Vorstellungen
Filmkritik
Am Anfang: ein Fiebertraum, der sich als Todeswunsch entpuppt. Da liegt die Mutter am Boden und hat sich den Schädel aufgeschlagen. Waleed (Amer Hlehel) sitzt in einem Sessel und starrt fassungslos auf den leblosen Körper. Nachdem die Sanitäter den Leichnam hinausgetragen haben und der Arzt sich verabschiedet hat, folgt eine Diskussion mit einem Unbekannten, der behauptet, dass Waleed keine Schuld am Tod der Mutter habe. Selbst wenn er sie geschubst hätte, gäbe es immer noch die Möglichkeit, dass sie nicht deshalb gestolpert sei. Doch das ist ein wenig überzeugender Skeptizismus, an dessen Ende gar die Frage steht, über wessen Mutter man denn spreche.
Dann erwacht Waleed. Genaugenommen weckt ihn sein Sohn, der zur Schule gebracht werden möchte. Man ahnt, dass mit Waleed etwas nicht stimmt. Sein Leben steckt irgendwie fest. Da sind die Kinder und die Ehefrau, der Haushalt und das Buchprojekt, an dem der palästinensische Schriftsteller sitzt. Der Alltag ist also ausgefüllt; nur will sich kein Sinn mehr einstellen. Denn Waleed leidet an einer Depression mit einem ausgeprägten Todeswunsch.
Eine ungewöhnliche Männerfreundschaft
Dann zieht eine neue Familie ins Haus. Ihr Oberhaupt Jalal (Ashraf Farah) ist das absolute Gegenteil von Waleed: direkt, schamlos und undurchschaubar. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten freunden sich die beiden Männer an. Für einen kurzen Moment scheint es, als könnte sich „Mediterranean Fever“ in eine Feel-Good-Komödie verwandeln. Doch die aus Nazareth stammende Regisseurin Maha Haj trägt Schicht für Schicht die Leichtigkeit, aber auch den schwarzen Humor ab und lässt den Film buchstäblich in eine tiefe Depression stürzen. Waleed beauftragt Jalal, ihn zu töten, was diesen zutiefst verstört und zunächst auf Distanz treibt. Jalals Geldsorgen werden allerdings so drängend, dass es schließlich zu einer Abmachung mit ungeahnten Folgen kommt.
„Mediterranean Fever“ spielt in der nordisraelischen Stadt Haifa, in der ein Drittel der Bevölkerung palästinensisch ist. Immer wieder kommt es zwischen den Ethnien zu Spannungen, die der Film jedoch nicht in den Vordergrund rückt. Vielmehr bilden sie das Hintergrundrauschen, die den Film auch in einem politischen Sinne lesbar macht. Wenn man wie der französische Psychologe Alain Ehrenberg Depression als ein Leiden am Subjekt definiert, dann werden die Fernsehberichte über die Situation der Palästinenser, die nebenbei laufen, zum Spiegel seiner Seele.
Der hochexplosive, ewig unlösbare Nahostkonflikt muss allerdings nicht als Folie genommen werden. Die Regisseurin Maha Haj wollte nach ihrer eigenen Aussage eher einen persönlichen Film über das individuelle Leiden an der Depression drehen. Die Bilder, die zunächst unscheinbar und unaufdringlich wirken, entziehen sich zunehmend. Aus dem bloßen Funktionieren eines Lebensmüden, der Kartoffeln schälend am Tisch sitzt und sich um seine Kinder kümmert, während seine Frau das Geld verdient, wird ein Zusammenbruch, der im Angesicht des Todes in Erleichterung umschlägt.
Ein verblüffender Gedanke
Der todtraurig-müde Blick des Hauptdarstellers Amer Hlehel verwandelt in diesen Momenten seinen Ausdruck, der sanftmütig und dankbar wird. Dieser dialektische Umschlag ist das unheimliche Moment einer Todessehnsucht, der ungreifbare Moment einer tückischen Krankheit.
Einmal fragt Waleed, ob Jalal wisse, wie sich eine Depression anfühle. Wie es sei, wenn man morgens die Augen aufschlage und es keinen Sinn gäbe, der einen durch den Tag trägt. Lars von Trier hat die bleierne Lähmung der Depression in „Melancholia“ in ein barockes Gemälde des Weltuntergangs übersetzt. Haj hingegen nutzt die Figuren und ihre Beziehungen, die sich in der Männerfreundschaft auf unheimliche Art spiegeln, um die Depression zu einem zirkulierenden Gespenst werden zu lassen.
Am Ende entpuppt sich der Film als weit komplexer, als es zunächst den Anschein hatte. Die beinahe demütige Zurückhaltung dieses schwarzhumorigen Dramas, das die Figuren förmlich in den Bildern einsperrt und das von einer erdrückenden Unbewegtheit durchzogen ist, entspricht dem unscheinbaren Monster, das diese Krankheit auch sein kann: Viele Depressive funktionieren im Alltag, bis sie nicht mehr weiterkönnen und ihre Umwelt darüber angeblich völlig überrascht ist. Bis man gesellschaftlich mit Depressionen ähnlich umzugehen weiß wie mit einer Grippe oder einem gebrochenen Arm, ist es noch ein weiter Weg.