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Filmkritik
In „Liebesdings“ von Anika Decker spielt Elyas M’Barek einen Schauspieler namens Marvin Bosch, der als Deutschlands größter Filmstar gilt und als populäres Zugpferd massentaugliche Kinounterhaltung befeuert. Dass der an den echten Kinokassen äußerst erfolgreiche M’Barek diese Rolle übernommen hat, passt natürlich perfekt, weil damit untergründig von Anfang an die Frage mitschwingt, ob sich der Star aus der „Fack ju Göhte“-Reihe hier vielleicht auch ein bisschen selbst spielt.
Die in „Liebesdings“ gezeigte Filmindustrie mitsamt ihrer Medienmaschinerie wird allerdings als dermaßen oberflächliche und seelenlose, nur auf den Profit schielende Welt gezeichnet, dass man nur hoffen kann, dass es in der Wirklichkeit nicht ganz so schlimm zugeht. Bei den Dreharbeiten etwa ist sprichwörtlich jeder Zentimeter, den Marvin zurücklegt, abgesichert; sogar auf der Toilette wird dieser bemitleidenswerte „Star“ noch überwacht. Auch ansonsten sind seine Tage durchgetaktet, mit unerfreulichen Presseterminen, dem stumpfen Signieren von Autogramm-Karten sowie Auftritten vor frei drehenden Fans auf Selfie-Jagd. Dass Marvin ein TV-Interview mit der Boulevardjournalistin Bettina Bamberger wegen deren schamloser Fragen vor laufender Kamera abbricht und in einer Kurzschlusshandlung vor einer Filmpremiere flieht, kann man nach den gezeigten Abgründen jedenfalls gut nachvollziehen.
Halluzinogene im Underground-Theater
Bei seiner Flucht landet Marvin zufällig in dem leicht heruntergekommenen, feministischen Underground-Theater von Frieda und Jacky. Als er, der versehentlich eine große Menge Halluzinogene zu sich genommen hat, dort einem Auftritt von Frieda und der Aufführung einer als Tampons kostümierten Tanztruppe beiwohnt, ist es um ihn geschehen: Er verknallt sich und sinkt im Pilznebel glückselig in eine überlebensgroße Stoff-Vulva. Kurz danach rettet ihm die patente Frieda dann auch noch das Leben, indem sie ihm in einer tatsächlich durchaus romantischen Szene den Finger in den Hals steckt.
Da aber Bettina Bamberger den Schauspieler derweil mit einer Schmutzkampagne überzieht, beschließt Marvins treue Assistentin und (platonische) Kindheitsfreundin Sammy, den Superstar für ein paar Tage gegen Bezahlung bei den „Verrückten“ vom Theater zu verstecken. Was dort eher widerwillig akzeptiert wird und nur, das Geld gebraucht wird . Denn das Theater steht wegen einer Mieterhöhung kurz vor dem Bankrott. Es kommt, wie es kommen muss – Frieda, die abgebrannte Feministin, und Marvin, der millionenschwere Repräsentant seichter Massenunterhaltung, verlieben sich, allen Gegensätzen zum Trotz. Wie es die Logik des Liebeskomödien-Genres so will, werden die beiden jedoch zunächst wieder auseinandergetrieben, durch (kommunikative) Missverständnisse und die jeweiligen Sorgen ums berufliche Fortkommen.
Feminismus und Transgender als zeitgeistige Staffage
Und kann es überhaupt ein Happy End geben, wo doch Frieda weder an die klassische, vom Patriarchat geprägte Paarbeziehung noch an Happy Ends glaubt? Doch „Liebesdings“ interessiert sich gar nicht für feministische Fragestellungen oder neue Erzählweisen, die sich aus einem diverseren Blick auf die Welt ja zwangsläufig ergeben würden. Entsprechende Gedanken werden hier lediglich als zeitgeistige Staffage verwurstet, die Trendthemen Feminismus und Transgender nur als äußerliche Aufhänger genutzt. Zu dieser Inkonsequenz passt denn auch, dass Frieda, noch mehr als Marvin, ein eher blasser Charakter bleibt (wofür ihre Darstellerin Lucie Heinze nichts kann). Und dementsprechend halbherzig wirken auch im Film geäußerte Bekenntnisse zu Diversität und Co., etwa wenn Sammy angesichts des queeren Publikums in einer Szene-Kneipe den hölzernen Satz spricht: „Wieso wird Hetero eigentlich als überlegene Lebensform angesehen?“
Auch ansonsten kommt in Sachen Geschlechteridentitäten manches didaktisch und wenig stimmig rüber: Etwa die Tatsache, dass Sammy und Marvin trotz jahrelanger Zugehörigkeit zur vergleichsweise diversen Medien- und Filmbranche keine Ahnung haben, was ein Cis-Mann ist, und das dann also erklärt werden muss.
Die nächste deutsche Mainstream-Komödie
Dass die Autorin und Regisseurin Anika Decker die in ihrem Film verhandelten Themen wenig ernst nimmt, ist auch in anderer Hinsicht an „Liebesdings“ abzulesen. Trotz der deutlichen Kritik am seelenlosen Mainstream-Film-Geschäft, die als Motivation für Marvins Flucht den Kern ihrer Story bildet, hatte Decker selbst offenbar nichts anderes im Sinn, als mit „Liebesdings“ die nächste deutsche Mainstream-Komödie nach gänzlich wohlbekanntem Muster zu schaffen. Dass Decker, die für massentaugliche Unterhaltung à la „Keinohrhasen“, „Zweiohrküken“ oder „Traumfrauen“ steht, analog zu ihrer Hauptfigur ihre Zukunft im Independent-Bereich sehen könnte, danach sieht es angesichts von „Liebesdings“ jedenfalls überhaupt nicht aus.
Allerdings ist der Film auch abgesehen von derlei inhaltlichen Fragen, auf der Ebene der reinen Unterhaltung, eher durchwachsen: Zwar gelingen hie und da durchaus anrührende und witzige Momente, gelegentlich sogar perfekt zündende trockene Sprüche. Die aber stehen neben oft unpräzise inszenierten Szenen mit erstaunlich kraftlosen Dialogen, öden Running Gags und humoristischen Rohrkrepierern. Die großenteils guten Darsteller können derlei Schwächen bei Buch und Regie auch nur teilweise ausgleichen. Hinzu kommen immer wieder längliche Szenen, etwa die Stand-Up-Vorführungen im Theater, die wenig zum Fortgang der Story beitragen, aber auch in Sachen Komik keinen wirklichen Mehrwert bieten, sowie Unstimmigkeiten bei Dramaturgie und Beziehungskonstellationen. Dass sich etwa Hakan, Marvins bester Freund seit Kindertagen, ohne Rücksprache mit ihm von Bettina Bamberger interviewen lässt, ist so unüberzeugend wie letztlich auch unerheblich für den weiteren Film.
Auch der mediale und berufliche Total-Absturz des Superstars Marvin Bosch wirkt eher behauptet; für einen abgebrochenen Talkshow-Auftritt und Enthüllungen über den Konsum von Halluzinogenen droht einem Filmstar heutzutage sicher nicht die breite öffentliche Ächtung. Dafür bräuchte es schon Missbrauchs-Vorwürfe, die ja auch thematisch viel besser gepasst hätten – aber das wäre dann natürlich ungleich riskanter gewesen in Sachen Zuschauersympathien.
Bloß kein Risiko eingehen
Bloß kein Risiko eingehen – es scheint, als würde dieses Motto unsichtbar über dem Film schweben: Also irgendwas mit Feminismus und LGBTQ für die breite Masse machen, aber dabei schön im gewohnten (erzählerischen wie formalen) Rahmen bleiben. Oder eine düstere Story aus der Neuköllner Vergangenheit von Marvin, Sammy und Hakan anlegen – die sich dann aber kurz vorm Happy End in reibungsfreiem Wohlgefallen auflöst.
Nur gelegentlich blitzen in „Liebesdings“ auch wahre Perlen an Humor und Dialogkunst auf, und zwar immer dann, wenn Michael Ostrowski ins Spiel kommt: Der österreichische Schauspieler gibt den Möchtegern-Verlobten der eiskalten Bamberger, der mehrmals äußerst komisch an Heiratsanträgen an sie scheitert. Dieses ungleiche Paar ist so überspitzt, frisch und ohne Griff in die Mottenkiste der Stereotypien gezeichnet, dass es eine echte – doch hier leider viel zu seltene – Freude ist.