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Filmkritik
Als „gestohlene Generationen“ werden in Australien die Opfer der staatlich organisierten Assimilierungspolitik bezeichnet, die bis in die 1970er-Jahre hinein rücksichtslos versuchte, aboriginalstämmige Kinder der weißen Rasse anzupassen. Seit Beginn der Kolonialzeit wurden vor allem Mischlingskinder gewaltsam aus ihren Aboriginal-Familien gerissen und in Pflegeheimen oder bei weißen Familien untergebracht. In untergeordneter Stellung, etwa als Hausangestellte, sollten in die weiße Gesellschaft eingegliedert werden und durch die Heirat mit Weißen innerhalb weniger Generationen ihre ethnischen Merkmale verlieren. Tatsächlich jedoch wurden die Kinder oft als billige Arbeitssklaven missbraucht – Misshandlungen und Vergewaltigungen waren keine Seltenheit. Seit 1940 war der Kindesentzug durch das „Allgemeine Kinderfürsorgegesetz“ zwar an den Nachweis der Verelendung oder Unkontrollierbarkeit der Kinder gebunden. Diese Voraussetzungen waren aus rassistischer Perspektive jedoch schnell gegeben. Erst 1972 erhielten die Aborigines die Möglichkeit, mit Hilfe des „Aboriginal Legal Services“ gegen den Kindesentzug vorzugehen. Rund 100.000 Kinder wurden zwischen 1910 und 1970 auf diese Weise aus ihren Familien verschleppt. Jede einzelne Entführung birgt eine Leidensgeschichte in sich. Doris Pilkington Garimara hat eine davon in ihrem 1996 erschienenen Buch „Follow the Rabbit Proof Fence“ aufgeschrieben. Es ist die Geschichte ihrer Mutter Molly Craig, die 1931 als 14-jähriges Mädchen zusammen mit ihren beiden jüngeren Schwestern Daisy und Gracie in die Erziehungsanstalt Moore River gebracht worden war. Nach zwei Tagen gelang ihnen jedoch die Flucht. Sie machten sich auf den über 1500 Meilen weiten Heimweg zu ihrer Mutter. Die entscheidende Orientierungshilfe bot ihnen dabei ein Zaun, der das Farmland zur Wildnis hin abgrenzt: „The Rabbit Proof Fence“. Pilkington Garimaras Buch ist mittlerweile an vielen australischen Schulen Pflichtlektüre. Eine Verfilmung lag daher nahe. Auf die Leinwand gebracht hat sie mit Phillip Noyce ein australischer Regisseur und Produzent, der sich mit Actionfilmen und Thrillern wie „Die Stunde der Patrioten“ (fd 29 846) oder „Das Kartell“ (fd 31 003) in Hollywood einen Namen machte. Doch wer daraus ableitet, dass sich Noyce bei der Adaption dazu verleiten ließ, diese als effektvolle Verfolgungsjagd zu inszenieren, sieht sich getäuscht. Im Gegenteil scheint Noyce fast übervorsichtig darauf bedacht, jedes unnötige Actionelement, jede reißerische Gewalteinlage zu vermeiden. Die Landschaftsaufnahmen sind grandios. Die geduldige Montage, die langen wortlosen Strecken, die kongeniale musikalische Untermalung durch Peter Gabriel, die nahezu magische Ausstrahlung der drei Mädchen, das alles verleiht dem Film eine ungeheuer poetische Kraft. Die Impressionen der Weite australischer Natur treten jedoch in einen konzeptionell-ästhetischen Kontrast zu der in schrägen Kameraperspektiven pointiert eingefangenen sterilen Enge des Büros von A.O. Neville. Dieser Neville, der als „Chief Protector“ der Aborigines die Suche nach den Schwestern leitet, erscheint – unterstützt von diesen karikierend verwendeten Blickwinkeln und Kenneth Branaghs fast komödiantischer Darbietung – insgesamt eher lächerlich als bedrohlich. Seine süffisanten Ausführungen darüber, wie durch gezielte Verbindungen mit Weißen der Aboriginal-Anteil eines „Halbblutes“ schon innerhalb von drei Generationen ausgetilgt werden könne, wirken dadurch zwar angemessen absurd, jedoch kaum erschreckend. Der historische und politische Bezug geht dadurch leider ebenso verloren wie durch den poetischen Grundtenor des Films. Hoffnungsvoll und versöhnlich stimmt „Long Way Home“ angesichts der vielen Weißen, die den Mädchen unterwegs helfen, und der verhältnismäßigen Leichtigkeit, mit der sie vorankommen. Leiden und Gewalt sind ebenso wie die Seelenlage der drei Kinder Leerstellen, die mit Inhalt zu füllen dem Zuschauer anheim gestellt bleibt. Zu wenig jedoch fordert der Film selbst dazu auf. Zu glatt, zu schnell, zu reibungslos fügt sich Szene an Szene. Zu sehr wird vor allem Molly zu einer tapferen Heldin überhöht, einem nahezu mythischen Naturgeschöpf. Ihre charismatische Darstellung durch Everlyn Sampi wurde zurecht als herausragend gefeiert, das Drehbuch von Christine Olsen lässt der talentierten Schauspielerin jedoch kaum Möglichkeiten, ihrer Figur jenseits des Klischees von der schweigsam- stolzen Wilden eine eigene Identität zu verleihen. Die drei Mädchen verschwimmen mit der Landschaft zu einer allgemeinen Metapher für die Suche der Aborigines nach ihren Wurzeln. Eine Suche, die am Ende des Filmes erfolgreich abgeschlossen scheint. Nur kurz wird angedeutet, wie Molly Craigs Biografie tatsächlich weiter verlief. Wenige Jahre nach ihrer Rückkehr wurde sie abermals nach Moore River verschleppt; diesmal zusammen mit ihren beiden kleinen Töchtern Doris und Annabelle. Abermals gelang ihr die Flucht, auf der sie nur ihre 18-monatige Tochter Annabelle mitnehmen konnte; ihre ältere Tochter musste sie im Camp zurücklassen. Drei Jahre später wurde ihr auch Annabelle weggenommen, die sie nie wieder sah. Es dauerte 30 Jahre, ehe Doris Pilkington Garimara – die im Glauben aufgezogen wurde, Aborigines seien dreckig und böse – sich auf die Suche nach ihrer Mutter machte. Unbeugsam erscheint die echte 85-jährige Molly Craig in der Schlusseinstellung des Films im Bild. Explizite kritische Bezüge zur Gegenwart eröffnet der Film aber nicht. Stattdessen verwandelt er die grausamen realen Begebenheiten der Vergangenheit in eine wunderschöne und sehenswerte Allegorie. Zwar bleibt die Brisanz des Themas letztlich unverstellbar, doch leider geht der Film in seiner Erbaulichkeit an der Wirklichkeit vorbei. Denn in der Politik und Gesellschaft Australiens steht das Happy End der Aborigines noch aus.