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Filmkritik
Der Prolog von „Longlegs“ wirkt wie ein Amateurfilm, der auf einem staubigen Dachboden gefunden wurde. Im altmodischen 4:3-Format mit abgerundeten Ecken ist ein geheimnisvolles, an einen Leichenwagen erinnerndes Auto zu sehen, das vor einem Haus in schneebedeckter Landschaft parkt. Es steigt jedoch niemand aus, worauf sich ein Mädchen, das in dem Haus wohnt, vorsichtig und ängstlich dem Eindringling nähert.
Auf den zweiten Blick ist die Eröffnungsszene aus dem Horrorfilm von Oz Perkins alles andere als amateurhaft. Nicht nur farblich ist sie mit ihren Weiß- und Rottönen sowie den zentriert platzierten Figuren perfekt durchgestylt. Das Gefühl
anschwellender Bedrohung verdankt sich präzise eingesetzten Gestaltungsmitteln: Die Bilder sind aus leicht verzerrender Untersicht aufgenommen; langsame Zooms reizen die Spannung auf das Kommende aus; und das unwirklich-sterile Sounddesign lässt das Geschehen wie einen Albtraum wirken. Bedeutend ist dabei vor allem, was nicht zu sehen ist. Um wen es sich bei dem Fahrer des Wagens handelt, erblickt man nur kurz und schockartig; und selbst dann bleibt sein Kopf noch von der Kamera abgeschnitten.
Eine verstörende Figur
Mehr als die Hälfte von „Longlegs“ vergeht, bis man den von Nicolas Cage gespielten Finsterling wiedersieht. Allein mit dieser Titelfigur ist Regisseur Perkins ein kleiner Coup gelungen. Unbehaglich wirkt sie schon deshalb, weil der Film sich ihr zunächst nur von hinten und aus weiter Ferne nähert. Sobald Cage sich gewohnt exzentrisch entfalten kann, wird es nicht minder verstörend. Die bleiche Gestalt mit der Fistelstimme wirkt zugleich gebrechlich und furchteinflößend.
Angekommen im winterlich morbiden Oregon der Gegenwart, wird das Bildformat plötzlich breiter. Man folgt der scheinbar mit seherischen Kräften ausgestatteten FBI-Agentin Lee (Maika Monroe) bei der Jagd nach einem Serienmörder. Die über mehrere Jahrzehnte verstreuten Verbrechen scheinen einem Muster zu entsprechen. Jedes Mal tötet ein Vater aus unerklärlichen Gründen seine Familie; immer zeitnah zum neunten Geburtstag der Tochter. Lediglich Briefe in mysteriöser Zeichensprache weisen auf einen äußeren Einfluss hin. Man sagt sogar, dass der Teufel seine Finger im Spiel hätte.
Die düstere, an Thriller wie „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Sieben“ gemahnende Atmosphäre entfaltet eine beträchtliche Sogwirkung. Die schummrigen, vergilbten Bilder werden dabei durch weitwinkelige Kameraobjektive ins Endlose verzerrt. Wie ein Kind, das sich verlaufen hat, irrt die schweigsame Lee durch eine unheimliche Provinzwelt, während dazwischen geschnittene Tatort-Polaroids und Zeitungsartikel die Abgründe der trostlosen Gegend offenbaren.
Die Saat des Unbehaglichen
Auch wenn der Film sich mit seiner vereinzelt etwas zu durchdesignt wirkenden Ästhetik manchmal selbst hemmt, lässt seine beklemmende Stimmung stets das Schlimmste erwarten. Als Saat des Unbehaglichen erweist sich dabei häufig ein gestörtes zwischenmenschliches Miteinander. Immer wieder gerät die sozial wenig kompatible Lee in peinlich unangenehme Gesprächssituationen; ob mit ihrem leicht übergriffigen Chef (Blair Underwood), ihrer geistesabwesenden Mutter (Alicia Witt) oder der einzigen Überlebenden eines der Massaker. Auch die als Serienmörder verdächtigte Titelfigur wirkt deshalb so irritierend, weil sie ständig unterläuft, was als normal und angemessen gilt.
„Longlegs“ spielt mit dunklen Geheimnissen, Urängsten und der beunruhigenden Faszination des Unerklärlichen. So lange ungewiss bleibt, mit was genau man es zu tun hat, folgt man der Ermittlung angespannt. Lediglich bei der Auflösung, die zugleich schlüssig, überraschend und originell sein möchte, verhebt sich der Film ein wenig. Die Verschmelzung von Serienkiller-Story, Satanismus und Puppen-Horror wirkt etwa zu kompliziert. Um die Verbindungen im letzten Drittel verständlich zu erklären, muss deshalb auf einen märchenhaften Voice Over zurückgegriffen werden.
Trotz des leicht überfrachteten Finales bleibt „Longlegs“ aber ein vor allem visuell und stimmungsvoll wuchtiger Genrefilm, in dem die zerrüttete Psyche der Protagonistin von ihrer Umgebung förmlich Besitz ergreift.