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Filmkritik
Der Mann ist auf eine Szene aus, bevorzugt mit kurzem Prozess. Keuchend hat sich der feiste Vermieter die Treppe seines Hauses hochbemüht, um die seit Monaten ausstehende Miete von Madeleine Verdier und Pauline Mauléon einzufordern. Ausflüchte will er nicht mehr akzeptieren. Wenn die jungen Frauen nicht zahlen können, dann fliegen sie eben raus! Doch Pauline ist auch als Anwältin ohne Klienten nicht um forsche Verteidigungsargumente verlegen. Das bringt den unerwünschten Besucher noch mehr ins Schwitzen, aber nur gelinde zum Einlenken – zumal Paulines Hinweis, dass ihre Mitbewohnerin gerade bei einem aussichtsreichen Vorsprechen sei, durch die enttäuscht zurückkehrende Madeleine unterlaufen wird.
Trotzdem zieht der erschöpfte Vermieter wieder ab, nachdem er eine letzte Frist gesetzt hat. Verhandlung vertagt! Eine kleine Hoffnung auf sein Geld macht er sich immerhin durch Madeleines heißes Eisen im Feuer: Als Freundin des Fabrikbesitzer-Sohns André Bonnard ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich ihre finanzielle Situation bessert. Auch wenn sie als Mädchen aus dem Volk und Möchtegern-Schauspielerin von dessen Familie allerhöchstens als Andrés Geliebte gerade noch akzeptiert werden würde; die Aussichten auf ein Leben als seine rechtmäßige Ehefrau stehen bei null.
Eine freie Adaption von „Mon Crime“
Die Frauen der 1930er-Jahre steckten in einem ordentlichen Dilemma, wie François Ozon bereits zu Beginn von „Mein fabelhaftes Verbrechen“ ins Bewusstsein ruft. Weibliche Unabhängigkeit ist nur sehr begrenzt und in jedem Fall nur um den Preis allseitigen Misstrauens zu haben. Die Not der Protagonistinnen ist von Vornherein ungleich größer, als sie es bei Ozons früheren Theateradaptionen „8 Frauen“ und „Das Schmuckstück“ war, an die seine freie Verfilmung des 1934 uraufgeführten Stücks „Mon Crime“ von Georges Berr und Louis Verneuil im Stil anknüpft.
Finanziell, aber auch gesellschaftlich sind Madeleine und Pauline bereits ausgegrenzt, bevor die Handlung richtig Fahrt aufnimmt. Auf den Vermieter und André Bonnard folgt als dritter Besucher der beiden Frauen ein Kommissar, der Madeleine zu dem Mord an dem Theaterproduzenten Montferrand vernimmt. Dieser ist beim Vorsprechen zudringlich geworden, sodass Madeleine nach einigem Gerangel das Weite suchte; unmittelbar danach wurde er erschossen und seine Brieftasche mit 300.000 Francs offenbar gestohlen.
Madeleine und ihre Freundin können den Kommissar noch einmal abwimmeln, doch die junge Schauspielerin steht weiter auf der Verdachtsliste. Als sie beim Ermittlungsrichter Rabusset antritt und dieser ihr einen Revolver präsentiert, den der Kommissar in der Wohnung der Frauen entdeckt hat, wittert Pauline eine Chance der besonderen Art: Statt auf der Wahrheit zu beharren und Madeleine der Gnade des tölpelhaften Richters auszuliefern, soll ihre Freundin die Tat gestehen und als Notwehr gegen den ja tatsächlich erfolgten Übergriff darstellen. Sie selbst will vor Gericht den Freispruch erreichen, was für beide einen Bekanntheitsschub verspricht, schließlich schlägt der Tod des reichen Produzenten bereits Wellen in der Sensationspresse.
Süffisante Übertreibungen
Mit viel Freude an der süffisanten Übertreibung malt Ozon eine Gesellschaft aus, in der Justizapparat und Theater teils nahtlos ineinander übergehen, in jedem Fall aber nach denselben Prinzipien funktionieren. Seine Hauptfigur Madeleine spielt quasi pausenlos, ob sie nun tatsächlich auf einer Bühne steht, als Privatperson mit anderen Menschen kommuniziert oder vor Gericht erscheint; Zeitungsartikel über sich liest sie wie Kritiken.
Ihre Freundin Pauline verhält sich nicht viel anders und zieht als Verteidigerin alle Register der Manipulation. Madeleines angebliche Tat wird so durch von ihr erdachte Formulierungen pointiert zur Protestform gegen männliche Dominanz und weibliche Unterdrückung aufgeblasen. Wobei der Ankläger ihr in nichts nachsteht und mit vergleichbaren theatralischen Gesten und von Pathos bebender Stimme die Angeklagte zur ruchlosen Mörderin erklärt, die Teil einer ganzen Serie von misandrischen Bluttaten durch Frauen sei.
Kurzzeitig muss Madeleine fürchten, dass sie womöglich nicht der Freispruch erwartet, sondern die Guillotine. Und auch die Folgen des Prozesses wirken sich unmittelbar auf die Freundinnen aus: Seien es andere Frauen, die plötzlich ebenfalls erwägen, sich durch Mord von Männern zu befreien und sich auf Madeleines Vorbild berufen, sei es insbesondere aber auch der Auftritt der wahren Mörderin von Montferrand, der das „anmaßende“ Verhalten der jungen Schauspielerin gewaltig gegen den Strich geht.
Ein feministischer Schulterschluss
„Mein fabelhaftes Verbrechen“ ist von Ozon auch als feministischer Schulterschluss gemeint, was allein schon die Rückblenden auf den widerwärtigen Produzenten unzweideutig vorführen. Wenn die allgemeine Situation der Frauen in der patriarchalen französischen Gesellschaft der 1930er-Jahre beklagt wird, drängt sich die Frage nach den Bereichen von Ungleichheit, die auch rund 90 Jahre später noch existieren, wie von selbst auf; in den Anspielungen auf männlich-weibliche Machtschieflagen gehört „Mein fabelhaftes Verbrechen“ zu den intelligenteren Exemplaren der jüngsten Zeit.
Getragen wird der Film jedoch nicht von Didaktik, sondern von der lustvollen Weise, in der sich Ozon von jeher klassische filmische Muster zu eigen gemacht hat. Ozon orientiert sich bei dieser Kriminalkomödie aber weniger an französischen Boulevard- und Farce-Vorlagen als vielmehr an den US-Screwball-Comedys der 1930er- und 1940er-Jahre. Was das Sujet durchaus nahelegt, gehört doch auch die erste Verfilmung des Bühnenstücks von Berr/Verneuil unter dem Titel „True Confession“ (1937) zu dieser Komödien-Spielart. Und in der spaßhaften, ins Makabre zielenden Frage, wie viel Nutzen sich aus einer falschen Behauptung ziehen lässt, knüpft Ozon auch an weitere subversiv grundierte Screwball-Vertreter wie „Denen ist nichts heilig“ (1937) und „Roxie Hart“ (1942) an.
Von der völligen Entfesselung dieser Hollywood-Komödien hält sich François Ozon zwar zurück; so greift er weder die zur wahnwitzigen Slapstick-Nummer mutierende Tat-Nachstellung im Gerichtssaal aus „True Confession“ auf, noch gibt es ein Äquivalent zu der Over-the-Top-Darbietung von John Barrymores schadenfrohem Unsympath aus diesem Film. Dafür findet der Regisseur aber zu einer eleganten französischen Variation der Screwball-Vorgaben, die auf rasantem Redetempo, passender Theatralik und flotten Montage-Sequenzen aufbaut. Sein großartiges Ensemble, in dem potenziell jede Figur komisch erstrahlen darf, läuft zu karikaturesker Hochform auf, lässt dabei aber nie zu, dass der grundlegende Ernst der Aussagen zum Verhältnis von Männern und Frauen aus dem Blick geraten könnte.
Virtuoses Spiel mit der Filmgeschichte
Nachdem in den letzten Jahren der Ozon der bedeutenden Themen (etwa bei „Alles ist gutgegangen“) und der provozierende Ozon (wie bei „Der andere Liebhaber“) vorherrschend waren, begegnet einem in „Mein fabelhaftes Verbrechen“ endlich auch der virtuose Spieler mit der Filmgeschichte wieder.