Vorstellungen
Filmkritik
Mary O’Hara möchte gerne Köchin werden. Für den Anfang aber wäre es schon toll, wenn sie in den Sommerferien einen Lehrgang an der Kochschule machen dürfte. Leider klappt das Vorkochen nicht besonders gut. Ihre Großmutter Emer, die Mary sehr unterstützt, muss die Juror:innen erst ein wenig beschimpfen. Doch die Tage, wo die alte Frau in der Küche den Kopflöffel schwingt und mit ihrer Enkelin eigenwillige Gerichte auf den Tisch zaubert, neigen sich dem Ende zu.
Vier irische Generationen
Der deutsche Verleihtitel von „Marys magische Reise“ betreibt einen Etikettenschwindel, denn Mary tritt allenfalls auf sehr figurative Weise eine Reise an. Allerdings trägt auch der Roman von Roddy Doyle, auf dem die Geschichte beruht, die Reise im Titel: „Mary, Tansey und die Reise in die Nacht“. Die Tansey aus dem Buchtitel ist dabei Anastasia, Emers früh verstorbene Mutter.
Ihr begegnet Mary eines Tages im Park, ohne zu wissen, um wen es sich handelt, oder dass sie es mit einem Geist zu tun hat. Da liegt Emer bereits mit hohem Fieber im Krankenhaus. Doch auch, als es ihr besser geht, gibt ihr der Arzt nur noch wenig Zeit. Tansey ist gekommen, um ihrer Tochter Emer, die sie als kleines Kind zurücklassen musste, auf ihrem letzten Weg zu helfen und nebenbei Mary, ihre Mutter Scarlett und Emer noch einmal enger zusammenzubringen.
Die Geschichte handelt von vier Generationen irischer Frauen. Es weht viel rotes Haar, und natürlich haben Doyle und die Regisseure Enzo D’Alò und Dave Ingham nicht nur die irische Geschichte mit in die Handlung eingewoben. Tansey ist begeistert vom Angebot in einem Supermarkt; so werde es keine Hungersnöte geben; ihr eigener Tod erinnert an die von der Welt vergessene „Spanische Grippe“.
Mitreißende Traumsequenzen
Enzo D’Alò bringt viel Erfahrung mit Animationsfilmen mit; die Landschaften und Städte erinnern vage an die Hintergründe aus den Filmen von Hayao Miyazaki, allerdings wirken sie etwas aufgeräumter; die Figuren und Fahrzeuge bewegen sich zuweilen etwas holprig. Und einmal winkt Roddy Doyle, der im Park unter einem Baum sitzend ein Buch liest, freundlich herüber.
Vor den fein ausgemalten Hintergründen bewegen sich die flächig gezeichneten, aber ausdruckstarken Figuren; noch mitreißender sind die wenigen Traumsequenzen, die als monochrome Strichzeichnungen auftauchen, enorm bewegt und mitreißend, offener und verwaschen, zugleich aber enorm präzise und wunderschön.
Das Wunder der Animation
Im traurig-schön herzzerreißenden Ende berühren sich Gegenwart und Vergangenheit; Wahrnehmung und Erinnerung treffen auf- und fließen ineinander. Die Verbindung zwischen den Zeiten ist hier nicht nur die Familie, sondern auch die traditionelle irische Küche. Konkret ist es das Gericht Colcannon: Kohl und Kartoffeln, angereichert durch eine Kräutermischung, die Emer an Mary weitergeben will. Wer sie isst, sieht Funken sprühen. Ein „Ratatouille“-Moment in der irischen Provinz.