Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Die amerikanische Filmproduktion befindet sich seit einiger Zeit in einem merkwürdigen Wettlauf, die nationale Vergangenheit einzuholen oder zumindest die Legitimation ihrer Projekte aus der Berufung auf "wahre Ereignisse" zu beziehen. Die Welle der Vietnam-Filme war nur der Anfang. Das amerikanische Fernsehen ist voll mit "wahren Geschichten" über den Zweiten Weltkrieg, das Umweltproblem, die Bekämpfung der Krebskrankheit oder den Mißbrauch von Minderjährigen. Aber auch die aufwendigere und anspruchsvollere Kinofilm-Produktion liebt mehr denn je die Rückversicherung an der Realität, von "Flucht ins Ungewisse" bis zu "Gorillas im Nebel". Alan Parkers "Mississippi Burning" stellt einen für die amerikanische Bevölkerung besonders schockierenden Höhepunkt dar. Daran erinnert zu werden, daß noch vor 25 Jahren in diesem Land die barbarischsten Ausschreitungen gegen Farbige an der Tagesordnung waren, ist schmerzlich; die Lynchjustiz des Ku-Klux-Klan und eine Rassendiskriminierung, die in vielem an das heutige Südafrika erinnert, der Vergessenheit zu entreißen, rüttelt am Gewissen der sonst so selbstsicheren Bürger. Der Film hält sich in den Fakten eng an Ereignisse des Jahres 1964. Das Jahr nach Kennedys Ermordung war eines der finstersten in der Geschichte des amerikanischen Südens. Hunderte von weißen Civil Rights Activists kamen aus dem Norden nach Alabama und Mississippi, um der schwarzen Bevölkerung Rückhalt zu verschaffen, sie Lesen und Schreiben zu lehren und sie zur Stimmabgabe bei der Wahl anzuhalten. Die Mehrheit der weißen Bevölkerung sah in ihnen Unruhestifter, der Ku-Klux-Klan eine Gefahr, die ausgerottet werden mußte. Drei kaum zwanzigjährige Bürgerrechtsaktivisten wurden im Juni 1964 von Angehörigen des Klans erschossen und in einem Erddamm verscharrt. Erst eine FBI-Aktion führte sechs Monate später zur Festnahme der Schuldigen. Drei weitere Jahre dauerte es, bis immerhin einige von ihnen verurteilt wurden. Der Film erwähnt nicht, daß alle bald auf Bewährung entlassen wurden und in ihren Heimatorten ebenso rasch wieder einer normalen Beschäftigung nachgingen. Der Anführer des Klans in dieser Gegend, verantwortlich für die Anstiftung zu neun Morden, 75 Bombenattentaten auf Kirchen der Farbigen und zu 300 Überfällen und brutalen Prügeleien, konnte seinen Managerposten unbehindert wieder ausüben. Auch wenn der Film Halt macht vor der Beschreibung der letzten Konsequenz, ist er doch für das amerikanische Publikum bitter genug, zumal ein jeder weiß, daß die letzten Überreste der Rassendiskriminierung in den Südstaaten auch heute noch nicht vollkommen beseitigt sind.
Alan Parker gibt dem Kino, was des Kinos ist. Es ist seine Sache nicht, politische Thesenfilme zu machen. So wie er vor zehn Jahren in "Midnight Express" die Geschichte eines in der Türkei inhaftierten amerikanischen Studenten schonungslos, aber mit dem kalkulierten Zugriff eines Action-Regisseurs erzählte, so nähert er sich auch diesem Thema mit unkaschierter Wut und berechnendem Effekt. Das beginnt bei der Heraushebung der beiden Hauptfiguren, eines typischen starrsinnigen, aber ebenso furchtlosen FBI-Mannes mit Harvard-Examen (Willem Dafoe) und eines früheren Mississippi-Sheriffs (Gene Hackman), der erst, als der andere Schiffbruch zu erleiden droht, mit seinen drastischeren Methoden erfolgreich zum Zuge kommt. Aus dem gegensätzlichen Verhalten seiner Protagonisten und aus des Sheriffs angedeuteter Zuneigung zur Frau eines der Hauptschuldigen entwickelt der Film den größten Teil seiner Spannung. Den Kontrapunkt stellt der Ku-Klux-Klan dar, dessen brutale Schlägereien, Brandstiftungen und Morde das aufgeheizte Umfeld abgeben. Daß dieses Konzept eines modernen Westerns nicht die politische Schärfe verliert, ist nicht nur - wie viele amerikanische Kritiker meinen - das Verdienst des Drehbuchs, sondern ebenso der Regie. Parker lenkt nämlich in einer Fülle von zunächst scheinbar beiläufigen Einstellungen immer wieder die Aufmerksamkeit auf die Situation der farbigen Bevölkerung, konterkariert den westerntypischen Handlungsablauf mit kleinen, präzis an den richtigen Stellen eingebrachten Seitenblicken auf soziales Elend und Folgen der jahrhundertelangen Unterdrückung. Das Innere einer ärmlichen Wohnung, ein kleiner Junge, der zusammengeschlagen wird, und vor allem die aus der Furcht von Generationen entstandene Sprachlosigkeit der Schwarzen sind Beispiele einer ins Optische umgesetzten Dramaturgie, die den Film immer wieder in die richtige Balance bringt.
Dem aufmerksamen Betrachter erschließen sich auch noch einige andere Perspektiven. So gelingt es dem Film nicht nur, die Rassendiskriminierung aus dem vereinfachenden Bezug auf die schwarze Bevölkerung in den Zusammenhang mit elitärem rassistischem Gedankengut einzuordnen, sondern auch in vielen Szenen eine allegorische Verbindungslinie zu dem anderen großen amerikanischen Trauma, Vietnam, herzustellen. Da wird zum Beispiel bei dem Begräbnis eines ermordeten Bürgerrechtskämpfers im Hintergrund eine andere Beerdigung sichtbar, bei der drei Marinesoldaten einer alten schwarzen Frau die amerikanische Flagge überreichen. Oder ähnlich erinnert die Invasion von Hunderten von schlecht ausgebildeten jungen Rekruten bei der Suche in den unzugänglichen Sümpfen an die amerikanische Politik des Masseneinsatzes von jungen GIs im Dschungelkrieg. Bei aller perfekt getimten Spannung erweist sich "Mississippi Burning" als ein auch in den politischen Bezügen sehr geschickt und bedacht gebauter Film, der ernsthafter Beschäftigung wert ist.