- RegieDominik Graf
- Dauer104 Minuten
- Cast
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Filmkritik
Dominik Graf ist ein Regisseur der Umwege, Irritationen, Verzögerungen – und insofern ein Meisterregisseur des Lebens selbst. Da verfährt sich die Hauptfigur kurz, ohne dass dies dramaturgisch ausgeschlachtet würde. Oder ihre Kollegen blödeln in einer Arbeitssitzung herum, ohne dass das eine unmittelbare Bewandtnis für die Story hätte. „Mein Falke“ besitzt in seinem Realismus eine geradezu dokumentarische Anmutung und scheint mitunter fast improvisiert zu sein. Und dennoch hat Graf nichts dem Zufall überlassen.
Das Drama „Mein Falke“ wird stimmig und ästhetisch in sich geschlossen, und ist doch zugleich von einer flirrenden Durchlässigkeit. Der Regisseur vereint scheinbar Widersprüchliches; er inszeniert nie glatt oder vorhersehbar. Ebenso wenig setzt er Geschichten in Szene, die man in einem Satz hinreichend zusammenfassen könnte.
Das Zähmen braucht Zeit und Geduld
In „Mein Falke“ geht es um Einsamkeit und Annäherung, den Tod und das Leben, Erinnerung und Herkunft, Nähe und Distanz, Familie und Freundschaft, Geduld, Zeit und Vergänglichkeit. Das Drehbuch stammt von Beate Langmaack. Seine Themenpalette reicht von Ermittlungen zu einem tot im Wald aufgefundenen Baby über schwierige familiäre Verhältnisse hin zu Zwangsarbeitern während der NS-Zeit und der unendliche Geduld erfordernden Zähmung eines Raubvogels.
In der Verbindung der weiblichen Hauptfigur Inga zu ihrem Falken „Giovanni“ kulminieren die Motive. Der Weg von der Isolation in die Auseinandersetzung mit einem anderen Lebewesen, die Notwendigkeit des Vergehens von Zeit, eben um sich anzunähern, aber auch um Wunden zu heilen. Und um die Frage, wie viel Freiheit und Distanz, aber auch wie viel Nähe eine Beziehung braucht, um leben und atmen zu können.
Die forensische Biologin Inga (Anne Ratte-Polle) bildet das Zentrum des Films. Kaum eine Szene kommt ohne sie aus. Die spröde Frau im mittleren Alter hat sich voll und ganz der Arbeit in der Pathologie verschrieben. Ihre Ehe ist schon vor einer Weile gescheitert. Als ihr ewig vorwurfsvoller Vater (Jörg Gudzuhn) sie mit einer bis dato unbekannten vermeintlichen Halbschwester (Olga von Luckwald) konfrontiert, bringt dies zusammen mit anderen Vorfällen das fragile Gleichgewicht von Ingas Leben ins Wanken.
Daran hat auch der junge Raubvogel Anteil, den Inga von einem befreundeten Züchter übernimmt. Die Anwesenheit eines lebenden, unberechenbaren Organismus in ihrem bislang von Toten geprägten Dasein ändert für Inga fast alles.
Ein melancholischer Sommer
„Mein Falke“ spielt im Sommer, doch es ist kein strahlend blauer Himmel, der sich über der Gegend um Wolfsburg spannt. Es ist eher eine melancholische Zeit, die sich ihrer eigenen Vergänglichkeit bewusst – und trotzdem schön ist. Das gilt auch für Inga und ihr Leben, die unterkühlten und beschädigten Beziehungen ihrer Vergangenheit und das wärmere, von neuer Nähe geprägte Jetzt. Der Kameramann Hendrik A. Kley hat die atmosphärischen Bilder eingefangen, die auch die Gegend um Wolfsburg mit der flachen, von Wäldern, Feldern und Seen geprägten Umgebung bestimmen. Dazu kommen passende Instrumentalklänge und der wiederkehrende Song „My house so empty like that hole in my soul ...“.
Absolut eindrücklich ist die Leistung von Anne Ratte-Polle, aber auch die anderen Schauspieler sind ausgezeichnet. Ratte-Polle gibt diese nicht eben sympathische, zwanghafte, emotional eher unbegabte Frau und deren wachsende Lust auf Kontakt, Beziehung, Austausch schlichtweg fulminant. „Lebendige Menschen interessieren dich doch gar nicht!“, wirft der Vater ihr einmal vor. Inga aber zeigt, dass das nicht stimmt. Und dass an dem Wandspruch in der Pathologie – „Mortui vivos docent“, die Toten lehren die Lebenden – durchaus viel dran ist.