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Filmkritik
Himmel und Erde haben sich gegen das Opfer verschworen. Allein eine fingierte Beerdigung kann die Frau noch retten. Mit einer Plastikfolie bedeckt, liegt sie unter der Erde eines Hongkonger Friedhofs und hofft darauf, dass der namenlose Feng-Shui-Meister, Wahrsager und generelle Schicksalsexperte (gespielt von Lam Ka Tung) sie vor dem in ihren Sternen geschriebenen Unglück bewahren kann. Das bizarre Pseudo-Beerdigungsritual ist, wenn man ihrem Beschützer/Bestatter Glauben schenkt, ihre letzte Chance, eine potenziell tödliche Katastrophe abzuwenden. Das Schicksal, oder was auch immer es ist, das sich am Himmel zu einer gewaltigen CGI-Gewitterwolke zusammenbraut, scheint dem Schamanen Recht zu geben. Der plötzliche Wetterwechsel bringt jedoch nicht nur eine neue Bedrohung, sondern einen gänzlich neuen Tonfall in die Szene. Der gespenstische Ernst des drohenden Unglücks wird vom herabprasselnden Starkregen weggespült. Der Schamane erscheint plötzlich als Scharlatan, die schützende Plastikfolie als Todesfalle, unter der die Unglückliche tatsächlich zu ersticken und begraben zu werden droht.
Die übernatürliche und potenziell tödliche Bedrohung endet damit, dass die Bedrohte den Beschützer mit einer Schaufel verprügelt, bevor sie sich ein Taxi zurück in die Stadt nimmt – um dort zu sterben. Ob der Protagonist, dessen Warnungen und rituelle Schutzmaßnahmen gänzlich wirkungslos geblieben sind, nun Schamane oder Scharlatan ist, klärt die Szene nicht. Der Rahmen, den Soi Cheangs „Mad Fate“ sukzessive sprengt, ist hingegen sehr deutlich abgesteckt. Das Schicksal ist unerbittlich und rigide. Das ästhetische Register, mit dem es auf die Leinwand findet, umso fluider.
Hongkong als überstylte Kleinstadt-Gosse
„Mad Fate“ schleift die höhere Gewalt durch nahezu alle Spielarten, die das Kino Hongkongs von seiner Blütezeit bis zur Wiedereingliederung in China auf die Leinwand brachte. Regisseur Soi Cheang sendet, nach der dreiteiligen Blockbuster-Exkursion der „Monkey King“-Reihe, eines der selten gewordenen Lebenszeichen aus der Sonderverwaltungszone und ihrem exaltierten, exzessiven, expressiven und längst vom Aussterben bedrohten Zweig des Kinos. Hongkong selbst erscheint in „Mad Fate“ dabei nicht als gigantische Weltstadt, sondern als eine deutlich überstylte Kleinstadt-Gosse. Neonlicht, Fressbude und Bordell prägen die Topographie, die es braucht, um sich perfekt an jegliche Genreästhetik anzuschmiegen. Davon abgesehen aber wirkt die Metropole, in die der Protagonist nach seinem Arbeitsausflug auf den Friedhof zurückkehrt, wie ein Dorf, in dem scheinbar jeder jeden kennt und sich dieselben Personen wieder und wieder über den Weg laufen.
Natürlich ist es, wenn man dem namenlosen Schamanen noch Glauben schenken mag, nicht der Zufall, der hier regiert, sondern die Bestimmung. Was die Menschen scheinbar willkürlich in Richtung eines tragischen oder glücklichen Verlaufs schubst, ist minutiös gebastelt, orchestriert und eskaliert. Jedes noch so winzige Detail des Alltags ist das Vorzeichen einer drohenden Katastrophe. Tatsächlich liegt der namenlose Schamane mit seinem Deutungswahn plötzlich ein ums andere Mal richtig. Er erkennt nicht nur den hinter einer medizinischen Maske verborgenen Prostituiertenmörder (Chan Charm Man), er erahnt auch das schreckliche Schicksal von Siu Tung (Lokman Yeung), der Essen ausliefert, seit seiner Jugend ein Problem mit schwarzen Katzen hat und immer mit einem Fuß im Gefängnis steht. Der Polizist (Berg Ng), der den Jungen seit seiner Jugend auf dem Kieker hat, glaubt nicht an die Sterne. Das Schicksal ist für ihn nichts weiter als grimmiger, simplizistischer Determinismus: einmal Mörder, immer Mörder.
Der Schamane kämpft gegen das Schicksal
Der Schamane kämpft für Siu Tung gegen das Schicksal. Er deutet die sich ständig verändernden Zeichen, kritzelt Formeln und Losungen an die Wand, entfernt böse Farbtöne aus seinem Leben, sperrt ihn in ein Appartement, das mehr Zelle als Wohnung ist und arrangiert die Möbel nach dem eigenen Extrem-Feng-Shui. Die Betreuung des auf die schiefe Bahn der Bestimmung Geratenen ist dabei nicht allein ein altruistischer, vom eigenen Gewissen geleiteter Zeitvertreib für den Sternendeuter. Auch sein eigenes Wohlergehen hängt an den göttlichen Fügungen: Er hat eine Vergangenheit mit psychischer Krankheit.
Der immer wieder bedrohlich naherückende Moment, in dem ihm die Deutung über das Schicksal entgleitet, ist der Moment, der ihm den eigenen Wahnsinn beweist. Eine der wahnwitzigsten Szenen des Films lässt ihn mit Veränderung des Wetters in und aus dem Wahnsinn schlüpfen, den er an einem Polizisten auslässt, der gefesselt vor ihm liegt.
Überhaupt passiert allerhand zwischen den drei Namenlosen, die die unterschiedlichen Formen des omnipräsenten Schicksalsbegriffs unter sich aufteilen und der eigenen Auslegung nach den jungen Siu Tung entweder ermorden, verhaften oder eben retten wollen. Was zwischen ihnen steht und sich zwischen ihnen entlädt, inszeniert Soi Cheang wie eine Genre-Discokugel, die mit jeder neuen Sekunde und jeder Drehung etwas anderes abstrahlt.
Unaufhaltsame Todesfahrt
Das Fundament des Wahnsinns, der fast im Sekundentakt zwischen Thriller und absurder Komödie zu wechseln vermag, verbleibt oft in dem Genre, das Soi Cheangs Kino seit den ersten Arbeiten an prägt: dem Horrorfilm. Als der Regen den Mörder in das Haus einer weiteren Prostituierten führt und sie bereits gefesselt vor ihm ausgebreitet liegt, klingelt ein Fremder an der Tür. Er lässt sich nicht abwimmeln. Dringt ein, als er die Schreie der Frau hört.
Was wie ein gescheiterter Mord aussieht, entspinnt sich im Film als unaufhaltsame Todesfahrt. Cheangs Inszenierung lässt selbst innerhalb des Chaos, in dem die Mordwaffe mehrfach den Besitzer wechselt und den Mörder selbst scheinbar tödlich verletzt, keinen Zweifel am besiegelten Schicksal des Opfers. So sehr sie sich wehrt und ihrem Angreifer eine bösartige Wunde versetzt, am Ende siegen die unaufhaltsamen Kräfte, die sich gegen sie verschworen haben: das Messer gleitet langsam in ihren Rücken, vollzieht, was wir kommen sehen, aber nicht wahrhaben wollen.