Vorstellungen
Filmkritik
Bei der Frisierkunst geht es um mehr als um das kunstvolle Stecken und Auftürmen von Haaren, darauf wird in „Medusa Deluxe“ von allen Seiten ein ums andere Mal hingewiesen. „There is serious history in this hairstyle“, erklärt die schwarze Friseurin Cleve in einer Mischung aus missionarischem Eifer und rasender Wut. Sie steckt mitten in der Arbeit an einer „Fontange“, einer hochkomplizierten, von einem Drahtgestell gestützten Flechtfrisur, als sie in ihrem artistischen Schaffen unterbrochen wird. Cleve soll Fragen der Polizei beantworten, bei der Frisierkunst geht es schließlich nicht nur um Geschichte, sondern um Leben und Tod. Der Friseur Mosca, größter Konkurrent in dem von René veranstalteten Hairstyling-Wettbewerb, ist in der Garderobe tot aufgefunden worden – skalpiert. Cleves Traum, in diesem Jahr endlich einmal den Wettbewerb zu gewinnen, ist erneut zunichte. Und die Toten in ihrem Leben sind ihr langsam auch unheimlich. Erst ihr letzter Assistent ist auf dem Weg in den Salon explodiert – durch eine Flasche Wasserstoffperoxid. „This can be a dangerous business.“
Gleiten durch die Gerüchte-Küche
Thomas Hardimans Debüt „Medusa Deluxe“ ist ein flamboyanter Krimi, in dem das Whodunit von einer Flut an Namen, Gossip, Outfits und Bewegung überspült wird. Die anfangs angekündigte Polizei ist ebenso wenig zugegen wie Ermittlerfiguren, und auch vom blutigen Tatort ist nichts zu sehen. Bei aller Fülle an visuellen Reizen und Figuren – neben dem Veranstalter René, den Hairstylistinnen Cleve, Divine und Kendra und den Models Timba, Inez und Angie begegnen einem außerdem Angel, Moscas Ehemann und ihr gemeinsames Baby Pablo, Patricio sowie der zwielichtige Security-Guard Gac – ist das Konzept so klar, wie der Ort, ein mehrstöckiges Fabrikgebäude, überschaubar ist. Die Kamera von Robbie Ryan, Bildgestalter unter anderem von „American Honey“ und „The Favourite“, folgt jeweils einer Person auf ihren Wegen durch Garderoben, Korridoren, Treppenräumen, Parkplätzen und Hinterhöfen, bis sie sich nach der Begegnung mit einer oder mehreren anderen an die Fersen einer neuen Person heftet – ein musikalisch unterlegter (Getrommel, Uhrengeticke, flächige Klänge etc.) Staffellauf unter einem diversen Ensemble, bei dem nie vorherzusehen ist, wer als nächste oder nächster übernimmt. Ähnlich wie in Iñárritus „Birdman“ wirkt alles wie in einem Take gedreht, die wenigen Schnitte, die gemacht wurden, sind im Fluss der Bewegung versteckt.
Mit jedem Gang in die nächste Situation kommen Informationen, wichtige wie unwichtige, ans Tageslicht. Es geht um illegalen Handel mit Medikamenten gegen Haarausfall und andere Substanzen, erkaufte Wettbewerbsvorteile und heimliche Affären, der Verdacht fällt mal hier-, mal dorthin, eine wirkliche Spur aber wird – bis zur fast überraschend kommenden Auflösung – nie aufgenommen.
Hommage an die Hairstyling-Subkultur
Hardiman, der zunächst Kunst am Londoner Chelsea College of Art studierte, bevor er sich dem Bewegtbild zuwandte (neben Kurzfilmen hat er Musikvideos und Werbeclips, unter anderem für „Prada“ gedreht), benutzt den Krimi als Rahmen – und als eine Art Motor, der eine permanente Vorwärtsbewegung in Gang setzt. Eigentlicher Gegenstand des Films sind weniger die stark typisierten Figuren als die Hairstyling-Subkultur, ihre Schauwerte und Botschaften wie auch die absolute Hingabe, mit der diese oft nicht ganz ernst genommene Kunst betrieben wird.
Die schillernden Kreationen von Eugene Souleiman, der in „Medusa Deluxe“ für das Haarstyling verantwortlich zeichnet, sind dabei keineswegs ganz eigene Erfindungen. Bei der „Fontange“ handelt es sich etwa um einen nach einer Mätresse von König Ludwig XIV. benannten Kopfschmuck, der in England eine Zeit lang schwer in Mode war, übrigens bei Damen aller Ränge, von der Königin bis zum Küchenmädchen. Mitunter streifen die Hairstyles auch identitätspolitische Fragen, wenn ein Model einen Akwyelebi, eine traditionelle ghanaische Frisur verpasst bekommt – dabei ist Timba senegalesischer Herkunft und stammt aus South London, wie sie genervt betont. Und wenn eine Frisur den Namen „Orient 1791“ trägt, kündigt sich das Unheil bereits an. Das gleichnamige Flaggschiff der französischen Marine wurde in der Schlacht am Nil auf spektakuläre Weise zerstört: durch ein explodierendes Magazin.