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Filmkritik
Zu Beginn von „Megalomaniac“ legt der Filmemacher Karim Ouelhaj einige Fährten aus. Allerdings scheinen die Informationen chronologisch nicht geordnet zu sein. Man sieht eine junge Frau auf der Flucht, die sich auf einer einsamen Landstraße zusammenrollt. Dann gibt es Blut, sehr viel Blut. Eine Geburt. Ein bulliger Glatzkopf übergibt einem paralysierten Jungen ein Neugeborenes. Die Gebärende schreit vor Schmerzen. Dazu ein paar Fakten über den Fall des „Schlächters von Mons“, der zwischen Januar 1996 und Juli 1997 in der belgischen Stadt zerstückelte Teile mehrerer ermordeter Frauen in Kunststoffsäcken an prominenten Orten gut sichtbar deponierte. Fünf Opfer konnten identifiziert werden. Die Mordserie endete so unvermittelt, wie sie begonnen hat. Bis heute gelten die Morde als ungeklärt, wenngleich ein Tatverdächtiger 2012 in Montenegro im Gefängnis verstorben sein soll.
Das Werk eines Serienmörders
Karim Ouelhaj nimmt den historischen Fall zum Ausgangspunkt einer enorm stilbewussten Fiktion, die dem Werdegang der „Kinder“ des „Schlächters von Mons“ nachspürt, ohne sich auf gängige Schemata einer Figurenpsychologie einzulassen. Die Geschwister Martha (Eline Schumacher) und Félix (Benjamin Ramon) leben in einem maroden Haus. Felix schlägt dabei ganz nach seinem „Vater“. Er sucht sich seine Opfer, die er entweder gleich tötet oder aber entführt, um sie zunächst zu foltern, ehe er sie tötet, und anschließend so über die Stadt verteilt, dass die Polizei wieder den unbekannten Serienmörder am Werk vermutet.
Martha, die mit psychischen Problemen kämpft, arbeitet als verhuschte Putzkraft in einer Fabrik, wo sie von Kollegen beschimpft, erniedrigt und regelmäßig auch vergewaltigt wird. Sprechen darf sie darüber nicht, weil Félix, der in der Beziehung der Geschwister für strenge Regeln zuständig ist und keinen Widerspruch duldet, sie angewiesen hat, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Bis sie scheinbar zufällig die Mordlust ihres Bruders entdeckt, als der ein Opfer mit nach Hause bringt, um es dort zu foltern. Martha findet Gefallen daran, ihrerseits mit dem „Kätzchen“ zu spielen – und entwickelt eine Form von perversem Selbstbewusstsein.
Eine Atmosphäre allergrößten Unbehagens
„Megalomaniac“ müht sich, auf möglichst vielen Ebenen und unterstützt von einem abgründigen Filmscore eine Atmosphäre allergrößten Unbehagens zu erzeugen. Die Bilder sind gesucht stilisiert, dunkel und teilweise unzugänglich; Belgien erscheint in delikatester Sepia-Tristesse; die Gewalt entlädt sich eruptiv, ist aber weniger provokant-expliziter Slasher-Selbstzweck als vielmehr einer Dramaturgie des Schocks verpflichtet, die dem Film eine surreale Note verleiht und seine Wahrnehmung produktiv auffächert. So erzählt „Megalomaniac“ einerseits eine recht einfache, aber höchst unangenehme Geschichte über das Böse und seine Vererbung. Der Film ist andererseits aber auch eine blutrünstige Meditation über die Gewaltförmigkeit patriarchaler Machtverhältnisse, in der der Vater, der Bruder und die Kollegen in der Fabrik auf einer Ebene agieren.
Innerhalb dieser Verhältnisse emanzipiert sich das Opfer Martha erst allmählich, dann aber schmerzhaft zur Täterin, die sich, schwanger und immer „männlicher“, das „falsche“ Opfer sucht. Zudem, auch dies erlaubt die offene, mit Leerstellen spielende Erzählweise des Films, könnte Félix auch eine Projektion von Martha sein, die dann Opfer und Täterin gleichzeitig wäre.
Extremes Terrorkino
Diese Spur legen ihre Selbstgespräche und auch die Pointe, dass sie ihre routinierten Überlebensstrategien im Umgang mit dem Bruder an ein Opfer weitergibt, die sie später nicht braucht. So kraftvoll und suggestiv Ouelhaj dieses Schreckensszenario über weite Strecken auch etabliert, so sehr irritiert das Rachefinale, wenn der Film sein ästhetisches Verfahren über Bord wirft und das Spektakel sucht. Was allerdings nicht der Grund ist für den Ruf, der dem Film als extremes Terrorkino im Gefolge von „Martyrs“ oder „High Tension“ vorauseilt. Danach schließt sich der Kreis zum Beginn und mündet in ein abgründiges Familientableau. Der „Schlächter von Mons“ ist Großvater geworden. Der Kindsvater aber ist unmittelbar vor der Geburt verstorben.