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Filmkritik
Bevor Wunder geschehen, muss es erst ganz hart kommen. Zumindest wird das in Märchen gerne erzählt. Dabei ist Hector P. Valenti (Javier Bardem) doch eigentlich ein guter, zumindest veritabler Zauberkünstler. Doch mit seiner einnehmenden – manche Show-Agenten würden vielleicht sagen, „erdrückend nervigen“ – Art, landet er bei Casting-Shows gerne unter „ferner liefen…“ Ihm fehlt einfach nur der richtige Partner für seine Show-Acts. Immer nur Tauben aus dem Hut zaubern, reicht eben nicht zum Berühmtwerden. So bleiben am Ende nur die Kosten, und New York ist teuer. Zwar besitzt Valenti das Bleiberecht für eine Dachwohnung in einem schönen Stadthaus, doch sonst hat er nur noch ein paar Dollar. Als er damit in seiner Stammtierhandlung auftaucht, findet er jedoch im hintersten Abstellraum etwas, das er sich in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Ein vergessenes Salzwasserkrokodil, kaum handtaschengroß und trotz der kleinen Beißerchen irgendwie putzig. Aber was will ein Zauberer mit einem unhandlichen Krokodil?
Als Lyle, das Krokodil, im Jahr 1965 von Kinderbuchautor Bernard Waber erfunden wurde, war es vor allem eines: menschengroß und grasgrün. In seinen Geschichten ist es bei den Primms in der 88. Straße in Manhattan untergekommen und tat niemandem etwas zuleide, außer vielleicht der Katze von Nachbar Mr. Grumps, die sich immer vor dem freundlichen Ungetüm erschreckte, sodass der grummelige Grumps die Einlieferung Lyles in den New Yorker Zoo veranlasste. Die Geschichte, so wunderbar schlicht und einprägsam und bunt sie auch gezeichnet ist, ist definitiv eines nicht, nämlich geeignet für einen abendfüllenden Hollywood-Kinderfilm.
Der stumme Lyle kann jetzt singen
Doch nun ist dieser unter der Regie von Josh Gordon und Will Speck trotzdem entstanden und setzt darauf, dass das Ganze schon funktionieren wird, indem dem eigentlich stummen, liebenswerten Lyle eine neue Eigenschaft mitgegeben wird. Und so entdeckt Hector in „Lyle - Mein Freund, das Krokodil“ das kleine Tier nur deshalb in den Katakomben der Tierhandlung, weil es singt, als wäre es ein kleiner, menschlicher Popstar. Gleich darauf reicht eine Gesangsnummer, um im Zeitraffer aus Lyle und Hector beste Freunde und ein wunderbares Gesangs-Duo zu machen. Doch am Tag des großen Auftritts vor ausverkauftem Hause geschieht das Undenkbare: Der inzwischen ausgewachsene Lyle bleibt stumm. Lampenfieber? Vielleicht, doch Lyle kann sich ja den Menschen nicht sprechend vermitteln, sondern nur singen. Hoch verschuldet muss Hector nun auf Wanderschaft gehen, um an Geld zu kommen, und lässt Lyle schweren Herzens auf dem Dachboden im Haus auf der 88. Straße zurück. Dort, wo wenig später Katie (Constance Wu) und Joseph Primm (Scoot McNairy) zusammen mit ihrem Sohn Josh (Winslow Fegley) einziehen – und eine eigentlich ganz neue Geschichte beginnt.
Das Problem an Filmen wie „Lyle - Mein Freund, das Krokodil“ ist, dass sie ihre Geschichten nicht so simpel halten können wie gemalte und spärlich betextete Kinderbücher. Kurzweiligkeit wird mit Hektik verwechselt, eine einzelne Zeichnung weicht dem stakkatohaften Montageoverkill und eine Pointe darf nur gesetzt werden, wenn sich die andere schon andeutet.
Während Hector also sang- und klanglos von der Bildfläche verschwindet, obliegt es nun den Primms, sich mit der neuen Wohnung und dem neuen, gar nicht eingeplanten Untermieter zu arrangieren. Das gelingt dem verschüchterten Josh, der vor der großen Stadt und der neuen Schule eher Angst hat, vermeintlich viel besser als seinen Helikoptereltern, die in dem Krokodil eher eine Gefahr als einen neuen Freund für ihren Sohn sehen.
Mehr über die Hausbewohner als über das Krokodil
Dramaturgisch ergreift der Film in dieser Kennenlernen-Episode die Chance, dem Zuschauer zwar die Bewohner des Hauses auf der 88. Straße näher zu bringen, vergisst aber eigentümlicherweise dabei das Krokodil. Woher kommt es, warum kann es das, was es kann, und hat es tatsächlich Lampenfieber? Fragen, die offenbleiben. Dafür erfahren wir schnell, dass Joseph in seinem Job als Lehrer nur mittelmäßig durchsetzungsfähig ist, dass Katie mit ihren erfolgreichen Vegan-und-Nachhaltig-Kochbüchern nur mittelbeliebt im Kreise der eigenen Familie ist und dass Mr. Grumps’ eigentlich ganz nette Katze Loretta nur wegen ihres grummeligen Herrchens neurotisch ist.
Nach einer weiteren halben Stunde Turbulenzen, an deren Ende eigentlich alle (bis auf Mr. Grumps) die besten Freunde und der Film zu Ende sein könnte, steht – ebenso befürchtet wie unvermittelt – Hector wieder vor der Tür. Eine neue Runde Kennenlernen mit allen Beteiligten steht an und die finale Frage: Wird es Lyle gelingen, am Ende doch auf der Bühne zusammen mit Menschen zu singen?
Filme mit computeranimierten, Chaos stiftenden, anthropomorphen, also vermenschlichten, Tieren in großen Städten können funktionieren, das beweisen nicht zuletzt die sehenswerten Filme mit dem kleinen sprechenden Bären „Paddington“. Attribute, die sich Lyle bei seinen Ausflügen ins bewegte Bild erst noch verdienen muss. Zwar ist das Krokodil recht sympathisch und gewinnend animiert, und die menschlichen Darsteller (außer Mr. Grumps) versuchen sich allesamt in fast schon pathologischer Fröhlichkeit. Doch es ist das, was sie und wie sie es allesamt tun, was den Film emotional auf Distanz hält. So wird etwa das Containern (sprich das Retten weggeworfener Lebensmittel), das Lyle, Josh und Loretta quasi als Gegenentwurf zum erwachsenen Gesundheitswahn zelebrieren, als unappetitliches Aalen in schleimigen Essensresten praktiziert.
Hector schließlich gilt zwar als grundguter, nur brachialer Tropf, doch Javier Bardem, der in Erwachsenenfilmen gerne mal als ambivalenter Bösewicht besetzt wird, traut man (zu Unrecht) einfach nicht über den Weg. Er sollte in Analogie zu Disneys Trickfilmklassiker „Pinocchio“ für Lyle wie der gütige Ziehvater Geppetto sein, doch gibt er sich immer wieder wie der verschlagene Fuchs. Bardem wirkt daher gleich doppelt fehlbesetzt.
Gut eine Handvoll Songs halten alles zusammen
Bleibt der Kitt, der alles zusammenhält: Gut eine Handvoll Songs dürfen die Protagonisten (vor allem Lyle) zum Besten geben. Eingängig, beschwingt, solide produziert, aber zumindest in der deutschen Synchronisation fehlt einfach der Charme der Originalinterpreten, allen voran Popstar Shawn Mendes, der Lyle seine prominente Stimme leiht.
„Keep it simple“ ist die Sache aller Beteiligten leider nicht. Dabei wäre es doch so schön gewesen, die eigentliche Story des Films zu verfolgen, nämlich: verschüchterter Kleinstadtjunge und unter Lampenfieber leidendes Krokodil erobern zusammen New York. Doch dieser höchst liebenswerte Plot geht im Lärm der Ereignisse unter.