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Filmkritik
In ersten Teil von Elena Ferrantes „Neapolitanischer Saga“ teilen sich die beiden Hauptfiguren – die Freundinnen Elena und Lila – ein Exemplar von Louisa May Alcotts Jugendroman „Little Women“, das sie hingebungsvoll wieder und wieder gemeinsam lesen – und das über Monate. Am Ende ist das Buch so zerfleddert, das es nahezu auseinanderfällt. „Es war unser Buch, wir liebten es innig.“
Auch im Kino hat die Geschichte über die vier in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs aufwachsenden March-Schwestern, die Alcott in der Tradition der pädagogischen Erbauungsliteratur schrieb – aber eben auch mit einem prä-feministischen Bewusstsein –, bereits einige Relektüren erfahren. Nachdem George Cukor in den frühen 30er-Jahren den Stoff verfilmte („Vier Schwestern“ mit Katharine Hepburn in der Rolle der nonkonformistischen Schriftstellerin Jo March) und 1949 ein Remake von Mervyn LeRoy folgte („Kleine tapfere Jo“ mit Janet Leigh in der Hauptrolle) versuchte sich Gillian Armstrong (in „Betty und ihre Schwestern“ mit Winona Ryder) Mitte der 1990er an einer Modernisierung, indem sie die Handlungsmacht der Frauen stärkte – etwa wenn die ursprünglich vom Vater an die Töchter gerichtete Bezeichnung „little women“ der Mutter in den Mund gelegt wurde. Am Ende kam aber doch ein mit Romantik gesättigter Weihnachtsfilm heraus, der auch für die emanzipierte Jo (ein Alter Ego der unverheiratet gebliebenen Autorin) am Ende die Ehe vorsah. Für Greta Gerwig, die sich nun der Vorlage angenommen hat, war die Adaptionsgeschichte also noch längst nicht ausformuliert.
Zeitsprünge von der Ernüchterung des Erwachsenenlebens zurück in die Jugend
„Little Women“ beginnt dann auch nicht im kunterbunten Elternhaus der Marchs, wo die vier Schwestern wie junge Welpen herumtollen und von Jo geschriebene Theaterstücke aufführen, sondern im Büro eines Verlagshauses. Jo March (Saoirse Ronan) übergibt dem Verleger eine ihrer Kurzgeschichten, die er ihr nach einem Blitzredigat – er streicht sekundenschnell ein paar Seiten komplett durch – für 25 Dollar abkauft. „Make it short and spicy“ gibt er ihr als Ratschlag für weitere Lieferungen mit auf den Weg. Viel entscheidender für den Film – und seine Heldin Jo – erweist sich jedoch sein Credo, jede Geschichte müsse für die weibliche Figur mit der Heirat enden (die einzige Alternative sei ihr Tod).
Statt einer linearen Erzählung oder der klassischen Rückblende erzählt Gerwig die Geschichte in kontinuierlichen, aber stets eleganten Zeitsprüngen. Zu Beginn stehen also nicht kindliche Unschuld, sondern die Realitäten des Erwachsenenlebens, auch Ernüchterung und Enttäuschung. Jo versucht sich in New York als Schriftstellerin; ihre mit einem armen Lehrer verheiratete Schwester Meg (Emma Watson) ringt innerlich mit ihren unerfüllten sozialen Aufstiegswünschen und lässt sich zum Kauf eines teuren Stoffes hinreißen, Amy (Florence Pugh) ist mit ihrer dünkelhaft-schnippischen Tante in Europa unterwegs, Beth (Eliza Scanlen) kämpft im Elternhaus mit den Folgen einer Scharlacherkrankung.
„Ich kann es nicht verwinden, ein Mädchen zu sein“
Dazwischen sieht man Stationen der Kindheit und Jugend: Megs Einführung in die Gesellschaft, Jos Bekanntschaft mit dem Exzentriker Laurie (Timothée Chalamet), der zu einer Art fünften March-Schwester wird und immer wieder die Wege der Schwestern kreuzen wird, ihre Träume, als Schriftstellerin irgendwann eine selbständige Existenz zu führen, schwesterliche Bande, Konkurrenz- und Liebesverhältnisse.
Auch wenn Gerwig jeder der vier Schwestern ihren Raum gibt, sich zu entfalten – Amy gewinnt im Vergleich zu den bisherigen Verfilmungen am meisten Kontur, – steht Jo eindeutig im Zentrum des Films, nicht zuletzt als Autorin des vorliegenden „Filmstoffes“ beziehungsweise Spiegelfigur der Autorin Alcott. In ihrer ungestümen, unangepassten Art – „ich kann es nicht verwinden, ein Mädchen zu sein“, seufzt sie einmal – findet sich dann auch am stärksten die Autorinnenstimme (und schauspielerische Signatur) Gerwigs formuliert. Eine Tanzszene mit Laurie vor den Türen eines Ballsaals – innen tanzt man auf die feine Art – ist eine Aufführung von „Gerwigismen“: impulsiv, verholpert und voll begeistert neben der Spur. Mit Saoirse Ronan in der Hauptrolle rückt der Film von der Figur der süß-drolligen Querulantin ab und passt Jo an ein zeitgemäßeres Modell eines Tomboys an.
Frauenleben zwischen Wünschen und Pragmatismus
Ansonsten legt Gerwig viel Gewicht auf die Geschlechterverhältnisse der Zeit, wobei sie einerseits die gesellschaftlichen Beschränkungen aufzeigt und andererseits den Wünschen der Frauen Gehör gibt, diese Beschränkungen überschreiten zu können. Der Film tut jedoch gut daran, sie als Figuren ihrer Epoche auch ernst zu nehmen und sie nicht mit überzogenen Ansprüchen an weibliche „agency“ zu überfordern. In der Figur von Amy, die sich keine Illusionen darüber macht, als Künstlerin ein selbständiges Leben zu führen, findet sich etwa ein pragmatisches Verhältnis zur Ehe verkörpert: sie ist für sie nicht mehr als ein wirtschaftlicher Bund. Dass Amy am Ende doch dem romantischen Liebeskonzept anhängt, quittiert Gerwig buchstäblich mit Distanz: Wenn das Paar sich küsst, zoomt die Kamera weg.
„Little Women“ ist sicherlich keine radikale Modernisierung oder eine im Stile von Whit Stillmans Jane-Austen-Verfilmung „Love & Friendship“ vorgenommene Pointierung eines literarischen Stoffes – und für den historischen Kontext (Reconstruction Ära etc.) interessiert sich der Film ebenso wenig wie für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Schaffen von Frauen (die Frau, die mit unordentlichem Haar mit der Feder über dem Papier sitzt, ist ein Klischee, auf das der Film ausgiebig zurückgreift). Gerwig manövriert vielmehr geschickt zwischen einem immer wieder auch sehr gefälligen, publikumstauglichen Film – charmante Wortwechsel, viel Geherze, hübsche Kostüme, die für diese Art des Historienfilms leider übliche Übersättigung mit Musik – und sehr lebendigen, ungezuckerten Szenen, in denen gegenwärtige oder auch überzeitliche Befindlichkeiten zum Ausdruck kommen.
Letztlich spiegelt sich in Jo auch Gerwigs Rolle bei der Produktion eines Studiofilms: Sie hält sich an die Regeln und schleust ihre eigenen Inhalte zwischen den Zeilen ein. Alcott musste sich seinerzeit der Forderung nach einem Liebes-Happy-End für Jo beugen. Solidarisch mit der Autorin löst Gerwig das Dilemma mit einem augenzwinkernden Wechsel ins Register des Metatextuellen.