- RegieDavid Hinton
- ProduktionsländerVereinigtes Königreich
- Produktionsjahr2024
- Dauer131 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- TMDb Rating7/10 (12) Stimmen
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Michael Powell und Emeric Pressburger sind zwei europäische Filmemacher, die in den 1940er- bis 1960-Jahren berühmt wurden und ein Oeuvre mit gut einem Dutzend Werke hinterlassen haben, das „Oscars“ und weltweite Anerkennung gewann. Dennoch ist das lang her. Wer über sie und ihre Filme einen Dokumentarfilm machen und überdies ihre anhaltende Relevanz postulieren will, steht vor einer echten Herkulesaufgabe. Der Filmemacher David Hinton hat dies versucht und sich dafür prominente Unterstützung in Gestalt von Martin Scorsese gesichert.
Es ist schon ein Coup, einen Star wie Scorsese als Erzähler und Zeremonienmeister an der Seite zu haben, der von Zeiten erzählt, die er selbst nicht erlebt hat. Dennoch irritiert es, wenn der Vorspann mit brillanten Szenen aus den Filmen von Powell/Pressburger nicht mit einem Foto der beiden Regisseure, sondern mit einem Zoom auf ein Familienbild mit dem kleinen Martin Scorsese auf dem Schoß seiner Mutter endet. Scorsese ist 1942 geboren und habe mit drei Jahren Asthma entwickelt, heißt es aus dem Off, weshalb er nicht mit dem Nachbarskindern Fußball gespielt, sondern lieber Fernsehen geschaut habe.
Zeitlose Grandezza zweier Altmeister
Ist das eine Frechheit? Oder eher mutig, „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ mit den Anekdoten eines New Yorker Regisseurs und Conférenciers zu beginnen? Vielleicht beides. In jedem Fall braucht es einige Zeit, um das geniale Konzept zu erkennen, mit Hilfe eines anderen Regisseurs die zeitlose Grandezza zweier Altmeister und ihrer Werke zu ergründen.
Irgendwann ist dann klar, worum es in „Made in England“ geht. Man erfährt, dass sich mit dem 1905 in Kent geborenen Michael Powell und dem 1902 im ungarischen Miskolc geborenen Emeric Pressburger zwei gegensätzliche Künstler gesucht und gefunden haben, die über 18 Jahre hinweg Größeres zustande gebracht haben, als es die Summe ihrer einzelnen Fähigkeiten vermuten hätte lassen. Der eine eher ein Regisseur, der andere eher ein Autor, beide mit einem spielerischen Drang, gegen die Konventionen „subversives Unterhaltungskino“ (Scorsese) zu machen. Dabei bedienten sie sich der Strukturen großer Filmstudios wie der britischen Rank Organisation von Joseph Arthur Rank, um mit ihrer Produktionsgesellschaft „The Archers“ Autorenkino in völliger künstlerischer Freiheit zu produzieren. Filme wie „Leben und Sterben des Colonel Blimp“ (1943), „Irrtum im Jenseits“ (1946), „Die schwarze Narzisse“ (1947), „Die roten Schuhe“ (1948) oder „Hoffmanns Erzählungen“ (1951) zeugen von avantgardistischer Meisterschaft und überbordendem Stilwillen, mithin von einer unverwechselbaren Handschrift.
Für all das will „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ audiovisuelle Beweise liefern und zugleich vermeiden, wie eine Vorlesung in einem filmwissenschaftlichen Seminar zu wirken. Hierfür kommt Martin Scorsese ins Spiel, der nicht nur ein „Oscar“-gekrönter Regisseur, sondern auch ein Cineast und begnadeter Erzähler ist, der Filmgeschichte lebendig hält und einem interessierten Publikum näherzubringen versteht.
Das britische Kino & Martin Scorsese
David Hinton hätte keinen besseren Protagonisten finden können. Es ergibt durchaus Sinn, dass Scorsese von seinen ersten Begegnungen mit „Der Dieb von Bagdad“ (1940) erzählt, bei dem Powell als Co-Regisseur fungierte. Zudem erfährt man, dass es ausgerechnet das britische Kino war, das für Scorseses weiteres Leben die Weichen stellte. Es mag pathetisch klingen, aber hier wurde kein Prominenter engagiert, um ein paar freundliche Worte zu verlieren. Hier erzählt vielmehr ein Süchtiger über seine Sucht und erläutert, warum diese Sucht das Beste war, was ihm und damit dem Publikum passieren konnte.
Hinton will analysieren. Dafür räumt er Scorsese alle Zeit der Welt ein. Mehr als 139 Minuten. Die Filme von Pressburger & Powell, die mehr oder minder chronologisch in die alles andere als harmonische Geschichte einer lebenslangen Freundschaft montiert sind, werden mit fast wissenschaftlicher Akribie seziert, ohne dass es dabei trocken zugeht. In der Analyse wichtiger Sequenzen erfährt man nicht nur, wie sie strukturiert sind, sondern auch, was sie mit Martin Scorsese angestellt haben. Etwa bei der Farbe und den sexuellen Konnotationen in „Die schwarze Narzisse“. Oder man hört vom Mut, in diesen Film eine zehnminütige Sequenz ohne Dialoge zu integrieren, der gegen die Konventionen verstieß und das Spannungskino revolutionierte. Es geht aber auch darum, dass sich diese „alten“ Filme im Kino des New Hollywood wiederfinden und warum Scorsese in seinem eigenen Oeuvre immer wieder Powell/Pressburger zitiert.
Dass Hinton alle Filme von Powell, Pressburger und Scorsese in bestmöglicher Qualität für Ausschnitte zur Verfügung standen, liegt an dem kuriosen Umstand, dass Scorsese in seiner Sturm- und Drangzeit als junger Regisseur nicht nur eine innige Freundschaft zu Michael Powell kultivierte, sondern dass seine langjährige Cutterin Thelma Schoonmaker seit 1984 mit Powell verheiratet war. Als Produzentin von „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ wachte Schoonmaker darüber, dass „ihren“ Filmen und denen ihres Mannes in den virtuos kompilierten Ausschnitten „kein Haar“ gekrümmt wurde.
Feier der Zeitlosigkeit
Das Faszinierende an „Made in England“ ist, dass es keinen Unterschied macht, ob man die zitierten Filme von Powell/Pressburger schon kennt oder nicht. Denn Hinton analysiert sie nicht nur, sondern feiert ihre Zeitlosigkeit und macht große Lust auf ein Neu- oder Wiedersehen mit ihren Werken. Auf dem Höhepunkt des Dokumentarfilms, bei der verblüffenden Analyse von „Die roten Schuhe“, wenn mittels Split-Screens Nähe und Analogie der Figuren in Powell/Pressburgers Meisterwerk und Scorseses „Taxi Driver“ offenbart werden, macht „Made in England“ nicht nur staunen, sondern verlangt geradezu ein Double-Feature dieser Filme.
Dass angesichts der offensichtlichen „Befangenheit“ Scorseses die Sicht auf den „Emigranten“ Pressburger ein wenig zu kurz kommt und auch Spätwerke wie „Peeping Tom – Augen der Angst“ breiten Raum einnehmen, den Powell ohne Pressburger realisierte, ist nur ein scheinbarer Makel. Denn Hinton „inszeniert“ Pressburger wie einen tragenden Nebendarsteller in einem Hollywood-Unterhaltungsfilm: Der Star (Powell) hat die meiste Screentime, aber der Nebendarsteller (Pressburger) erhält in den Interviews aus den 1980er-Jahren die mit Abstand besten Pointen.
So gelingt „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ das Wunder, nicht nur in die Filmgeschichte einzuführen und Lust auf sie zu machen, sondern er zeigt, wie sehr sie auf heutige Sehweisen ausstrahlt; nicht nur in den Filmen von Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola.