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Filmkritik
Ein angstverzerrtes Gesicht spiegelt sich plötzlich in der Waschmaschinentür. Verschreckt starrt Madison (Annabelle Wallis) auf die ältere Frau, die sie zuvor noch nie gesehen hat und für eine Erscheinung hält. Tatsächlich ist es aber Madison selbst, die gerade in eine andere Welt eintaucht. Ihre vertrauten heimischen Wände zerfließen zu einem undefinierbaren Brei und formen sich neu zu einer fremden Wohnung, in der sie hilflos beobachten muss, wie die ältere Frau brutal ermordet wird.
Die verzweifelte Heldin in dem Horrorfilm von James Wan sieht aus zunächst ungeklärtem Grund eine Reihe von Morden in dem Moment, in dem sie passieren. Der Schlüssel dieses Rätsels liegt in den Untiefen verdrängter Erinnerungen vergraben. Denn eigentlich kennt Madison das Gesicht auf der Waschmaschinentür, sie hat es nur vergessen. Ihre dunkle Vergangenheit bahnt sich jedoch grausam einen Weg in die Gegenwart. Wie „Malignant“ mit mehreren Twists nur langsam sein Geheimnis lüftet, erinnert er an ein Chamäleon, das immer wieder sein Erscheinungsbild ändert.
Klassisches Gruselkino um dunkle Macht
Zumindest die erste, recht früh im Film entlarvte Finte darf verraten werden: Regisseur James Wan bewegt sich zunächst auf den vertrauten Spuren seiner „Conjuring“-Filmreihe. Ein sich seltsam spinnenartig fortbewegendes Schattenwesen treibt im Heim der Protagonistin sein Unwesen und bricht ihrem gewalttätigen Ehemann alle Knochen. Die Anwesenheit der dunklen Macht kündigt sich dabei mit flackernden Glühbirnen, quietschenden Geräuschen und selbständig öffnenden Türen an. Wan beherrscht diese dem klassischen Gruselkino verpflichtete Spannungserzeugung souverän und sorgt dabei auch für einige effektive Schreckmomente.
Wenig später drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass die Bedrohung vielleicht doch diesseitiger als gedacht ist. Wir sehen die Umrisse einer verstümmelten Figur mit schwarzem Mantel und langen Haaren, die ähnlich barock wie das Phantom der Oper auftritt und im Untergrund haust, wo sich die Reste der alten Stadtruinen befinden, auf denen nach dem Großen Brand von 1889 einst das neue Seattle erbaut wurde. Die Metapher der verschütteten Geschichte ist nicht zufällig gewählt. Denn bald steigt die Gewissheit, dass das mordende Ungeheuer eine Figur aus Madisons Kindheit ist. Kenner von Stephen King werden sich an einen seiner berühmtesten Romane erinnert fühlen.
Maskierter Killer mit opulentem Mordinstrument
In einem Interview kündigte Wan seinen neuen Film ursprünglich als eine Art Giallo an. Tatsächlich gibt es einige Parallelen zu der visuell oft überbordenden italienischen Spielart des Thrillers: der hinter einer Maskerade versteckte Killer mit seinem opulenten, golden schimmernden Mordinstrument etwa, das Trauma, das der Mordserie zugrunde liegt und auch einige inszenatorische Extravaganzen wie eine aus der Vogelperspektive gefilmte Flucht durchs vermeintliche Geisterhaus.
Vorwiegend stellt sich „Malignant“ aber als Kind des zeitgenössischen Horrorkinos dar. Während die Dynamik der komödiantisch angereicherten Ermittlungsarbeit, für die ein Cop-Duo (George Young und Michole Briana White) sowie Madisons Schwester (Maddie Hasson) verantwortlich ist, teilweise ein wenig holprig wirkt, ist Wan bei der genreüblichen Routinearbeit ganz bei sich. Mit dem Ausreizen düster-atmosphärischer Situationen und dem Vertrauen in die beunruhigende Aura grisseliger alter Videokassetten und unerklärlicher Phänomene greift er im Grunde auf das bewährte Rezept der „Conjuring“-Filme zurück.
Konsequentes Spiel mit der Ungewissheit
Allerdings erweist sich „Malignant“ keineswegs als sichere Nummer. Seine falschen Fährten führen ins exzessiv Blutige und herrlich Abstruse. Wirkt der hämmernde Industrial-Pop-Soundtrack von Joseph Bishara zunächst noch ein wenig deplatziert, nimmt er eigentlich nur die ungebremste Energie vorweg, die „Malignant“ später mit comicartigen Actionszenen und überraschenden Gore-Effekten freisetzt. So glatt und geordnet Wans Stil manchmal auch wirkt: „Malignant ist ein recht kompromissloses B-Movie, das konsequent mit der Ungewissheit spielt und sich auf sehr unterhaltsame Weise seinen Spinnereien hingibt.