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Filmkritik
Spinnenmüttern wird eine aufopferungsvolle Brutpflege nachgesagt. Die Weibchen tragen ihren Nachwuchs herum, füttern und behüten ihn. Bei manchen Arten werden ihre bis zur Erschöpfung ausgemergelten Körper sogar von den eigenen Kindern aufgefressen. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass sowohl „Die Spinne“ Peter Parker als auch „Madame Web“ als Waisen aufgewachsen sind. Beide Figuren aus dem „Spider-Man“-Universum fühlen sich zur Fürsorge für andere und zur Verantwortung für ihre Superkräfte getrieben. Die junge Frau mit dem sprechenden Namen Cassandra Webb (Dakota Johnson) ist zunächst allerdings primär wütend, da sie vermeintlich schon im Mutterleib vernachlässigt wurde.
1973, so erzählt es der Filmbeginn, reiste ihre Mutter Constance Webb hochschwanger in den peruanischen Amazonas, um eine Spinne zu jagen, deren Gift die seltensten Krankheiten zu heilen verspricht. Doch die Expedition scheitert auf dem Gipfel ihres Erfolgs. Als die Spinne endlich gefangen ist, werden die Arachnologin und ihre Crew von ihrem Dschungelführer Ezekiel (Tahar Rahim) aus Raffgier erschossen. Die „Arañas“, ein Stamm legendärer Spinnenmenschen mit schwarzen, um den Körper drapierten Lianen, retten durch einen Spinnenbiss wenigstens das Leben des ungeborenen Kindes.
Nach dem Sturz in den Hudson
30 Jahre später gleicht Cassie ihrer verstorbenen Mutter. Nur dass die junge Frau beim Retten von Menschenleben durch den Großstadtdschungel von New York rast, als Rettungssanitäterin mit Leib, Seele und Herz, auch wenn dieses nicht für Kinder schlägt. Mit der Abwehr aller familiär-emotionaler Belange hält Cassie andere Menschen auf Distanz, bis ein Sturz in den Hudson River ihre verborgenen Superhelden-Fähigkeiten ans Licht befördert.
Fortan wird Cassie von immer länger andauernden Visionen künftiger Ereignisse heimgesucht – vornehmlich, wenn ein tödliches Unglück naht oder ein mörderischer Übergriff durch Ezekiel bevorsteht. Ezekiel, stinkreich und kaum gealtert, lebt ebenfalls in New York. Genauso wie die drei Teenager-Mädchen, die ihn als Spinnenfrauen Nacht für Nacht in seinen Träumen heimsuchen – und umbringen. Deshalb schwingt sich Ezekiel mit seinen eigenen Spinnenkräften auf, um seinen Killerinnen zuvorzukommen.
Die Regisseurin S.J. Clarkson versucht die ersten Fäden um die Marvel-Heldin Madame Web und ihre Begegnung mit drei künftigen Spider-Women zu spinnen, produziert dabei aber ziemlich große Lücken, was primär dem Drehbuch anzulasten ist. Cassandra, die erstmals in dem Spider-Man-Comic #210 als blinde, an den Rollstuhl gefesselte Seniorin auftauchte, wird in „Madame Web“ zum unfreiwilligen Ersatz für das, was ihr selbst und den drei Mädchen fehlt: nämlich Eltern, die einen beschützen. Doch anstatt diese Leerstelle zum emotionalen Zentrum des Films zu machen, dient sie nur als melodramatischer Kniff, der zu spät und zu kurz eingesetzt wird. Wäre es nicht so ärgerlich, könnte man meinen, die kitschigen Szenen rund um Aufopferung und Geburt wären eigens fürs weibliche Zielpublikum eingewoben worden.
Aufdringliches Product-Placement
Die Intention von „Madame Web“ scheint indes woanders zu liegen. Denn die aufdringlichen Dialoge passen zum aufdringlichen Product-Placement, von der immer wieder ins Bild gehaltenen Pepsi-Dose über Calvin-Klein- und DKNY-Plakate bis hin zum überdimensionierten Pepsi-Cola-Schild beim Showdown. Der neutral gestaltete Karton mit den dicken „MILK“-Lettern wird so zum wahren Hingucker. Milch sollte man erwachsenen Katzen trotzdem nicht geben. Das müsste eine Sanitäterin und Katzenmutter wie Cassie eigentlich wissen. Immerhin spielt Dakota Johnson souverän und laviert ihre Figur durch flott inszenierte Action- und Schmunzelszenen, wenn sie bei einer überkandidelten „Babyshower“-Party ihre eigene Geburtsgeschichte zum Besten gibt.
Die Kamera gibt sich durchaus Mühe, die verwirrte Protagonistin immer wieder durch Spinnennetz-ähnliche Strukturen zu filmen, durch ein engmaschiges Absperrgitter oder einen radial ausstrahlenden Glasbruch im Fenster. Die fadenscheinigen Dialoge sind allerdings weniger subtil gesponnen. An Gefühlen und Ängsten wird hier so ziemlich alles ausbuchstabiert. Besonders unglücklich wirkt das in den Szenen mit dem Widersacher Ezekiel, dessen redundante Sätze der unterforderte Tahar Rahim auch nicht zu retten vermag.
Die Frage nach Ezekiels Handlungsfaden wäre ohnehin, wer die Vorhersage seines verfrühten Todes eigentlich initiiert hat: Die drei Teenager als Täterinnen? Cassie? Oder Ezekiel selbst, mit seinem angsterfüllten Hass, der die vier Frauen angesichts seiner Attacken erst zusammenschweißt? Kann man durch eine Veränderung der Gegenwart der Zukunft ein Schnippchen schlagen? Oder wird die visionierte Zukunft durch den Eingriff erst manifestiert? „Madame Web“ will diese altbekannten Dilemmata nicht problematisieren. Deshalb weiß man in diesem zusammengeklöppelten Spin-Off der „Spider-Man“-Reihe irgendwann gar nicht mehr, wo oben und unten ist und wo die Reise überhaupt hingehen soll.
Von Emanzipation ist keine Rede mehr
Damit ist eine große Chance verschenkt worden. Zumal in einem Genre, das nicht übermäßig viele Superheldinnen besitzt, dafür aber eine wachsende weibliche Fan-Gemeinde. Die drei Nachwuchsspinnen, die in den Comic-Vorlagen erst peu à peu auftauchen, werden ethnisch divers besetzt und mit den üblichen Klischees behangen: das schwarze Mädchen mit der großen Klappe, die Latino-Coole mit dem Mathe-Spleen und das weiße Scheidungskind, brav und etwas etepetete, mit Pfadfinderwissen.
Von Cassie, die zwar hellsehen und schnell denken kann, die Gegenwart aber ohne übermenschliche Superkräfte verändern muss, ganz zu schweigen. Auch wenn diese Frauen höchst unterschiedlich sind, wissen sie nichts besser zu tun, als sich das Hemd aufzuknöpfen und zu Britney Spears' Song „Toxic“ den nackten Bauch zu schwingen, wenn sie in einem Diner auf eine Gruppe Jungs treffen – auf dem Tisch der baffen Jungs, versteht sich. Die Emanzipation fällt hier vorsorglich gleich ganz unter den Tisch. Dass „Toxic“ erst 2004 im Radio zu hören war, „Madame Web“ aber im Sommer 2003 spielt, fällt hingegen ins hellseherische Metier des Films.