Vorstellungen
Filmkritik
Amir kommt nicht voran. Dabei ist der junge Iraner guten Willens, es im Leben zu etwas zu bringen. Doch als sein Chef eine große Hochzeitsparty platzen lassen will, wenn er nicht sofort bezahlt werde, und Amir einen Einwand wagt, ist er seinen Job als Kellner los. Mühsam muss er sich am Strom der Hochzeitsgesellschaft vorbeiquetschen. Was wie ein höhnischer Kommentar zu seinem Vermittlungsversuch wirkt.
Ganz ähnlich ergeht es ihm auch bei seiner Freundin Narges. Wenn die beiden sich sehen, beachten sie die strengen Verhaltensregeln für Unverheiratete, indem sie sich am menschenleeren Strand oder auf einer Baustelle treffen. Doch einer Heirat steht das hohe Brautgeld entgegen, das Narges’ Eltern erwarten; der aus einfachen Verhältnissen stammende Amir kann es nicht aufbringen. Narges’ Eltern suchen zugleich bereits anderweitig nach Ehekandidaten. Auch ohne den Jobverlust stünden die Chancen für Amir denkbar schlecht.
Amir will nicht aufgeben
Aus dieser prekären Lage heraus entwickelt der deutsch-iranische Regisseur Behrooz Karamizade sein Spielfilmdebüt „Leere Netze“. Rasch entwirft er, wie die iranische Gesellschaft von Geld und Beziehungen beherrscht wird, weshalb junge Männer aus der Arbeiterklasse fast zwangsläufig durch die Maschen fallen. Doch Amir, der bei seiner verwitweten Mutter aufgewachsen ist, will nicht aufgeben. Entschlossen sucht er einen neuen, möglichst lukrativen Verdienst. In der Stadt ist nichts zu finden. Am Kaspischen Meer aber, eine Fahrstunde mit dem Motorrad entfernt, werden Fischer gesucht.
Amir ist zu harter Arbeit bereit, doch mit der Unterschrift unter dem Vertrag verschreibt er sich einem ausbeuterischen System, das ihn nur zu leicht verschlucken könnte. Am Zahltag werden Verpflegung und Essen vom Lohn abgezogen oder die Summe aus anderen fadenscheinigen Gründen gekürzt. Ehrlich währt bei seiner neuen Arbeit am kürzesten, das merkt der junge Fischer nur zu bald. Denn einen Profit ziehen offenbar nur die daraus, die auf fragwürdigen Pfaden wandeln. So vertreiben ruppige Wettkämpfe den Männern die Langeweile; vor allem aber lässt sich Geld mit dem illegalen Fischen von Stören und dem Verkauf ihrer Eier als Kaviar an Restaurants machen.
Karamizade stellt das Milieu der Fischerei mit dokumentarischer Genauigkeit dar, indem er am Kaspischen Meer drehte und echte Fischer als Komparsen einsetzte. Das systemische Unrecht nutzt er jedoch nur bedingt als Vorlage zu einer gesellschaftskritischen oder gar klassenkämpferischen Studie; er konzentriert sich vielmehr ganz auf seinen Protagonisten, den er in Großaufnahmen immer wieder gegen die CinemaScope-Bilder des rauen Meeres abhebt.
Nur Narges spürt den Wandel
Amir hat den Blick weiter fest auf die Heirat mit Narges und eine bessere Zukunft gerichtet. Näher scheint er diesen Zielen aber nur zu kommen, indem er Schritt für Schritt seine moralischen Grundsätze über Bord wirft. Da er ein ausgezeichneter Schwimmer ist, bewährt er sich sowohl beim Wettfischen als auch bei den nächtlichen illegalen Fischereien, wo er die Netze unter Wasser von Müll befreit. Seine Bosse erkennen seinen Ehrgeiz und vertrauen ihm weitere Aufgaben an, die Amir immer mehr in verbotene Geschäfte hineintreiben. Was niemandem so auffällt wie Narges. Zwar verschweigt er ihr bei ihren gelegentlichen Treffen, was er alles tut, doch den Wandel in seinem Verhalten kann er vor der aufmerksamen jungen Frau nicht verbergen. Statt ihrer Heirat näherzukommen, treiben sie auseinander.
Unter gegenwärtigen Filmen über den Iran ist „Leere Netze“ recht singulär, da er einen jungen Mann ins Zentrum stellt, der dem herrschenden System zwar nicht (offen) kritisch gegenübertritt, aber dennoch dessen Opfer wird. Amir mag keine Frau mit Emanzipationswunsch und auch kein Jude oder US-Amerikaner sein oder einem anderen Feindbild des Mullah-Regimes entsprechen, doch auch auf seinesgleichen blickt die Gesellschaft mit Verachtung herab. Die Inszenierung lässt intensiv daran teilhaben, wie der Protagonist einen bitteren Erkenntnisprozess durchläuft.
Unterwerfung oder Flucht
Im Grunde bleiben Amir und anderen jungen Menschen in seiner Lage nur Unterwerfung oder Flucht. Letztere ist die Hoffnung seines Zimmerkameraden Omid, der als journalistischer Blogger verfolgt wird und bei nächster Gelegenheit ins Ausland entkommen will; ihm legt der sonst im Dialog zurückhaltende Film auch explizite Gesellschaftskritik in den Mund. Doch die richtet ebenso wenig aus wie der (seltene) Widerspruch gegen Ausbeutung und Korruption. Als optimistisches Werk lässt sich „Leere Netze“ wahrlich nicht beschreiben.
Vielmehr betonen Karamizade und sein Kameramann Ashkan Ashkani die Situation noch durch eine Farbpalette zwischen häufigen Nachtbildern und von Grau und Blau dominierten Tagesansichten. Die Bilder sind ebenso rau und kalt wie das stürmisch bewegte Kaspische Meer, außer dort, wo Amir mit Narges, seiner Mutter oder Omid Momente der menschlichen Wärme teilt. Die Sympathie für seine Hauptfiguren hält immerhin die Trostlosigkeit ab, die nie ganz fern ist in dem selbstbewussten Debütfilm, bei dem man auch die sich aufdrängenden metaphorischen Deutungen konsequent nennen muss. Die Zeichen der Zeit sind eindeutig: Im Iran droht eine ganze Generation unterzugehen.