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Filmkritik
Aus Klimaleugner-Perspektive scheint der Zeitpunkt für „Micha denkt groß“ ziemlich lachhaft: Deutschland habe seit 1881 noch keine so nassen zwölf Monate am Stück erlebt wie im Zeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024, meldete der Deutsche Wetterdienst (DWD) im Juli 2024, also nur wenige Wochen vor Kinostart eines Films, in dem um jeden Tropfen Wasser gekämpft wird. Die Älteren erinnern sich: Dürre, ja, da war mal was.
Wir befinden uns in Sachsen-Anhalt, doch es sieht aus wie in Nordafrika oder im Wilden Westen. Im fiktiven Dorf mit dem energiearmen Namen Klein-Schlappleben herrschen Gelb- und Brauntöne vor, und das ist nicht einmal politisch gemeint. Die Dürre hat den Grundwasserspiegel so stark abgesenkt, dass der ohnehin schon am Rand des Nervenzusammenbruchs stehende Bauer (Peter Kurth) das Wasser für seine Kühe teuer zukaufen muss und der Öko-Schafzüchter (Ulrich Brandhoff) bereits einen Teil seiner Herde verkaufen musste. Im unscharfen Hintergrund kreuzen derweil entkräftete Seniorinnen mit Eimern die Dorfstraße. Sie holen sich wie alle anderen das kostbare Nass aus Tankfahrzeugen, die die dauerbeschwichtigende Bürgermeisterin im Angela-Merkel-Gedenk-Outfit (Annett Sawallisch) kommen lässt fürs Nötigste.
Deutschlandporträt in der Nussschale
Wer „groß“ denkt und damit nicht nur Gewinnmaximierungen meint, sondern größere Zusammenhänge, versteht natürlich, dass Schwankungen zwischen Dürre und Flut zur Klimaerwärmung gehören wie die Hafermilch zum Öko-Bashing. Wärmere Luft speichert mehr Feuchtigkeit, und wenn die an der einen Stelle verdunstet ist, muss sie irgendwo wieder runter. Insofern könnte „Micha denkt groß“ aktueller nicht sein. Sich auf Zusammenhänge und vor allem auf Zusammenhalt zu verstehen, diese Fähigkeiten sind allerdings brüchig geworden in Klein-Schlappleben. So wird der Film weniger zu einem didaktisch argumentierenden Mahnmal gegen den Klimawandel als zum Dorfschwank im besten Sinn: ein Deutschlandporträt in der Nussschale.
Groß-Denker Micha (Charly Hübner) trägt den verblichenen Ruhm seiner Zeit als Game-Designer in den 2000er-Jahren als verwaschenen T-Shirt-Aufdruck vor sich her. Er hat der Großstadt den breiten Rücken gekehrt und will seinem Heimatdorf „etwas zurückgeben“: Das verfallende ehemalige Hotel seiner verstorbenen Eltern soll in ein „Retreat“ verwandelt werden, für meditierende Leistungsträger aus aller Welt. Wie Friedrich Dürrenmatts „Alte Dame“ kreuzt er in dem Dorf auf und verspricht der Handvoll Bewohner mit einem visionären Imagefilm Arbeit und Wohlstand. Dass Wassermangel schon jetzt ein Problem sein könnte, wischt er weg: „Wasser gibt’s genug auf der Welt“, man müsse ja nur tief genug bohren.
Es könnte wirklich alles gut werden
Regie und Drehbuch sind feinfühlig genug, um das Schwankhafte nicht als Freibrief für flache Figurenzeichnung misszuverstehen. Mit einer punktgenauen Mixtur aus Naivität, Großspurigkeit und Gutmütigkeit spielt Charly Hübner seinen zunehmend verzweifelten Micha inmitten eines immer desolater dastehenden Ortes. Weniger als Groß-Kapitalist denn als schwitzender Don Quixote bittet er die ohnehin Mittellosen um Investitionen, den depressiven Milchbauern genauso wie seine einstige Klassenkameradin Tina (Jördis Triebel). Die Masseurin knetet ihren Nachbarn verdrängte Trauer und Anspannung aus den Schultergürteln, glaubt als einzige in der zerstrittenen Dorfgemeinschaft an Michas Pläne und überreicht ihm ihre Ersparnisse. Es könnte doch wirklich alles gut werden, jedenfalls besser.
Ein ordentlicher Schwank braucht einen miesepetrigen Kontrahenten. Das ist einerseits das Dorf insgesamt, vor allem aber der selbsterklärte Anarchist, Prepper und reichweitenstarke Vlogger des Ortes, der Cordanzug tragende Deutschlehrer (gespielt von Regisseur Jan Georg Schütte): Auch der weiß, dass in Zeiten der Dürre Wasserbesitz Macht bedeutet. In seinem Keller hängt eine große, alte Deutschlandkarte. Er träumt von vielen kleinen autarken Ländereien statt von der EU oder gar von einer globalen Wirtschaft und verspricht denen, die sich ihm anschließen, Wasser und Freiheit. Vom „Staat“, seiner Meinung nach verkörpert durch die kulleräugige Bürgermeisterin, habe man nichts zu erwarten.
Zeitgemäßes Volkstheater
Es ist schon eine Kunst für sich, wie Drehbuch, Regie und vor allem das improvisierte Spiel des Ensembles die Fallstricke des Thesenhaften meistens umschiffen. Statt Reizworte wie „Reichsbürger“ zu nennen oder die Hintergründe etwa der hochproblematischen Milchwirtschaft oder der Grundwasser absaugenden Auto-Fabriken auszuleuchten, entscheidet sich „Micha denkt groß“ für die kleinen Widerhaken und Brüche der Figuren und wird dadurch zum zeitgemäßen Volkstheater mit Identifikationsangeboten noch für den gereiztesten Zuschauer. In den von Moritz Schultheiß’ Kamera spannungsvoll, aber ohne jede Fahrigkeit ins Bild gesetzten Dialogen bleibt immer Spielraum für überraschende Wendungen, die das erwartbare Klischee durchkreuzen.
Die Stegreif-Dialoge fransen dabei nie in unkonkretes Gelaber aus. Das Gespür für Timing und Redeweisen kontrastiert komisch mit der präzisen Bildgestaltung: Goldene Schnitte genau dann, wenn inhaltlich alles zusammenbricht; strohgelbe Bilder voller Symmetrien und Wildwest-Landschaftsfluchten, wenn gescheiterte Hoffnungen durch die Gassen wehen. Gut wird nichts, trotzdem gibt es eine Art Happy End. Schon deshalb, weil zumindest die Getränkefrage für einen verbindenden Moment geklärt ist: Es gibt kein Wasser? Trinken wir Bier.