, empfindsam, melancholisch, kränklich: das sind die Attribute, die in der biografischen Erzählung von Henrik Martin Dahlsbakken über den norwegischen Maler als Selbst- und Fremdzuschreibungen immer wieder fallen. Der Film macht sich die dem Künstler attestierte Durchlässigkeit auch ästhetisch immer wieder zu eigen. Die Bilder in „Munch“ atmen, sind viel in Bewegung, leben mehr von flüchtigem Moment zu flüchtigem Moment, als dass sie sich in einer festen Form einrichten würden. Mitunter ist sogar ein Touch von Terence-Malick-hafter Sensualität zu spüren, etwa wenn der junge Munch mit seiner Malerpalette durchs hohe Gras streift.
Das Kränkliche, Angegriffene findet seine Übersetzung in fahlen, engen Schwarz-weiß-Bildern im 4:3-Format. Immer wieder kippen die Perspektiven, geraten die Bilder aus der Verankerung, folgen schroffe Jump Cuts den Mustern von Bewusstseinsaussetzern. Auf der Tonspur bedrängen Stimmen den gepeinigten Munch, ein Gedröhne aus Geräuschen und Gesprächsfetzen, das kurz darauf kollabiert. Der Künstler erleidet, nicht zuletzt unter Mitwirkung entfesselter Trinkerei, einen Totalzusammenbruch.
Ein höchst ambitionierter Film
„Munch“ ist ein in seiner Form ambitionierter Film. Im Unterschied zu konventionellen Biopics verwebt Dahlsbakken vier stilistisch unterschiedlich gestaltete Zeitabschnitte ineinander; der früheste spielt um das Jahr 1885. Der jugendliche Munch, Vollwaise und eher ein Einzelgänger als ein Gesellschaftsmensch, verbringt den Sommer bei seinen Verwandten auf dem Land. Er versucht zu malen und erfährt seine erste Liebe – eine Geschichte, die unglücklich endet und ihn noch Jahre nicht loslassen wird.
Rund zehn Jahre später lässt sich Munch durch das heutige Berlin treiben, wo er auf Einladung des Vereins Berliner Künstler erstmals eine größere Auswahl seiner Bilder zeigt – eine Ausstellung, die durch ihre frühzeitige Schließung als „Der Fall Munch“ in die Kunstgeschichte einging.
Der Schwarz-weiß-Film erzählt die Phase der „mid career“; Munch ist inzwischen als Künstler etabliert und verbringt unter Betreuung des dänischen Psychiaters Daniel Jacobson mehrere Monate in der Kopenhagener Nervenklinik.
Das Besetzungskonzept des Films erinnert oberflächlich an das Anti-Biopic „I’m Not There“ von Todd Haynes. In jedem Teil wird der Künstler von einem anderen Schauspieler.in verkörpert. Die Rolle des achtzigjährigen Munch, der sein Lebenswerk vor den Nazis zu schützen versucht und es kurz vor seinem Tod der Stadt Oslo vermacht, spielt Anne Krigsvoll.
Biografisches bleibt lückenhaft
Bei Haynes war Bob Dylan keine in sich geschlossene Person, sondern eine aus Mythen, Legenden und Dichtkunst montierte Figur. Die Munchs bei Dahlsbakken sind dagegen immer Munch, zwar in unterschiedlichen Lebensphasen, aber im Kern doch immer missverstanden, nicht genug oder falsch geliebt, selbst in Gesellschaft einsam. „Munch“ ist daher nur bedingt ein Kaleidoskop, eher nur in dramaturgischer Hinsicht. Biografische Stationen bleiben lückenhaft oder werden nur angedeutet, etwa der für Munch traumatische und in zahlreichen Gemälden verarbeitete Tod seiner älteren Schwester oder die zerstörerische Liebesbeziehung zu Tulla Larssen. Der eigentliche Erzählstoff sind Erfahrungen von Ablehnung und Gespräche über Kunst und Wahnsinn, die sich jedoch nie zu einer greifbaren, mit den gesellschaftlichen Strömungen der Zeit kommunizierenden Debatte schärfen.
Was genau Munchs Bruch mit den Traditionen darstellte, was er bedeutete oder was er vielleicht auch heute noch bedeuten könnte, bleibt in „Munch“ unklar. Besonders deutlich wird diese Lücke im dynamischsten Teil des Films. Der spielt im winterlichen Berlin zwischen Oberbaumbrücke, Wasserturm, Hinterhöfen und Clubs. Nachdem die niederschmetternde Nachricht vom Abbau seiner Ausstellung mit einem knappen Satz abgehakt wird (die Bilder seien nicht fertig, heißt es), lässt sich der schwer angeschlagene Munch von seiner Hipster-Crowd – auf dem Handy-Display leuchtet der Name Strindberg auf – durch Berlin schleifen, bis er am nächsten Morgen, von einer scheußlichen Nacht gereinigt, die erste Skizze des „Schrei“ auf den Atelierfußboden zeichnet.
Nicht nur hier bewegt sich der Film wieder nahe an den verbreiteten Konventionen der Künstlerbiografie: der männliche Maler als Genie, als bürgerlichen Kunstvorstellungen trotzender Außenseiter. Von dem, was Munch auf die Leinwände bringt, sieht man so gut wie nichts.
Ein Munch-Himmel über Berlin
Das lässt „Munch“ seltsam unspezifisch wirken und wie an den historischen Zusammenhängen vorbei erzählt. Dass der Film sich an einer der großartigsten Künstlerbiografien überhaupt messen lassen muss, nämlich an „Edvard Munch“ (1974) von Peter Watkins, macht es allerdings auch nicht einfach. Denn man vermisst an vielen Stellen die Präzision von Watkins Inszenierung, die mit Auszügen aus Munchs Tagebüchern, Äußerungen von Kritikern und historischen Ereignissen der Zeit arbeitet. Als reines Stimmungsbild hat „Munch“ streckenweise einen schönen Flow; allerdings verhindert die penetrante Musikuntermalung, sich davon forttragen zu lassen.
Gegen Ende versucht sich Dahlsbakken auch an ein paar effektvollen Spielereien – etwa wenn Munchs Gemälde „Das kranke Kind“ animiert. Ein anderes Mal fährt Munch im Morgengrauen, auf dem Gepäckträger von Strindbergs Fahrrad sitzend, mit dem Freund über das Tempelhofer Feld. Der Himmel im Hintergrund ist dabei ein Munch-Himmel. Ein bei allem Kitsch dann doch anrührender Augenblick.